Was bleibt von Corona?
Die Pandemie ist reif fürs Museum, in Stuttgart werden passende Objekte und Geschichten gesammelt. Was interessiert auch in 20 Jahren noch ?
Welche Gegenstände, welche Corona-geschichten werden in ein paar Jahrzehnten die Leute noch interessieren? Während die Pandemie irgendwie noch immer nicht ganz vorbei ist, geht der Blick der Fachfrauen und Fachmänner vom Haus der Geschichte Baden-württemberg schon längst in die Zukunft. Seit das Virus alles auf den Kopf gestellt hat, seither werden Gegenstände und Geschichten mit Bezug zu Covid gesammelt, seit 2020.
„Wir wissen nicht, welche Fragen die kommenden Generationen stellen werden, wenn sie einmal auf Corona und die dadurch ausgelösten Erschütterungen zurückblicken werden“, sagt Rainer Schimpf, der Ausstellungs- und Sammlungsleiter. „Wir überlegen aber sehr genau, wie die Fragen aussehen könnten und welche Gegenstände mit welchen Geschichten wichtig sein könnten in Zukunft.“Genau diese Dinge kommen in die Sammlung.
221 Corona-positionen umfasst die Liste bisher. „Die Arbeit ist sicher noch nicht beendet“, sagt Schimpf. Bekanntes Corona-sammelobjekt im Haus der Geschichte Baden-württemberg ist ein Stück des Grenzzauns, der zwischen Konstanz und Kreuzlingen verbotene Kontakte verhindern sollte. Er wird gegenwärtig bis zum 23. Juli 2023 in der Sonderausstellung „Liebe. Was uns bewegt“gezeigt.
Oft stehen Besucher kopfschüttelnd davor, können kaum fassen, wie in der Corona-anfangszeit mit einem Doppelzaun versucht wurde, nahen Kontakt über die Grenze zu unterbinden, wie selbst Liebespaare rigoros getrennt wurden. „Es ist spannend zu sehen, wie sich der Blick auf manche Maßnahme verändert“, sagt Schimpf. Ähnlich wie bei den Schulschließungen: Zuerst nur wenig angezweifelt, inzwischen als Fehler erkannt.
Weil in Stuttgart immer Geschichte mit Geschichten erzählt wird, reicht ein Gegenstand allein nicht aus. „Wir haben natürlich nach Liebespaaren gesucht, haben auch deutsch-schweizerische Paare gefunden und auch welche, die einverstanden waren, ihre Fotos und ihre Geschichte der Öffentlichkeit zu präsentieren“, sagt Schimpf. Nicht einfach, aber Aufgabe der Sammler und Ausstellungsmacher.
Auch „Querdenker“sind dabei
Ebenfalls gesammelt wurden Gegenstände von „Querdenkern“und „Corona-spaziergängern“, Handzettel von Impfgegnern, die in Heidelberg vom Bürgersteig aufgesammelt oder in Esslinger Briefkästen gesteckt wurden. Aber auch das Banner, mit dem ein Gegendemonstrant und Impfbefürworter monatelang jede Demo von Corona-leugnern in Freiburg begleitet hat. „Ein Einziger stellt sich hin, muss sich sicher viel anhören und macht es immer wieder – da gehört viel Mut dazu“, sagt Schimpf. „Wir sind natürlich froh darüber, dass er einverstanden war, seine Geschichte für die Öffentlichkeit zu bewahren.“
Brackenheim ist ebenfalls vertreten: Dort gab es lange Proteste gegen Corona-maßnahmen. Die Stadt konterte mit großen Bannern. „Pandemie bekämpfen ist kein Spaziergang“lautete der Schriftzug auf einem der Banner. Bei Nacht und Nebel wurde illegalerweise ein „l“angefügt und ein „k“gestrichen: „Plandemie bekämpfen ist ein Spaziergang“– „Plandemie“ist eine Wortschöpfung aus Verschwörungserzählungen von Corona-leugnern und Anhängern der „Querdenker“. Das sei ein „starkes Objekt“, sagt Schimpf, „die ganze kontroverse Debatte in einem einzigen Gegenstand verdeutlicht“– ein Glücksfall für die Museumssammler. Genauso wie eine Sammlung von
Kunstwerken von Schülerinnen und Schülern aus dem RemsMurr-kreis. Thema, klar: Corona.
Zur Sammlung gehören auch Stoffmasken aus der Anfangszeit der Pandemie und ein Foto der ersten Corona-schutzimpfung in Baden-württemberg vom 27. Dezember 2020. Auch die Behälter, in denen dieser Impfstoff geliefert wurde, werden aufbewahrt.
Gesammelt wird, was exemplarisch wichtig werden könnte, sagt Schimpf. Was Menschen bringen, durchläuft einen aufwendigen Aufnahmecheck, wird auf alle möglichen Kriterien hin überprüft. Es gehe nicht um Masse, sondern um die Qualität der Stücke. „Wir wollen ja nicht in Material versinken.“Mit den Kolleginnen und Kollegen werde besprochen, was reif ist für die Sammlung und was nicht. Der Landesbezug sei wichtig, auch die Berücksichtigung aller Teile des Landes. Auch die Kosten spielten eine Rolle, für einen vielleicht nötigen Transport oder eine konservatorische Behandlung.
Oft ist der bürokratische Aufwand groß, wenn mühsam ermittelt werden muss, wem ein Gegenstand gehört, wer noch etwas dazu erzählen kann. Als es um den Konstanzer Grenzzaun ging, war alles aber unproblematisch. „Das Konstanzer Landratsamt hat uns die Teile geschenkt“, so Schimpf.
Eine Lücke hat die Sammlung in Stuttgart bisher: „Zu den Covid-opfern, zu den vielen traurigen Todesfällen, zu den Gedenkformen haben wir noch wenig“, sagt Sammlungsleiter Schimpf. Das habe Gründe: „Bei solchen sensiblen Themen drängen wir uns selbstverständlich nicht auf.“