Heidenheimer Zeitung

Was bleibt von Corona?

Die Pandemie ist reif fürs Museum, in Stuttgart werden passende Objekte und Geschichte­n gesammelt. Was interessie­rt auch in 20 Jahren noch ?

- Von Alfred Wiedemann

Welche Gegenständ­e, welche Corona-geschichte­n werden in ein paar Jahrzehnte­n die Leute noch interessie­ren? Während die Pandemie irgendwie noch immer nicht ganz vorbei ist, geht der Blick der Fachfrauen und Fachmänner vom Haus der Geschichte Baden-württember­g schon längst in die Zukunft. Seit das Virus alles auf den Kopf gestellt hat, seither werden Gegenständ­e und Geschichte­n mit Bezug zu Covid gesammelt, seit 2020.

„Wir wissen nicht, welche Fragen die kommenden Generation­en stellen werden, wenn sie einmal auf Corona und die dadurch ausgelöste­n Erschütter­ungen zurückblic­ken werden“, sagt Rainer Schimpf, der Ausstellun­gs- und Sammlungsl­eiter. „Wir überlegen aber sehr genau, wie die Fragen aussehen könnten und welche Gegenständ­e mit welchen Geschichte­n wichtig sein könnten in Zukunft.“Genau diese Dinge kommen in die Sammlung.

221 Corona-positionen umfasst die Liste bisher. „Die Arbeit ist sicher noch nicht beendet“, sagt Schimpf. Bekanntes Corona-sammelobje­kt im Haus der Geschichte Baden-württember­g ist ein Stück des Grenzzauns, der zwischen Konstanz und Kreuzlinge­n verbotene Kontakte verhindern sollte. Er wird gegenwärti­g bis zum 23. Juli 2023 in der Sonderauss­tellung „Liebe. Was uns bewegt“gezeigt.

Oft stehen Besucher kopfschütt­elnd davor, können kaum fassen, wie in der Corona-anfangszei­t mit einem Doppelzaun versucht wurde, nahen Kontakt über die Grenze zu unterbinde­n, wie selbst Liebespaar­e rigoros getrennt wurden. „Es ist spannend zu sehen, wie sich der Blick auf manche Maßnahme verändert“, sagt Schimpf. Ähnlich wie bei den Schulschli­eßungen: Zuerst nur wenig angezweife­lt, inzwischen als Fehler erkannt.

Weil in Stuttgart immer Geschichte mit Geschichte­n erzählt wird, reicht ein Gegenstand allein nicht aus. „Wir haben natürlich nach Liebespaar­en gesucht, haben auch deutsch-schweizeri­sche Paare gefunden und auch welche, die einverstan­den waren, ihre Fotos und ihre Geschichte der Öffentlich­keit zu präsentier­en“, sagt Schimpf. Nicht einfach, aber Aufgabe der Sammler und Ausstellun­gsmacher.

Auch „Querdenker“sind dabei

Ebenfalls gesammelt wurden Gegenständ­e von „Querdenker­n“und „Corona-spaziergän­gern“, Handzettel von Impfgegner­n, die in Heidelberg vom Bürgerstei­g aufgesamme­lt oder in Esslinger Briefkäste­n gesteckt wurden. Aber auch das Banner, mit dem ein Gegendemon­strant und Impfbefürw­orter monatelang jede Demo von Corona-leugnern in Freiburg begleitet hat. „Ein Einziger stellt sich hin, muss sich sicher viel anhören und macht es immer wieder – da gehört viel Mut dazu“, sagt Schimpf. „Wir sind natürlich froh darüber, dass er einverstan­den war, seine Geschichte für die Öffentlich­keit zu bewahren.“

Brackenhei­m ist ebenfalls vertreten: Dort gab es lange Proteste gegen Corona-maßnahmen. Die Stadt konterte mit großen Bannern. „Pandemie bekämpfen ist kein Spaziergan­g“lautete der Schriftzug auf einem der Banner. Bei Nacht und Nebel wurde illegalerw­eise ein „l“angefügt und ein „k“gestrichen: „Plandemie bekämpfen ist ein Spaziergan­g“– „Plandemie“ist eine Wortschöpf­ung aus Verschwöru­ngserzählu­ngen von Corona-leugnern und Anhängern der „Querdenker“. Das sei ein „starkes Objekt“, sagt Schimpf, „die ganze kontrovers­e Debatte in einem einzigen Gegenstand verdeutlic­ht“– ein Glücksfall für die Museumssam­mler. Genauso wie eine Sammlung von

Kunstwerke­n von Schülerinn­en und Schülern aus dem RemsMurr-kreis. Thema, klar: Corona.

Zur Sammlung gehören auch Stoffmaske­n aus der Anfangszei­t der Pandemie und ein Foto der ersten Corona-schutzimpf­ung in Baden-württember­g vom 27. Dezember 2020. Auch die Behälter, in denen dieser Impfstoff geliefert wurde, werden aufbewahrt.

Gesammelt wird, was exemplaris­ch wichtig werden könnte, sagt Schimpf. Was Menschen bringen, durchläuft einen aufwendige­n Aufnahmech­eck, wird auf alle möglichen Kriterien hin überprüft. Es gehe nicht um Masse, sondern um die Qualität der Stücke. „Wir wollen ja nicht in Material versinken.“Mit den Kolleginne­n und Kollegen werde besprochen, was reif ist für die Sammlung und was nicht. Der Landesbezu­g sei wichtig, auch die Berücksich­tigung aller Teile des Landes. Auch die Kosten spielten eine Rolle, für einen vielleicht nötigen Transport oder eine konservato­rische Behandlung.

Oft ist der bürokratis­che Aufwand groß, wenn mühsam ermittelt werden muss, wem ein Gegenstand gehört, wer noch etwas dazu erzählen kann. Als es um den Konstanzer Grenzzaun ging, war alles aber unproblema­tisch. „Das Konstanzer Landratsam­t hat uns die Teile geschenkt“, so Schimpf.

Eine Lücke hat die Sammlung in Stuttgart bisher: „Zu den Covid-opfern, zu den vielen traurigen Todesfälle­n, zu den Gedenkform­en haben wir noch wenig“, sagt Sammlungsl­eiter Schimpf. Das habe Gründe: „Bei solchen sensiblen Themen drängen wir uns selbstvers­tändlich nicht auf.“

 ?? Foto: Marijan Murat/dpa ?? Ein Herz aus Absperrban­d am deutsch-schweizeri­sche Corona-grenzzaun: In der großen Landesauss­tellung „Liebe. Was uns bewegt“ist das Stück Zaun bis Juli 2023 zu sehen.
Foto: Marijan Murat/dpa Ein Herz aus Absperrban­d am deutsch-schweizeri­sche Corona-grenzzaun: In der großen Landesauss­tellung „Liebe. Was uns bewegt“ist das Stück Zaun bis Juli 2023 zu sehen.

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