Der Wählerwille zählt
Zum Wahlergebnis in Berlin und der Frage, wer einen Regierungsauftrag hat
Knapp ein Viertel der Wahlberechtigten stimmten im September 2021 bei der Bundestagswahl für die SPD. Die Wahlbeteiligung betrug seinerzeit knapp 77 Prozent. Obwohl also bei weitem nicht jeder Vierte seinem Wunsch Ausdruck verlieh, die SPD möge doch bitte die künftige Regierung führen, leiteten die Sozialdemokraten einen Regierungsauftrag aus dem Votum ab. Auch der Unionskanzlerkandidat Armin Laschet wollte eine Regierung anführen. Der Vorsprung der SPD vor seiner CDU/CSU betrug 1,6 Prozentpunkte. Jetzt liegt in Berlin die CDU mit 10 Punkten vorn. Tatsächlich haben SPD und Grüne recht, wenn sie sagen, auch dieser Vorsprung stelle keinen eindeutigen Regierungsauftrag dar. Umso mehr stimmte, was Armin Laschet seinerzeit behauptete, dass auch er berechtigt sei, eine Koalition zusammenzuzimmern.
Allein, die Union war sehr schlecht vorbereitet, niemand wollte nach 16 Jahren Merkel-kanzlerschaft in ein konservatives Boot und allgemein verfestigte sich der Wunsch: lieber
Scholz als Laschet.
In diesem Fall hatte es also der Zweitplatzierte nicht geschafft, legitim wäre es gewesen. So wie es formal in Ordnung wäre, wenn in Berlin die gerupfte rot-grüne-rote Landesregierung einen zweiten Aufschlag versuchen würde. Allein, die Demokratie ist nicht in erster Linie eine Rechenaufgabe, sondern muss dem entsprechen, was die Menschen wollen. Und wollen die Berliner, dass diejenigen, die für das Wahldesaster 2021 verantwortlich waren, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen, die dafür gesorgt haben, dass Berlin als am schlechtesten regierte Stadt gilt, weiter regieren? Dass die CDU von der Regierung ferngehalten wird?
Mitunter müssen einfach Quantitäten in eine neue Qualität umschlagen. Andernfalls könnten die Wählerinnen und Wähler den Eindruck gewinnen, jedes Wahlergebnis, das keinen absoluten Sieger anzeigt, sei frei interpretierbar. Ist es aber nicht. So wie es keine Automatismen gibt, die Wahlsieger an die Regierungsspitze führen, darf es auch keine Beliebigkeit bei der Auslegung des Wählerwillens geben.
Zumindest bedarf es einer plausiblen Begründung, um einer eindeutig stärksten Partei die höchsten Weihen zu verweigern. Etwa, weil der Vorrat an Gemeinsamkeiten von Parteien so
Natürlich kann es sein, dass die CDU in Berlin keine andere Partei überzeugen kann.
groß ist, dass es praktisch unzumutbar wäre, sie von ihren kollektiven Vorhaben nur deshalb abzubringen, weil ein Wahlsieger zum Regierungstanz bittet. Das war offensichtlich so, als die Grünen und die SPD 2011 nach 58 Jahren Regierungszeit die CDU in Baden-württemberg stürzten, die immerhin 39 Prozent der Stimmen holte. Die zweitplatzierten Grünen brachten es auf 24 Prozent. Andere Beispiele ließen sich mühelos finden.
Es kommt also tatsächlich auf die Umstände an. Und natürlich kann es sein, dass die CDU in Berlin keine andere Partei überzeugen kann. Dann muss es eben anders gehen. Entscheidend ist, egal wo, die kluge Umsetzung dessen, was der Wählerwille ist. Auch wenn es noch so schwer ist, herauszufinden, worin der besteht.