Düsterer Wohnungsmarkt
Deutschlandweit müssen Hausbaupläne wegen drastisch gestiegener Kosten auf Eis gelegt werden. Der Gesellschaft droht ein immenses Problem.
Eigentlich wollte Familie Dachs raus aus der Stadt. Ein Jahr lang suchte die Familie nach einem Bestandshaus, bis sie sich dann doch für einen Neubau entschied. Mittlerweile ist auch dieser Traum ausgeträumt. „Wir waren zu langsam. Jetzt sind die Immobilienpreise viel zu hoch und bei den derzeitigen Zinsen können wir uns das nicht leisten“, sagt Sozialarbeiterin Anna Dachs. Also bleiben sie, wo sie sind – auf unbestimmte Zeit.
Wie der Berliner Familie geht es derzeit zahlreichen potenziellen Häuslebauern in Deutschland. Viele können sich ein Eigenheim nicht mehr leisten. Bei Bauunternehmen im ganzen Land werden seit Monaten Aufträge auf Eis gelegt oder sogar storniert. Nicht nur private Bauherren kapitulieren vor dem Markt, auch große Immobilienkonzerne stoppen ihre Neubauprojekte. Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist die Nachfrage im Baugewerbe in den ersten elf Monaten 2022 preisbereinigt um 8,3 Prozent eingebrochen.
Die Lage ist ernst. Denn Wohnraum ist knapp und wird infolge des steigenden Bevölkerungswachstums immer knapper. Einer Berechnung des Bündnisses „Soziales Wohnen“zufolge fehlen bundesweit 700 000 Wohnungen. Damit herrsche die größte Wohnungsnot seit über 20 Jahren. Jahrelang hat die Bundesregierung das Problem ignoriert und zu wenig unternommen. Die Ampelkoalition hat sich zum Ziel gesetzt, jährlich 400 000 neue Wohnungen zu bauen, und dafür sogar ein eigenes Ministerium geschaffen. Doch bisher scheitert die Koalition an den ambitionierten Zielen.
Für den Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-oliver Müller, sind nicht nur die hohen Bauzinsen und Kosten problematisch. Müller kritisiert auch die Förderpolitik: „Jahrelang wurde der Spalt zwischen Mieten, die aufgrund aktueller Bau- und Materialkosten gezahlt werden müssten und Mieten, die politisch und sozial erwünscht sind, über eine ausreichend ausgestattete Förderkulisse geschlossen. Nun stoppt man quasi diese Förderung und erwartet, dass es mehr bezahlbaren Wohnungsbau gibt. Das funktioniert nicht.“Hohe Baukosten würden zwangsläufig zu hohen Mieten führen. „Wenn wir also Netto-kaltmieten von 18 Euro vermeiden und bezahlbare Mieten ermöglichen wollen, brauchen wir mehr staatliche Förderung“, erläutert er.
Das sieht auch der Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GDW, Axel Gedaschko, so: Bezahlbarer Wohnraum könne nur dann geschaffen werden, „wenn die Regierung die hohen politischen und gesellschaftlichen Anforderungen auch mit einer auskömmlichen Förderung in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro jährlich begleitet“.
Bauministerin Klara Geywitz (SPD) erteilte den Forderungen bereits eine Absage. „Letztes Jahr hatte die Bauwirtschaft 16 Milliarden Neubauförderung bekommen. Dazu kamen zwei Milliarden für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und das Baukindergeld. Und das alles hat nicht dazu geführt, dass sich die Bautätigkeit ausgeweitet hat“, sagte Geywitz zuletzt. „Geld alleine bringt also gar nichts. In der jetzigen Situation mit den begrenzten Kapazitäten bringt mehr Geld vor allem eine Preissteigerung“, betonte die Ministerin.
Statt auf direkte Zuschüsse wie das 2021 ausgelaufene Baukindergeld setzt die Bundesregierung auf zinsgünstige Kredite für den Bau besonders energieeffizienter Häuser. Doch damit sind die Häuser immer noch sehr teuer, für viele unbezahlbar. Geywitz will deswegen im März die Pläne für eine neue Wohngemeinnützigkeit, die auch im Koalitionsvertrag verankert ist, vorstellen. Damit ist gemeint, dass gemeinnützige Unternehmen steuerlich oder durch Investitionszulagen gefördert werden. Sie müssten sich im Gegenzug dazu verpflichten, dauerhaft günstig zu vermieten, statt auf Gewinne zu spekulieren.
Wie genau die Ausgestaltung jedoch aussieht, steht noch aus. Klar ist, dass sie der privaten Wohnungswirtschaft nicht schaden, sondern sie ergänzen soll, heißt es im Koalitionsvertrag.
Einig sind sich fast alle Fraktionen im Bundestag darin, das bereits vorhandene Potenzial von Gebäuden besser zu nutzen. Indem mehr aufgestockt oder umgebaut wird, sagen etwa die Grünen. Die FDP will, dass Kommunen ein Potenzialflächenkataster erstellen, wo Bauflächen veröffentlicht und digital zugänglich gemacht werden. Außerdem wollen die Liberalen das Bauen von Regeln befreien, zum Beispiel soll die Verpflichtung zur Erstellung neuer Stellplätze entfallen.
Die Regierung ist aber von Kommunen und Ländern abhängig. Dabei ist vor allem eine Stellschraube wichtig: „Die Länder müssen endlich die Landesbauordnungen harmonisieren“, sagt Tim-oliver Müller von der Bauindustrie. Bisher muss ein Unternehmen seriell gefertigte Gebäude, also solche mit vorgefertigten Bauteilen, an die jeweiligen Bauordnungen anpassen. Das kostet Zeit und Geld. „Frau Geywitz müsste bei der Bauministerkonferenz mehr Druck auf die Länder machen. Bisher sehe ich keine Fortschritte“, sagt Müller.