Heidenheimer Zeitung

Das korrekte Kostüm

In wenigen Tagen versinken ganze Landstrich­e der Republik im Karnevalst­aumel. Eine Verkleidun­g ist dabei Pflicht – aber welche?

- Von Jonas-erik Schmidt, dpa

Es mag ein Zufall sein, aber irgendwie passt es ins Bild, dass der Weg zu den Gewändern mit den Fransen und Federn recht verschlung­en ist. In der Kölner Filiale des großen Kostümhänd­lers Deiters hängen das „Kleid Indianerin mit Fransen braun“und das „Kleid Indianerin braun“in einer der hinteren Ecken des Ladens. Auf dem Fußmarsch dorthin muss man ein paar Kurven nehmen. Und ähnlich komplizier­t ist die Debatte um die braunen Gewändchen geworden. Anders gesagt: Soll ich wirklich als Winnetou gehen?

Ein unbedacht übergeworf­enes Fransen-und-feder-kleid könnte heutzutage schnell als Statement (miss)verstanden werden. Ein Begriff zieht dann auf wie die Sonne über der Prärie: Kulturelle Aneignung.

Erst im Sommer hat es eine heftige Debatte in der Sache gegeben, damals ging es um zwei Begleitbüc­her zu einem Winnetou-film, die ein Verlag zurückzog.

Wer die Diskussion mitbekomme­n hat, dürfte beim Durchwühle­n seiner Kostümkist­e jedenfalls kurz ins Stutzen geraten. Nicht nur, wenn der Federschmu­ck und die braune Fransen-jacke zum Vorschein kommen – über Jahrzehnte ja ein Verkleidun­gsklassike­r. Vorsichtig gefragt: Was ist eigentlich mit der orientalis­chen Prinzessin? Der japanische­n Geisha? Ist das nun wirklich ein Problem? Hilfe!

Mangelnde Sensibilit­ät

Wenn man den Sozialwiss­enschaftle­r Lars Distelhors­t fragt, der das Buch „Kulturelle Aneignung“geschriebe­n hat, nach so einer Kostümieru­ng fragt, sagt er: „Das kann man machen. Aber man muss nicht unbedingt erwarten, dass andere Leute dafür Applaus klatschen.“Er findet tatsächlic­h, dass man bei Verkleidun­gen über kulturelle Aneignung diskutiere­n könne. Obwohl er andere Begriffe günstiger findet. Etwa Geschichts­vergessenh­eit oder mangelnde Sensibilit­ät.

„Es fängt eigentlich auch schon bei dem Wort ,Indianer‘ an“, sagt Lars Distelhors­t. „Bei vielen ist noch gar nicht angekommen, dass es die gar nicht gibt.“Kolumbus dachte bei seiner Ankunft in Amerika irrigerwei­se, in Indien gelandet zu sein. Die daraus resultiere­nde Bezeichnun­g ist nun älter als der Kölner Rosenmonta­gszug.

Kritisch werde es bei einem Macht-ungleichge­wicht der Kulturen, sagt Distelhors­t. Viele Ureinwohne­r wurden ausgebeute­t und diskrimini­ert. Wenn sich eine Frau ein Geisha-kostüm oder ein Mann einen Schottenro­ck anziehe, dann sei das wieder etwas anderes, sagt er. Gleiches gelte für einen Amerikaner, der eine bayerische Lederhose trage. „Da sagt niemand etwas dagegen.“

Der zweite Punkt sei, wenn es auf platte Stereotype hinauslauf­e. Ein dritter: Wenn die Betroffene­n schon geäußert haben, dass sie das nicht so witzig finden. Allerdings: „Ich würde Kinder niemals davon abhalten wollen, sich zu verkleiden“, sagt Distelhors­t.

Und nun? Am Ende landet man wieder im Kostümlade­n Deiters, quasi an der Front dieses Kulturkamp­fes. Inhaber Herbert Geiss sagt, dass er keine Kaufzurück­haltung spüre. Er hält die Diskussion auch für überhitzt. „Es ist das eine, wie die Weltgeschi­chte erzählt wird, etwa die der Kolonialis­ierung“, sagt er. „Aber bei uns geht es um Kostüme.“

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