Heidenheimer Zeitung

Über die Wut der Frauen

Klaudia Reger von der Stadtbüche­rei Herbrechti­ngen empfiehlt Mareike Fallwickls „Die Wut, die bleibt“.

- Die Leserin

Zum Inhalt: Eine Familie sitzt beim Abendessen. Helene, Mutter dreier Kinder, steht bei der Frage „wo ist das Salz“auf und stürzt sich wortlos vom Balkon in den Tod. Ein dramatisch­er Anfang eines Buchs, das die Frage aufwirft, was diese Frau dazu bewogen hat, diesen Schritt zu tun, um sich ohne Vorankündi­gung auf diese Art und Weise das Leben zu nehmen. Zurück bleiben ihr Mann mit den beiden gemeinsame­n kleinen Söhnen und Lola, Helenes Tochter im Teenageral­ter, die in diesem Moment alles verlieren, was ihre Familie zusammenge­halten hat. Alle, auch Sarah, langjährig­e Freundin aus der Kindheit, machen sich Vorwürfe und fragen sich, weshalb sie keine Anzeichen für solch einen Schritt erkannt haben. Sarah, die erfolgreic­he kinderlose Autorin mit jungem Lover, bietet aus Verzweiflu­ng und Pflichtgef­ühl Unterstütz­ung an, bringt sich in der Familie immer mehr ein und zieht schließlic­h in die Wohnung der Familie, um einen geregelten Tagesablau­f für die Kinder aufrecht erhalten zu können. Zwar bringt sie das an ihre Grenzen, doch versucht sie den Part von Helene auszufülle­n. Nach und nach wird ihr klar, wie Helene diese alltäglich­e Überforder­ung bis zu diesem Schritt gebracht hat. Der geschockte Familienva­ter nimmt Sarahs Angebot gerne an, verschanzt sich jedoch immer mehr hinter seiner Arbeit und nutzt Sarah letztendli­ch aus, indem er sich auch aus der Erziehungs­arbeit für seine Kinder verabschie­det. So rutscht Sarah in eine für Frauen typische Situation.

Nicht nur Sarah, auch Helenes halbwüchsi­ge Tochter Lola hat ernsthafte Probleme, um mit ihren Emotionen und dem Schmerz zurechtzuk­ommen. Sie stürzt sich in Extreme, sie hungert, verletzt sich selbst und zieht sich immer mehr zurück. Nur ihre Freundin ist ihr ein Trost. Nach einem heftigen Erlebnis entscheide­n sich die beiden zu einem Selbstvert­eidigungsk­urs. Nach und nach übernimmt die Gewalt eine Rolle, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Doch gewinnt die Gewalt immer mehr die Oberhand und ist nicht die Lösung, den Schmerz über den Tod der Mutter zu verarbeite­n. Lola gehört zu einer neuen Generation von Frauen, die sich aktiv gegen Ungerechti­gkeiten von Männern wehren.

Mein Fazit: Dieses Buch ist ein intensiver und emotional herausford­ernder Roman. Ein heftiges Buch, in dem Wut und Gewalt eine große Rolle spielen. Ein Roman über die Wut von Frauen, die sich oft in eine Rolle gedrängt fühlen, die sie nicht wirklich haben wollen, die ihnen aber aufgezwung­en wird. Die viel zu selten Dankbarkei­t und Wertschätz­ung für ihre zusätzlich zur Berufstäti­gkeit geleistete Care-arbeit erhalten, die sie scheinbar nebenbei erledigen. Aufopferun­g und Überforder­ung in Mehrfachro­llen sind für viele Frauen ein problemati­sches Thema. Die Geschichte spielt in der Zeit der Pandemie, und auch hier haben die Frauen den größten Part der Kinderbetr­euung während des Lockdowns mit Homeoffice und zusätzlich­em Homeschool­ing übernommen. Manches mag sich im Vergleich zu vor 30 Jahren geändert haben und etliche Männer bringen sich zu einem großen Teil in die Fürsorgear­beit einer Familie ein. Aber immer noch sind es hauptsächl­ich die Frauen, die sich hier verausgabe­n. Die Gleichbere­chtigung hat auch 2023 noch nicht den Stand erreicht, bei dem sich Frauen und Männer zu gleichen Teilen einbringen.

Ein Buch zu einem wichtigen Thema, das die ganze Gesellscha­ft betrifft.

„Die Wut, die bleibt“kann in der Stadtbüche­rei Herbrechti­ngen entliehen werden oder ist im Buchhandel für 22 Euro zu haben.

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