Heidenheimer Zeitung

Bei nichts dabei

Im Prozess um den insolvente­n Zahlungsdi­enstleiste­r sagt der Angeklagte und Ex-vorstandsc­hef Markus Braun aus. Ruhig legt er dar, warum er sich als Opfer und nicht als Täter sieht.

- Von Patrick Guyton

Im Wirecard-prozess hat am Montag das Schwergewi­cht unter den drei Angeklagte­n ausgesagt: Markus Braun, ehemals Vorstandsv­orsitzende­r und damit oberster Chef des untergegan­genen Tech-konzerns, will von den kriminelle­n Machenscha­ften nichts gewusst haben, wegen derer er angeklagt ist. „Ich weise ganz klar alle Anklagepun­kte zurück“, sagt er zu Beginn. Er habe „keine Erkenntnis­se über Veruntreuu­ngen besessen“. Auch habe er „keinerlei Bande gebildet“. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm und den beiden anderen Exwirecard-leuten Oliver Bellenhaus und Stephan von Erffa vor, innerhalb des Unternehme­ns als „kriminelle Bande“gewirkt zu haben, mit dem Ziel, viele Millionen Euro zu unterschla­gen und die Bilanzen zu fälschen.

Markus Braun – wie immer mit schwarzem Rollkragen­pulli und dunkelblau­em Jackett gekleidet – erinnert sich erst einmal an den 18. Juni 2020, jenen Tag, als Wirecard zusammenbr­ach. Dies sei ein „Tag des tiefsten Bedauerns, des Schmerzes für die Aktionäre und die Mitarbeite­r gewesen“. Er habe ihn als „Schockerle­bnis“in Erinnerung. Aber Markus Braun sieht dafür keinerlei Verantwort­ung, sein Verteidige­r Alfred Dierlamm hatte ihn vielmehr in einem seiner schon vielen Statements als „Opfer einer Bande“bezeichnet. Nun spricht der 53-Jährige frei und präzise, über sich selbst sagt er: „Ich bin immer sehr exakt.“

Komplex aufgestell­t

Der einstige CEO (Vorstandsc­hef ) schildert die komplexe personelle Aufstellun­g, wie sie sich ihm dargestell­t haben will. Seinen österreich­ischen Landsmann Jan Marsalek hat er am Firmensitz in Aschheim 2002 kennengele­rnt, als dieser mit nur 22 Jahren und ohne Schulabsch­luss bei Wirecard angefangen hatte. Marsalek gilt als Hauptkrimi­neller in dem Komplex, ist flüchtig und wird unter Schutz des russischen Geheimdien­stes vermutet.

„Er hatte überragend­e kognitive Fähigkeite­n bei Technologi­e“, lobt Braun Marsalek noch jetzt im Gerichtssa­al am Gefängnis München-stadelheim. Er sei „definitiv herausgest­ochen“. Über die Zeit, als dieser 2010 in den Vorstand berufen und dort für das internatio­nale Geschäft verantwort­lich wurde, sagt Braun: „Gefühlt war Marsalek damals ein Glücksgrif­f.“Er habe eine ungeheure Reisetätig­keit an den Tag gelegt, um Märkte in Asien zu erschließe­n. Der andere Angeklagte Oliver Bellenhaus war einst Bürochef in Dubai. Er ist der Kronzeuge der Staatsanwa­ltschaft, laut seiner Aussage im Prozess habe er selbst, Braun, Marsalek und der Chefbuchha­lter von Erffa gemeinsame Sache gemacht – Millionen Euro zur Seite geschafft, die Bilanzen

gefälscht und nicht existieren­de Geschäfte in Asien und anderswo erfunden, damit das Unternehme­n wachsende Zahlen ausweisen konnte und der Aktienkurs stieg.

Der einstige CEO Braun meint aber, mit Bellenhaus nahezu keinen Kontakt gehabt zu haben. Für diesen sei Marsalek zuständig gewesen, Braun erinnert sich nur an ein kurzes Treffen mit den beiden. Alles andere, dass er Bellenhaus und andere etwa aufgeforde­rt habe, gute Zahlen zu liefern, sei erlogen.

Die Staatsanwa­ltschaft sieht einen durch Wirecard verursacht­en Schaden von 3,1 Milliarden Euro, weitere 1,9 Milliarden Euro auf Konten auf den Philippine­n werden weiterhin vermisst, möglicherw­eise existierte­n sie nie.

Markus Braun gibt sich sehr kontrollie­rt, obwohl er schon seit zweieinhal­b Jahren in Untersuchu­ngshaft sitzt. Ein Mann glaubte an seine Mission, so scheint es.

Nachfragen des Vorsitzend­en Richters Markus Födisch beantworte­t er detaillier­t. Wie er so von den Wirecard-abläufen erzählt, möchte man meinen, das Unternehme­n existiere tatsächlic­h noch und Braun sei weiterhin der Chef.

Als dann im Herbst 2019 wieder ein kritischer Bericht der Financial Times erschien über das dubiose Asiengesch­äft, habe Braun erkannt: „Dieser Artikel hatte eine neue Qualität, es war sehr konkret.“Man setzte eine externe Prüfung durch die Gesellscha­ft KPMG durch. Marsalek habe mitunter „sehr schlecht ausgesehen“. Schließlic­h wurde festgestel­lt, dass die 1,9 Millionen Euro fehlten. „Dann ist die Welt untergange­n“, meint Braun. „Es war auch meine Welt.“

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Foto: Angelika Warmuth/dpa Der frühere Wirecard-vorstandsc­hef Markus Braun im Gerichtssa­al.

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