Heidenheimer Zeitung

Ist das Kino tot?

- Leitartike­l Christina Tilmann leitartike­l@swp.de

Hand aufs Herz, wann waren Sie zuletzt im Kino? So richtig voll besetzter Saal, im Dunkel herrscht knisternde Spannung, gemeinsame Rührung, haltloses Lachen. Oder: Wann haben Sie zuletzt einen richtig tollen Film im Kino gesehen, auf den man sich wochenlang gefreut hat, der noch lange nachwirkt, von dem man Freundinne­n und Freunden erzählt, dass sie ihn unbedingt sehen müssen? Keine Antwort auf beide Fragen? Damit sind Sie vermutlich nicht allein.

Wenn allerorts vom Tod des Kinos gesprochen wird, ist nur ein Grund dafür, dass die meisten Filme wenige Tage oder Wochen später auf den einschlägi­gen Streaming-portalen zu finden sind und man sie gemütlich zu Hause vor dem Großbildsc­hirm konsumiere­n kann, ohne im Winter vor die Tür zu müssen und sich der Ansteckung­sgefahr im Kino auszusetze­n – vorausgese­tzt, man hat genügend Streaming-abos und den Nerv, die endlos langen Vorschlags­listen durchzugeh­en.

Mindestens ebenso gravierend ist, dass in den Kinos seit Corona nichts richtig Spannendes läuft. Alle, die gehofft hatten, nach den Monaten des Lockdowns käme jetzt eine ganze Welle großartige­r Filme, die, durch Corona ausgebrems­t, ein Fest der Filmkunst in den wieder offenen Kinos ermögliche­n, sahen sich bitter getäuscht: Außer Prequels, Sequels und anderen Fortschrei­bungen aus dem Hause Marvel, mäßigen deutschen Komödien und Kinderfilm­en war nicht viel – und ist seitdem auch nicht viel mehr geworden. Wo sind sie nur, die guten Filme?

Hier kommt die Berlinale ins Spiel. Wenn heute Abend das Filmfestiv­al in Berlin wieder mit voller Saalbesetz­ung startet, ist die Hoffnung groß, dass hier auch die Filme zu sehen sind, die in den nächsten Monaten auch an der Kinokasse funktionie­ren. Die Berlinale-chefs Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek haben sich in diesem Jahr mit den Kinos in ganz Berlin zusammenge­tan, um vor allem der Jugend die Magie des Kinos nahezubrin­gen. Sie haben allerdings auch die Preise auf 15 Euro pro Besucher hochgesetz­t. Das sind fast zwei Monate Netflix-mitgliedsc­haft.

Und, ja, es gibt endlich wieder einiges an Stars, von Cate Blanchett bis

Die Hoffnung ist groß, in Berlin die Filme zu sehen, die später auch an der Kasse funktionie­ren.

zu Bono und Boris Becker. Und es gibt die Filme, auf die man sich freut, „Tar“zum Beispiel, „Roter Himmel“– den neuen Christian Petzold oder die Verfilmung von Joachim Meyerhoffs Bestseller „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“. Und: Die Berlinale ist, wie es ihre Tradition ist, wieder politisch, mit Sean Penns Porträt des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj und Bonos Erinnerung­en an Sarajevo 1997.

Den Film von Sean Penn hat Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth Bundeskanz­ler Olaf Scholz als Empfehlung ans Herz gelegt – und die Wiederauff­ührung von Loriots Trickfilme­n, damit endlich auch mal wieder gelacht werden kann. Ja, auch das wäre schön, auf dem Festival wie im Kino: Wieder gemeinsam lachen, bei aller Düsternis rundum. Es muss ja nicht unbedingt über den Streit der „Herren im Bad“um das Quietschee­ntchen in der Badewanne sein.

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Zur Berlinale

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