Hilfe für Städte und Gemeinden
Die Flüchtlingszahlen sind wieder so hoch wie im Krisenjahr 2015. Fünf Probleme, die gelöst werden müssen. Von Igor Steinle, André Bochow, Michael Gabel, Dominik Guggemos, Jacqueline Westermann
Mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine sind 2022 in Deutschland untergekommen, hinzu kamen 244 000 Flüchtlinge aus anderen Ländern. Zahlreiche Kommunen sehen sich an ihrer Belastungsgrenze, diesen Ansturm zu bewältigen, der den von 2015 bereits übertroffen hat. Ein Treffen von Länderministern, Vertretern von Städten und Gemeinden mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag soll Abhilfe schaffen. Kann das gelingen? Hier sind die wichtigsten fünf Probleme, die es zu lösen gilt:
Seit Langem streiten Kommunen und Länder mit dem Bund über die Finanzen bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Im vergangenen Jahr gab der Bund 3,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Versorgung der Menschen aus, für dieses Jahr sind 2,75 Milliarden avisiert. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen seien zusätzliche Mittel von „mindestens 500 Millionen Euro“für die Gemeinden „unerlässlich“, sagte Ursula Krickl vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Die Gemeinden erwarteten, „dass die Länder die Bundesmittel vollständig an die Kommunen weiterleiten“, betont die Referatsleiterin für Soziales, Jugend und Gesundheit. Außerdem gehe es um eine Art Sofort-direkthilfe für Kommunen, um Unterkünfte, Kitaund Schulplätze zu schaffen und Personal bezahlen zu können. Es bedürfe einer dauerhaften finanziellen Unterstützung von Bund und Ländern.
Mehr Geld
Dass wie im Krisenjahr 2015 Flüchtlinge wieder in Turnhallen untergebracht werden, sollte eigentlich nicht mehr vorkommen. Doch jetzt ist es wieder soweit. Da vielerorts die Aufnahmelager voll sind, schaffen viele Kommunen Übernachtungsplätze in Mehrzweckhallen oder Schulturnhallen.
Schaffung von Unterkünften
Laut einer Umfrage in Nordrhein-westfalen haben ein Viertel der Kommunen solche Notmaßnahmen bereits ergriffen. Bundesweit sind die Erstaufnahmeeinrichtungen nach Faesers Angaben zu zwei Dritteln ausgelastet, regional allerdings unterschiedlich stark. In Bayern, im Saarland oder Baden-württemberg sind sie laut „Mediendienst Integration“fast vollständig belegt, in Hessen oder Sachsen nur zur Hälfte. Man fahre bereits wieder im Notbetrieb, heißt es beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Beim Gespräch mit Innenministerin Faeser müsse es deshalb dringend Verabredungen geben, wie mehr Plätze in den Erstaufnahmelagern geschaffen werden könnten.
Im Jahr 2022 dauerte ein Asylverfahren in Deutschland im Durchschnitt 7,6 Monate. Wegen vieler Einspruchs- und Klagemöglichkeiten ziehen sich die Verfahren vor Verwaltungsgerichten im Schnitt um weitere zwei Jahre hin. Die Ampel-koalition möchte mit der Überarbeitung des Asylverfahrensgesetzes, das zum 1. Januar in Kraft getreten ist, mehr Tempo machen. „Wir vereinheitlichen die Rechtsprechung,
Beschleunigte Asylverfahren
um Gerichtsverfahren zu beschleunigen“, sagt Spd-fraktionsvize Dirk Wiese. Kern der Reform ist, dass eine unabhängige Asylverfahrensberatung nach dem Vorbild der Schweiz eingeführt wurde. Die Logik der Ampel: Mehr Beratung führt zu weniger eingelegten Rechtsmitteln und Widersprüchen. Die automa
tische Überprüfung des Flüchtlingsstatus nach drei Jahren soll zudem wegfallen, wodurch 300 Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für andere Aufgaben zur Verfügung stehen.
Erleichterte Abschiebungen Ein großes Problem ist, dass es oft nicht gelingt, Flüchtlinge ohne Bleiberecht abzuschieben, da ihre Herkunftsländer sie schlichtweg nicht zurücknehmen. Hier erwartet sich die Koalition einen Schub durch die Einsetzung des neuen Migrationsbeauftragten Joachim Stamp (FDP). Schon als Integrationsminister in Nordrhein-westfalen handelte er Migrations- und Rückführungsabkommen aus, diese Aufgabe soll er nun auf Bundesebene fortführen. Mit Indien funktioniere ein solches Migrationsabkommen bereits, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich. Partnerländer könnten laut Stamp künftig etwa ein Kontingent für deutsche Visa erhalten, wenn sie im Gegenzug versprechen, Straftäter, Gefährder und illegal nach Deutschland eingereiste Staatsbürger zurückzunehmen; auch eine Verlagerung von Asylverfahren ins Ausland wird geprüft. Experten jedoch sind skeptisch, ob das gelingt. In Syrien oder Afghanistan, die Länder, aus denen die Hauptzahl der Asylantragsteller kommt, sind zurzeit nicht einmal die deutschen Botschaften geöffnet.
Gemeinsames Handeln in der EU Auch auf Eu-ebene laufen Maßnahmen an, um Flüchtlingsbewegungen besser unter Kontrolle halten zu können. Die Staats- und Regierungschefs haben als einen Pfeiler beschlossen, den Grenzschutz auszubauen. Das Wort „Zäune“fällt zwar nicht, weil Deutschland, Luxemburg und die Eu-kommission gegen eine europäische Finanzierung solcher Grenzbefestigungen sind. An der bulgarisch-türkischen Grenze ist jedoch ein Pilotprojekt für Fahrzeuge, Kameras oder Wachtürme geplant.
Die Zahl der Asylanträge in der EU ist 2022 um fast 50 Prozent auf 924 000 gestiegen. Hinzu kommen vier Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, die keinen Asylantrag stellen müssen.