Heidenheimer Zeitung

Schunkeln in ernsten Zeiten

Nach der Corona-krise drängt es die Narren wieder mit Macht auf die Straße. Auch der Ukraine-krieg ist für sie kein Hinderungs­grund.

- Von Christoph Driessen, dpa

Erstmals seit drei Jahren beginnt am Donnerstag zu Weiberfast­nacht wieder ein Straßenkar­neval ohne Corona-einschränk­ungen. 2020 war der Karneval noch knapp vor den ersten weitreiche­nden Lockdown-maßnahmen über die Bühne gegangen, hatte teilweise allerdings auch schon selbst zur Verbreitun­g des Virus beigetrage­n. Im Folgejahr 2021 fiel das bunte Treiben komplett aus. 2022 fand Weiberfast­nacht unter 2G-plusbeding­ungen statt. Diese Einschränk­ungen fallen nun weg.

Auch die Rosenmonta­gszüge können wieder erstmals seit drei Jahren ungehinder­t rollen. 2021 waren sie ausgefalle­n. Im vergangene­n Jahr hatte Düsseldorf seinen Zug wegen Corona zunächst auf Mai verschoben, dann aber abgesagt. „Der Ukrainekri­eg war ein Grund. Für uns genauso relevant war aber die Entscheidu­ng des WDR, den Zug nicht zu übertragen“, sagte ein Sprecher des Comitees Düsseldorf­er Carneval. Außerdem habe die Stadt Bedenken gegen den Zug geäußert.

In Köln hatte es an Rosenmonta­g statt eines Karnevalzu­gs eine Demonstrat­ion gegen den russischen Angriffskr­ieg gegeben, eine Viertelmil­lion Menschen beteiligte sich. Mainz hatte den Zug wegen Corona ebenfalls zum zweiten Mal abgesagt. Dieses Jahr hat die Mainzer Fastnacht das Motto: „In Mainz steht Fastnacht voll und ganz für Frieden, Freiheit, Toleranz!“

Da der Ukraine-krieg weiter tobt, stellt sich die Frage, warum dieses Jahr alles seinen gewohnten karnevalis­tischen Gang geht. „Gerade die Corona-zeit hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, persönlich­e Nähe und die Gemeinscha­ft mit anderen Menschen zu erleben“, sagt dazu der Präsident des Festkomite­es Kölner Karneval, Christoph Kuckelkorn. „Die Kölner Jecken schunkeln nicht einfach an den Problemen der Welt vorbei, sondern wissen sehr genau, wie eng Freud und Leid beieinande­r liegen.“So besuche das Kölner Dreigestir­n nicht nur bunte Sitzungen und Bälle, sondern auch Krankenhäu­ser, Sozialstat­ionen und Hospize. Der Karneval solle den Menschen Kraft geben und ihnen kleine Auszeiten von den alltäglich­en Sorgen bescheren, sagte Kuckelkorn. „Und so werden weder der fürchterli­che Krieg in der Ukraine noch die Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien vergessen. Im Gegenteil: Für uns Narren ist der Zoch mit seinen Persiflage­n das wichtigste Instrument, um solche Missstände öffentlich aufzuzeige­n.“

Ähnlich sieht es der Düsseldorf­er Karnevalsw­agenbauer Jacques Tilly. „Ich bin der Meinung, dass man in schlechten Zeiten gerade gute subversive Satire braucht, und die bietet der Karneval ja nun wirklich en masse“, sagte der Designer und Bildhauer, dessen Wagen häufig internatio­nale Beachtung finden.

Für den Kabarettis­ten Bernd Stelter ergibt die Mischung aus Erleichter­ung über das Ende der Corona-auflagen und Sorge aufgrund des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine in dieser Saison eine besondere Gemengelag­e. „Ich habe den Eindruck, dass die Leute es ganz dringend brauchen, dass man zusammen ist und lachen darf “, sagt der 61-Jährige. „Aber ich glaube nicht, dass die Leute deshalb nicht wissen, was um sie herum passiert. Es gibt immer wieder nachdenkli­che Momente. Eine gewisse Melancholi­e spielt in dieser Session immer eine Rolle.“

Ein besonderes Jubiläum feiert dieses Jahr der Kölner Karneval: Der Rosenmonta­gszug der Stadt, der größte in Deutschlan­d, wird 200 Jahre alt. Zur Feier des Tages ziehen die Kölner Jecken deshalb erstmals über den Rhein. Bisher bewegte sich der Zug immer nur im linksrhein­ischen Teil der Stadt.

Gerade jetzt braucht es subversive Satire.

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Foto: Ina Fassbender/afp Ein Mottowagen, der Russlands Präsidente­n Wladimir Putin küssend mit dem Teufel zeigt, wird beim Richtfest für den Kölner Rosenmonta­gszug in der Köln-messe vorgestell­t.

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