Schunkeln in ernsten Zeiten
Nach der Corona-krise drängt es die Narren wieder mit Macht auf die Straße. Auch der Ukraine-krieg ist für sie kein Hinderungsgrund.
Erstmals seit drei Jahren beginnt am Donnerstag zu Weiberfastnacht wieder ein Straßenkarneval ohne Corona-einschränkungen. 2020 war der Karneval noch knapp vor den ersten weitreichenden Lockdown-maßnahmen über die Bühne gegangen, hatte teilweise allerdings auch schon selbst zur Verbreitung des Virus beigetragen. Im Folgejahr 2021 fiel das bunte Treiben komplett aus. 2022 fand Weiberfastnacht unter 2G-plusbedingungen statt. Diese Einschränkungen fallen nun weg.
Auch die Rosenmontagszüge können wieder erstmals seit drei Jahren ungehindert rollen. 2021 waren sie ausgefallen. Im vergangenen Jahr hatte Düsseldorf seinen Zug wegen Corona zunächst auf Mai verschoben, dann aber abgesagt. „Der Ukrainekrieg war ein Grund. Für uns genauso relevant war aber die Entscheidung des WDR, den Zug nicht zu übertragen“, sagte ein Sprecher des Comitees Düsseldorfer Carneval. Außerdem habe die Stadt Bedenken gegen den Zug geäußert.
In Köln hatte es an Rosenmontag statt eines Karnevalzugs eine Demonstration gegen den russischen Angriffskrieg gegeben, eine Viertelmillion Menschen beteiligte sich. Mainz hatte den Zug wegen Corona ebenfalls zum zweiten Mal abgesagt. Dieses Jahr hat die Mainzer Fastnacht das Motto: „In Mainz steht Fastnacht voll und ganz für Frieden, Freiheit, Toleranz!“
Da der Ukraine-krieg weiter tobt, stellt sich die Frage, warum dieses Jahr alles seinen gewohnten karnevalistischen Gang geht. „Gerade die Corona-zeit hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, persönliche Nähe und die Gemeinschaft mit anderen Menschen zu erleben“, sagt dazu der Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, Christoph Kuckelkorn. „Die Kölner Jecken schunkeln nicht einfach an den Problemen der Welt vorbei, sondern wissen sehr genau, wie eng Freud und Leid beieinander liegen.“So besuche das Kölner Dreigestirn nicht nur bunte Sitzungen und Bälle, sondern auch Krankenhäuser, Sozialstationen und Hospize. Der Karneval solle den Menschen Kraft geben und ihnen kleine Auszeiten von den alltäglichen Sorgen bescheren, sagte Kuckelkorn. „Und so werden weder der fürchterliche Krieg in der Ukraine noch die Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien vergessen. Im Gegenteil: Für uns Narren ist der Zoch mit seinen Persiflagen das wichtigste Instrument, um solche Missstände öffentlich aufzuzeigen.“
Ähnlich sieht es der Düsseldorfer Karnevalswagenbauer Jacques Tilly. „Ich bin der Meinung, dass man in schlechten Zeiten gerade gute subversive Satire braucht, und die bietet der Karneval ja nun wirklich en masse“, sagte der Designer und Bildhauer, dessen Wagen häufig internationale Beachtung finden.
Für den Kabarettisten Bernd Stelter ergibt die Mischung aus Erleichterung über das Ende der Corona-auflagen und Sorge aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in dieser Saison eine besondere Gemengelage. „Ich habe den Eindruck, dass die Leute es ganz dringend brauchen, dass man zusammen ist und lachen darf “, sagt der 61-Jährige. „Aber ich glaube nicht, dass die Leute deshalb nicht wissen, was um sie herum passiert. Es gibt immer wieder nachdenkliche Momente. Eine gewisse Melancholie spielt in dieser Session immer eine Rolle.“
Ein besonderes Jubiläum feiert dieses Jahr der Kölner Karneval: Der Rosenmontagszug der Stadt, der größte in Deutschland, wird 200 Jahre alt. Zur Feier des Tages ziehen die Kölner Jecken deshalb erstmals über den Rhein. Bisher bewegte sich der Zug immer nur im linksrheinischen Teil der Stadt.
Gerade jetzt braucht es subversive Satire.