Mit vereinten Kräften
Die Pandemie hat vor allem Chöre schwer getroffen. Trotzdem läuft es bei den Chören Liederkranz und Cantabile momentan so richtig gut. Wie hat das geklappt? Ein Probenbesuch.
Warum bist du gekommen, wenn du schon wieder gehst? – so heißt es im „Bajazzo“, dem Chorlied, das der Liederkranzchor an diesem Dienstagmittag gegen Ende der Probe gemeinsam singt. Kommen, um zu bleiben, lautet hingegen die Devise des Gesangvereins Liederkranz, der während der Pandemie große Angst davor hatte, wegen fehlender Sänger und Sängerinnen auseinanderzubrechen.
Wenn man sich die Singstunde heute anschaut, weiß man sofort: Die Befürchtungen sind nicht eingetroffen. Rund 30 Singbegeisterte schauen auf die Bewegungen von Chorleiter Ulrich Meier, sie werden lauter und wieder leiser, wenn er es anzeigt, sie wissen, was sie tun – und haben großen Spaß dabei. Selbstverständlich aber ist diese Entwicklung des Chors nicht, vielmehr lässt sie sich darauf zurückführen, dass sich die Führungsebene des Gesangvereins und Chorleiter Meier viele Gedanken über ein neues Konzept für die Sängerinnen und Sänger gemacht haben. Was für Gedanken waren das?
Bei Schnee und Eis zur Probe?
Der Gesangverein Liederkranz besteht aus zwei Chören: dem Liederkranzchor selbst und dem jüngeren Chor, der Cantabile heißt. In Summe kommen beide Chöre auf rund 100 aktive und weitere 50 passive Mitglieder, ein paar vereinzelte Doppelsänger, die beiden Chören angehören, gibt es auch. Ulrich Meier leitet beide Chöre, vor der Pandemie hat er das im Evangelischen Gemeindezentrum in Giengen an der Ferdinand-porsche-straße getan. Erst der eine Chor, dann der andere. Sich abends für die Chorprobe aufzuraffen, fällt allerdings gar nicht so leicht. Vor allem dann nicht, wenn es früh dunkel wird und im Winter die Straßenverhältnisse schlecht sind. Gerade für die älteren Mitglieder war das nicht optimal.
Geprobt wurde in beiden Singstunden in der Regel für einen anstehenden Auftritt. Da muss das Programm irgendwann sitzen. Da gibt es ein klares Ziel.
Dann kam die Pandemie. Es gab keine Auftritte mehr, keine Ziele mehr und sowieso auch keine Proben mehr, in denen man sich hätte vorbereiten können. Corona hat die Chöre total erwischt. Selbst dann, als es gesetzlich wieder möglich war, mit einer begrenzten Personenanzahl gemeinsam zu singen, hatte der Verein Schwierigkeiten: Ins Gemeindezentrum durften sie vorerst nicht mehr rein. „Zwischenzeitlich
waren wir im Foyer der Stadthalle. Das war vom Klang her schon okay, aber das Ambiente hat einfach gefehlt“, erklärt Chorleiter Meier.
Mittlerweile sieht die Welt ganz anders aus. Der Cantabilechor probt wieder montags im Gemeindezentrum, der Liederkranz macht es anders. Sie haben ihre Proben auf den Dienstag gelegt, immer nachmittags und auch nur alle zwei Wochen. Auf die Bühne gehen sie nicht mehr, sie singen für sich selbst und ohne jeglichen Druck.
Nach den Proben gibt es Kaffee und Kuchen, um die Singstunde gemütlich ausklingen zu lassen. Und der Chor trifft sich auch nicht mehr im Gemeindezentrum, sondern auf dem Schießberg, genauer im Vereinsheim des Sportclubs Giengen. „Zwei unserer Sängerinnen sind im Verein und haben uns den Raum vermitteln können. Vorher haben wir alle möglichen Räume in Giengen in Betracht gezogen, aber nirgends hat es geklappt“, so Meier.
Für die Proben, das ergänzt Dagmar Zaiss, die selbst singt und neben Jürgen Schmid und Wolfgang Wächter Teil des Vorstandstrios des Vereins ist, kommt seitens der Pächter des Sc-vereinsheims jedes Mal jemand für die Bewirtung.
An diesem Dienstagnachmittag ist die Probe mit dem „Bajazzo“
beinahe zu Ende. Ein letztes Lied noch, dann werden Schokoladenherzen verteilt – schließlich ist Valentinstag. „Ich wünsche einen guten Kaffeedurst“, ruft Meier in die Runde. Dann setzt er sich selbst an den Tisch, gemeinsam mit Zaiss und Jürgen Schmid, der sich beim Verein um die Finanzen kümmert. Sie alle sind Sänger mit Leib und Seele und können gut beschreiben, was die Chorwelt – nicht nur in Giengen – momentan umtreibt.
Allem voran sind das fehlende Männer, die singen wollen. Bei einem Blick in die Runde fällt es sofort auf: Sängerinnen gibt es sehr viele, die Sänger hingegen sind rar gesät. Eine Erklärung für dieses Phänomen hat keiner, der einzige Trost für den Liederkranz ist der, dass es bei anderen Chören genauso aussieht.
Die vierte Stimme fällt weg
Fehlende Männer bedeuten auch Konsequenzen für die Stücke, die der Chor singen kann. Statt auf vier Stimmen, also zwei Frauenund zwei Männerstimmen, kann Meier schon länger nur noch auf drei Stimmen bauen. „Stücke von früher, an denen die Sänger hängen, können wir heute nicht mehr einfach so singen“, bedauert er. Nach neuen Noten Ausschau hält er zum einen im Internet, andererseits türmten sich bei ihm zu Hause die Notenblätter. „Der Job
des Chorleiters sieht immer so leicht aus, aber das ist jede Menge Arbeit.“
Bereit zu arbeiten, und das freut Meier sehr, sind aber auch nach wie vor die Chormitglieder. Gemeint ist die Arbeit an der eigenen Stimme. Denn obwohl das neue Konzept keine Auftritte mehr vorsieht und die Sängerinnen und Sänger eigentlich nur für sich sind, wollten sie auch weiterhin nicht auf Stimmbildung zu Beginn der Probe verzichten. „Das ist wie Warmlaufen beim Sport“, vergleicht einer der Sänger.
Für viele Mitglieder des Liederkranzes gehört das Singen einfach zum Leben dazu. „Ich war schon immer im Chor, und wer singen will, der kann das auch“, betont einer der Sänger, der neben dem Gesangverein auch dem Bezirksmännerchor angehört. Dass sich andere Chöre im Kreis wegen fehlender Mitglieder bereits aufgelöst haben, beobachtet der Vorstand des Giengener Vereins mit Sorge. Leidtragende seien dann immer diejenigen, denen die gemeinsamen
Termine eine Herzensangelegenheit gewesen sind. Schmid ist sich allerdings sicher, dass das Singen an sich bestimmt noch nicht an Popularität verloren habe. „In Berlin hat sich sogar aus einer Kneipentour ein richtiger Chor entwickelt“, erzählt er schmunzelnd.
Es geht um die Geselligkeit
Nun ist der Schießberg zwar noch nicht Berlin, trotzdem aber kann sich der Gesangverein Liederkranz glücklich schätzen, keine Mitglieder verloren zu haben. Auch in Zukunft kann gemeinsam gesungen werden, auch in Zukunft werden sich die Mitglieder abseits der Proben zu vergnüglichen Stunden zusammenfinden. Denn, und das betont Chorleiter Meier besonders: „Die Chöre sind immer auch mit Geselligkeit verbunden.“
In Berlin hat sich sogar aus einer Kneipentour ein richtiger Chor entwickelt. Jürgen Schmid Vorstandsmitglied des Gesangvereins
Ich wünsche einen guten Kaffeedurst! Ulrich Meier Chorleiter, nach der Probe