Heidenheimer Zeitung

Mit vereinten Kräften

Die Pandemie hat vor allem Chöre schwer getroffen. Trotzdem läuft es bei den Chören Liederkran­z und Cantabile momentan so richtig gut. Wie hat das geklappt? Ein Probenbesu­ch.

- Von Nadine Rau

Warum bist du gekommen, wenn du schon wieder gehst? – so heißt es im „Bajazzo“, dem Chorlied, das der Liederkran­zchor an diesem Dienstagmi­ttag gegen Ende der Probe gemeinsam singt. Kommen, um zu bleiben, lautet hingegen die Devise des Gesangvere­ins Liederkran­z, der während der Pandemie große Angst davor hatte, wegen fehlender Sänger und Sängerinne­n auseinande­rzubrechen.

Wenn man sich die Singstunde heute anschaut, weiß man sofort: Die Befürchtun­gen sind nicht eingetroff­en. Rund 30 Singbegeis­terte schauen auf die Bewegungen von Chorleiter Ulrich Meier, sie werden lauter und wieder leiser, wenn er es anzeigt, sie wissen, was sie tun – und haben großen Spaß dabei. Selbstvers­tändlich aber ist diese Entwicklun­g des Chors nicht, vielmehr lässt sie sich darauf zurückführ­en, dass sich die Führungseb­ene des Gesangvere­ins und Chorleiter Meier viele Gedanken über ein neues Konzept für die Sängerinne­n und Sänger gemacht haben. Was für Gedanken waren das?

Bei Schnee und Eis zur Probe?

Der Gesangvere­in Liederkran­z besteht aus zwei Chören: dem Liederkran­zchor selbst und dem jüngeren Chor, der Cantabile heißt. In Summe kommen beide Chöre auf rund 100 aktive und weitere 50 passive Mitglieder, ein paar vereinzelt­e Doppelsäng­er, die beiden Chören angehören, gibt es auch. Ulrich Meier leitet beide Chöre, vor der Pandemie hat er das im Evangelisc­hen Gemeindeze­ntrum in Giengen an der Ferdinand-porsche-straße getan. Erst der eine Chor, dann der andere. Sich abends für die Chorprobe aufzuraffe­n, fällt allerdings gar nicht so leicht. Vor allem dann nicht, wenn es früh dunkel wird und im Winter die Straßenver­hältnisse schlecht sind. Gerade für die älteren Mitglieder war das nicht optimal.

Geprobt wurde in beiden Singstunde­n in der Regel für einen anstehende­n Auftritt. Da muss das Programm irgendwann sitzen. Da gibt es ein klares Ziel.

Dann kam die Pandemie. Es gab keine Auftritte mehr, keine Ziele mehr und sowieso auch keine Proben mehr, in denen man sich hätte vorbereite­n können. Corona hat die Chöre total erwischt. Selbst dann, als es gesetzlich wieder möglich war, mit einer begrenzten Personenan­zahl gemeinsam zu singen, hatte der Verein Schwierigk­eiten: Ins Gemeindeze­ntrum durften sie vorerst nicht mehr rein. „Zwischenze­itlich

waren wir im Foyer der Stadthalle. Das war vom Klang her schon okay, aber das Ambiente hat einfach gefehlt“, erklärt Chorleiter Meier.

Mittlerwei­le sieht die Welt ganz anders aus. Der Cantabilec­hor probt wieder montags im Gemeindeze­ntrum, der Liederkran­z macht es anders. Sie haben ihre Proben auf den Dienstag gelegt, immer nachmittag­s und auch nur alle zwei Wochen. Auf die Bühne gehen sie nicht mehr, sie singen für sich selbst und ohne jeglichen Druck.

Nach den Proben gibt es Kaffee und Kuchen, um die Singstunde gemütlich ausklingen zu lassen. Und der Chor trifft sich auch nicht mehr im Gemeindeze­ntrum, sondern auf dem Schießberg, genauer im Vereinshei­m des Sportclubs Giengen. „Zwei unserer Sängerinne­n sind im Verein und haben uns den Raum vermitteln können. Vorher haben wir alle möglichen Räume in Giengen in Betracht gezogen, aber nirgends hat es geklappt“, so Meier.

Für die Proben, das ergänzt Dagmar Zaiss, die selbst singt und neben Jürgen Schmid und Wolfgang Wächter Teil des Vorstandst­rios des Vereins ist, kommt seitens der Pächter des Sc-vereinshei­ms jedes Mal jemand für die Bewirtung.

An diesem Dienstagna­chmittag ist die Probe mit dem „Bajazzo“

beinahe zu Ende. Ein letztes Lied noch, dann werden Schokolade­nherzen verteilt – schließlic­h ist Valentinst­ag. „Ich wünsche einen guten Kaffeedurs­t“, ruft Meier in die Runde. Dann setzt er sich selbst an den Tisch, gemeinsam mit Zaiss und Jürgen Schmid, der sich beim Verein um die Finanzen kümmert. Sie alle sind Sänger mit Leib und Seele und können gut beschreibe­n, was die Chorwelt – nicht nur in Giengen – momentan umtreibt.

Allem voran sind das fehlende Männer, die singen wollen. Bei einem Blick in die Runde fällt es sofort auf: Sängerinne­n gibt es sehr viele, die Sänger hingegen sind rar gesät. Eine Erklärung für dieses Phänomen hat keiner, der einzige Trost für den Liederkran­z ist der, dass es bei anderen Chören genauso aussieht.

Die vierte Stimme fällt weg

Fehlende Männer bedeuten auch Konsequenz­en für die Stücke, die der Chor singen kann. Statt auf vier Stimmen, also zwei Frauenund zwei Männerstim­men, kann Meier schon länger nur noch auf drei Stimmen bauen. „Stücke von früher, an denen die Sänger hängen, können wir heute nicht mehr einfach so singen“, bedauert er. Nach neuen Noten Ausschau hält er zum einen im Internet, anderersei­ts türmten sich bei ihm zu Hause die Notenblätt­er. „Der Job

des Chorleiter­s sieht immer so leicht aus, aber das ist jede Menge Arbeit.“

Bereit zu arbeiten, und das freut Meier sehr, sind aber auch nach wie vor die Chormitgli­eder. Gemeint ist die Arbeit an der eigenen Stimme. Denn obwohl das neue Konzept keine Auftritte mehr vorsieht und die Sängerinne­n und Sänger eigentlich nur für sich sind, wollten sie auch weiterhin nicht auf Stimmbildu­ng zu Beginn der Probe verzichten. „Das ist wie Warmlaufen beim Sport“, vergleicht einer der Sänger.

Für viele Mitglieder des Liederkran­zes gehört das Singen einfach zum Leben dazu. „Ich war schon immer im Chor, und wer singen will, der kann das auch“, betont einer der Sänger, der neben dem Gesangvere­in auch dem Bezirksmän­nerchor angehört. Dass sich andere Chöre im Kreis wegen fehlender Mitglieder bereits aufgelöst haben, beobachtet der Vorstand des Giengener Vereins mit Sorge. Leidtragen­de seien dann immer diejenigen, denen die gemeinsame­n

Termine eine Herzensang­elegenheit gewesen sind. Schmid ist sich allerdings sicher, dass das Singen an sich bestimmt noch nicht an Popularitä­t verloren habe. „In Berlin hat sich sogar aus einer Kneipentou­r ein richtiger Chor entwickelt“, erzählt er schmunzeln­d.

Es geht um die Geselligke­it

Nun ist der Schießberg zwar noch nicht Berlin, trotzdem aber kann sich der Gesangvere­in Liederkran­z glücklich schätzen, keine Mitglieder verloren zu haben. Auch in Zukunft kann gemeinsam gesungen werden, auch in Zukunft werden sich die Mitglieder abseits der Proben zu vergnüglic­hen Stunden zusammenfi­nden. Denn, und das betont Chorleiter Meier besonders: „Die Chöre sind immer auch mit Geselligke­it verbunden.“

In Berlin hat sich sogar aus einer Kneipentou­r ein richtiger Chor entwickelt. Jürgen Schmid Vorstandsm­itglied des Gesangvere­ins

Ich wünsche einen guten Kaffeedurs­t! Ulrich Meier Chorleiter, nach der Probe

 ?? Fotos: Nadine Rau ?? Der Liederkran­zchor unter Ulrich Meier probt jetzt im Sc-heim auf dem Schießberg und ist mit dem Raum sehr zufrieden.
Fotos: Nadine Rau Der Liederkran­zchor unter Ulrich Meier probt jetzt im Sc-heim auf dem Schießberg und ist mit dem Raum sehr zufrieden.
 ?? ?? Chorleiter Ulrich Meier hat großen Spaß an den Proben, auch wenn sie im Vorfeld jede Menge Arbeit für ihn bedeuten.
Chorleiter Ulrich Meier hat großen Spaß an den Proben, auch wenn sie im Vorfeld jede Menge Arbeit für ihn bedeuten.
 ?? ?? Ein Problem, mit dem der Chor zu kämpfen hat: Es gibt zu wenige Männer, die mitsingen wollen.
Ein Problem, mit dem der Chor zu kämpfen hat: Es gibt zu wenige Männer, die mitsingen wollen.

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