Zwei Welten
Vier Tage nach Ende der letztjährigen Münchner Sicherheitskonferenz überfielen russische Truppen die Ukraine. Noch immer sitzt der Schock über die Zerstörung der europäischen Friedensordnung tief. Aber im Grunde war der Krieg nur ein weiterer Beweis dafür, dass sich die internationale Ordnung unwiederbringlich verschiebt. Die Frage, was stattdessen kommt und welche Rolle Deutschland dabei spielen will, ist auch ein Jahr später nicht beantwortet. Denn Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock liegen in dieser Frage über Kreuz.
Von Scholz‘ Vor-vorgänger Gerhard Schröder (SPD) ist der Spruch überliefert, seine SPD sei der Koch und die Grünen mit Außenminister Joschka Fischer der Kellner. Nun, mehr als 20 Jahre später, wiederholt sich das Spiel. Erst vor einigen Wochen eskalierte dies beim Streit über die künftige nationale Sicherheitsstrategie für die nächsten Jahre – unter anderem anhand der Politik gegenüber China.
Worauf gehen diese unterschiedlichen Ansichten über die Außenpolitik zurück? Ein Blick in den Koalitionsvertrag hilft dabei weiter. Baerbocks Grüne legten darin viel Wert auf die Verankerung einer „wertebasierten“Außenpolitik, die internationale Beziehungen daraufhin abklopft, wie es ein Staat mit Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hält. Darauf pocht Baerbock. Und spricht das bei Besuchen auch gerne deutlich an. Ihre Ambition als Grünen-politikerin gilt nicht dem Wohlergehen Deutschlands um jeden Preis, sondern der Verbesserung der Welt mit grünen Rezepten.
Olaf Scholz agiert anders. Er bewertet internationale Beziehungen in erster Linie danach, inwieweit sie in Deutschlands Interesse liegen. Immer wieder zitiert er seinen Amtseid, wonach er Schaden vom deutschen Volk abwenden müsse. Scholz sieht die Stärke Deutschlands ganz offensichtlich vor allem in der Verankerung in internationalen Bündnissen und sucht sich lieber dort zunächst Mitstreiter, bevor er einen Schritt nach vorn macht. Deshalb kam Baerbocks Versuch, ihn in der Panzerfrage unter Druck zu setzen, im Kanzleramt gar nicht gut an. Hier die forsche Oberlehrerin, die mit einem klaren Kurs
Scholz wird zeigen, dass er der Koch ist. Und Baerbock, dass sie mit dem Job als Kellnerin nicht zufrieden ist.
durch den Sturm pflügen will, dort der pragmatische Bedenkenträger, der lieber den Wind mitnimmt, um möglichst unbeschadet an der Krise vorbei zusegeln. Hier treffen zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze von Politik aufeinander. Umfragen zeigen, dass die Deutschen eher zu Scholz‘ vorsichtiger Linie tendieren.
Birgt dieser Riss schlechte Aussichten für Deutschlands internationales Standing? In einer Welt, in der die westliche Ordnung ihre Dominanz einbüßt und das Wettrennen um die Deutungshoheit der Weltlage begonnen hat? Und wo möglicherweise neue Allianzen geschmiedet werden müssen, um Deutschlands Einfluss zu sichern? Einen kleinen Einblick wird die Münchner Sicherheitskonferenz geben, bei der die Ministerin und der Kanzler separat auftreten werden. Wo einer klarmachen wird, dass er der Koch ist. Und eine, dass sie mit dem Job als Kellnerin nicht zufrieden ist.