Comeback des Frohsinns
Nach coronabedingter Abstinenz ist der Karneval wieder da – mit Menschenmengen, Schunkeln und Küssen. Von Petra Albers und Jonas-erik Schmidt, dpa
Rathausstürmer, Schlipsjäger, Wildpinkler – die „tollen Tage“feiern ihr Comeback: In den Hochburgen des närrischen Frohsinns hat am Donnerstag der Straßenkarneval begonnen, erstmals wieder ohne Corona-auflagen. In Köln ließ das Dreigestirn aus Prinz, Bauer und Jungfrau die Jecken los. In Bonn griffen die Waschweiber an. In Düsseldorf nahmen die Möhnen den Bürgermeister gefangen. „Zwei Jahre hattet ihr Ruhe vor uns, aber heute ist Frauenpower angesagt“, rief die Karnevalsprinzessin „Venetia“Uasa Maisch.
„Das Wetter stimmt, die Stimmung stimmt, die Leute haben Lust, wieder gemeinsam etwas zu erleben, was wir zwei Jahre lang nicht konnten – da gibt es viel Nachholbedarf “, sagte der Kölner Karnevalspräsident Christoph Kuckelkorn. Köln war erneut das Ziel zehntausender Feiernder von auswärts. Die Polizei war mit gut 2000 Beamten im Einsatz.
Vor den einschlägigen Karnevalskneipen hatten sich schon gegen 8 Uhr morgens erste Warteschlangen gebildet. Auch die Kölner Altstadt füllte sich zusehends. Zum Beispiel mit zehn Frauen, die sich dort in pinken Flamingo-fellkostümen um einen gut gefüllten
Bollerwagen mit montierter Theke positionierten. Sie waren aus dem hessischen Rüdesheim angereist – wie schon seit 20 Jahren, erzählen sie.
„Wir freuen uns total, dass wir endlich wieder richtig Karneval feiern können“, sagt Susanne, eine von ihnen. Während der Corona-jahre habe sie an Weiberfastnacht „auf dem Sofa geflennt“und alte Karnevalssendungen in der Mediathek geguckt.
Nrw-innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dem „Kölner Stadt-anzeiger“, es sei dieses Jahr ein besonderer Karneval, weil Krieg, Inflation und Geldsorgen viele Menschen belasteten: „Umso wichtiger, dass es diese Tage gibt, an denen man mal für einige Stunden abschalten und die Sorgen beiseitelegen kann.“
Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker rief zu großzügiger Hilfe für die Opfer des Erdbebens in der Türkei und in Syrien auf.
Die Stadt hatte in Köln vorsorglich 550 Mobiltoiletten, 140 Urinale, 20 Urinalrinnen und elf Toilettenwagen aufgestellt. Ordnungsamtschefin Athene Hammerich drohte: „Wildes Urinieren wird der Ordnungsdienst konsequent ahnden.“
Auch in Rheinland-pfalz übernahmen die Narren in vielen Städten das Kommando. Schlipse würden kaum noch abgeschnitten, sagte die Vorsitzende des Möhnen-clubs in Mülheim-kärlich nördlich von Koblenz, Kornelia Punstein: „Dieser Brauch geht leider verloren. Welcher Mann trägt heute noch Schlips?“
In Mainz feierten Melanie, Jessi und Anne auf dem Schillerplatz. Sie sei gefragt worden, ob sie Piratenbraut sei, sagte Melanie. Aber: „Nein, ich bin Piratin. Ich bin ja nicht von einem Typ abhängig.“
In Baden-württemberg begann die schwäbisch-alemannische Fastnacht. In Konstanz zogen am Morgen die „Blätzlebuebe“durch die Gassen, um die Anwohner zu wecken. In vielen Gemeinden wurden Schüler aus dem Unterricht befreit und Rathäuser gestürmt. Die Bürgermeister mussten symbolisch ihre Schlüssel herausrücken – bis Aschermittwoch haben die Narren das Sagen. Am Abend sollte sich in Stockach im Kreis Konstanz der Fdp-politiker Wolfgang Kubicki vor dem „Narrengericht“verantworten.
Die ursprüngliche Bedeutung des Karnevals aus dem Mittelalter besteht darin, die Welt für einige Tage auf den Kopf zu stellen und die Rollen zu tauschen: Nonnen durften sich danebenbenehmen, Knechte ihre Herren ausschimpfen. Große Teile Deutschlands erwiesen sich jedoch als nicht karnevalisierbar, und das ist so geblieben: Umfragen zeigen immer wieder, dass das närrische Treiben die Mehrheit der Menschen kalt lässt.
Die Narren haben das Sagen.