Vorzeichen des Sturms
Vor lauter Zeitenwende gerät bisweilen aus dem Blick, dass es schon vor dem 24. Februar eine Art kleine deutsche Zeitenwende gab. Erstmals wird das Land von einer echten Dreierkoalition regiert, einem Bündnis, in dem die alte Einteilung zwischen Groß und Klein nicht mehr gilt.
Lange wurden die mit der Neuerung einhergehenden Schwierigkeiten verdeckt vom Krieg in der europäischen Nachbarschaft und seinen Auswirkungen. Krisenmanagement war gefordert – und man muss anerkennen, dass sich die Ampel trotz ihrer Unerprobtheit dabei nicht schlecht geschlagen hat. Was wohl auch daran lag, dass die Lösung für viele der kriegsinduzierten Probleme darin bestand, Geld draufzuwerfen.
2023 aber dürfte das Jahr des Umsteuerns werden – weg von der reaktiven Bewältigung, hin zur aktiven Gestaltung – und somit die wahre Bewährungsprobe für Rot-grün-gelb. Die für alle Beteiligten eher enttäuschende Berlin-wahl samt der jeweiligen Reaktion wirkt daher wie ein politisches Wetterleuchten vor dem Sturm. In Sachen Auto zum Beispiel türmt sich der Konflikt zwischen Grünen und FDP derzeit zur Gewitterwolke, Aufklaren nicht in Sicht.
Und auch die jüngste Haushaltsdebatte der besten Brieffreunde Christian Lindner und Robert Habeck zeigt, wohin die Entwicklung gehen könnte. Für dieses Mal scheinen alle Akteure nahezu erschrocken über den postalischen Funkenschlag, den sie erzeugt hatten. Beim nächsten Mal könnte die ganze Hütte Feuer fangen.
Bislang reiben sich ausgerechnet die beiden Partner aneinander, die sich mit ihrem Selfie vor 17 Monaten noch als den wahren Ampel-kern inszeniert hatten. Und ermöglichen es so der SPD, sich nicht nur aus Ärger weitgehend rauszuhalten, sondern wie der unantastbare Dachverband der ganzen Unternehmung daherzukommen. Allerdings: Die zunehmende Konkurrenz zwischen Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz könnte anzeigen, dass sich die Dynamiken ändern.
Wie aber soll es nun laufen im politischen Dreiecksverhältnis? Das alte Prinzip, wonach der Größer-als-40prozent-partner dem Kleiner-als-10prozent-partner
Die Ampel-parteien suchen nach maximaler Profilierung – vor maximalem Publikum.
dosiert Erfolge und Öffentlichkeitspunkte gönnt, funktioniert schon mangels klarer Größenverhältnisse nicht. Und auch die Methode, Ergebnisse zwischen wenigen Akteuren ohne größeres Aufhebens zu verabreden, hat sich überlebt. Ihr Heil suchen die Parteien in maximaler Profilierung – vor maximalem Publikum. Auch unter dem Vorzeichen muss der Schriftwechsel zwischen Robert und Christian gelesen werden.
Die Krux ist: Was die eigenen Anhänger womöglich begeistert und im besten Fall am Wahltag mobilisiert, sieht ein Gutteil der Bürger mit Grausen. Streit schreckt ab, und er erschwert den Weg zum Kompromiss. Die Ampel muss also nichts weniger erfinden als eine neue Form des politischen Wettbewerbs, der weder Deutlichkeit noch Rampenlicht scheut – und doch die Zuschauer nicht verstört. Die aber müssen auch bereit sein, sich auf diese Form der politischen Zeitenwende einzulassen.