Liebe Nebelbank,
eigentlich sollten wir uns freuen. Auf Schnee ist kein Verlass mehr im Winter, doch Du bleibst uns treu. Keine Saison, in der nicht überall im Südwesten die Sonne strahlt, während die Heidenheimer Gegend in wabernden Wassertröpfchen verharrt. Darüber freuen sich dann die Menschen in Aalen, wo man im Februar bereits die Kokosnüsse erntet. In Heidenheim ärgern wir uns.
Aber nochmals: Warum eigentlich? Wir lieben es in der Gegend, wenn die Luft so extrem klar ist, dass wir am Horizont die Alpen sehen, als könne man mal eben hinradeln. Das ist selten, aber wir genießen es immer sehr.
Und das extreme Gegenteil ist ja auch nicht alltäglich: Die Sichtweite schrumpft auf die Länge eines Tennisplatzes, und man sieht weder die Alpen noch den nächsten Berg, nicht einmal das übernächste Haus. Hat doch auch was!
Ganz besonders in Heidenheim, wo die Einwohner gerne über das Gesicht der Stadt mäkeln. Zu wenig Altstadt! Betonwarzen von geradezu berückender Scheußlichkeit!
Ist es da nicht geradezu gnädig, wenn sich einmal eine stattliche Nebelbank vor die Aussicht schiebt, wenn sich eine wohlige Decke aus Dunst über all den architektonischen Murks legt? Wer auf dem Hellenstein steht, sieht im Tal gar nichts – und darf träumen, wie ein Rothenburg ob der Brenz aussehen würde.
Südlich von Mergelstetten kann man lustwandeln und dabei nachfühlen, wie es hier einst ausgesehen haben muss, als noch kein Zementwerk im Tal stand. Denn auch hier geht der Beton einfach im Nebel unter, und man muss dem Betrieb schon sehr nahe kommen, um überhaupt etwas von seinem Weichbild zu erahnen. Was, wenn dort gar kein Zementwerk wäre, sondern . . . ein Brenzsee zum Beispiel, wie in Itzelberg? Ein Wasserschloss, wie einst in Bergenweiler?
Manche Menschen kaufen sich heute Virtual-reality-brillen, um etwas zu sehen, was gar nicht da ist. Das kannst Du, liebe Nebelbank, schon lange. Sichtweite weg und Kopfkino an. Oft kann es nur schöner werden. Aber Du liest das ja eh wieder nicht.