Die Unmöglichkeit der Liebe
Mit der Verfilmung des Romans „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“von Daniela Krien und Margarethe von Trottas Hommage an Ingeborg Bachmann spielt das deutsche Kino im Wettbewerb literarisch auf.
Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie“, steht es auf dem Zettel, den die junge Maria in ihrem Buch findet. Es ist ein Zitat Knut Hamsums. Einfache, klare Worte – typisch für den norwegischen Schriftsteller. Und doch enthalten sie so ziemlich alles. Das Archaische in der Anziehung zwischen ihr und Henner, der den Zettel im Buch hinterließ. Dessen gieriges Verlangen. Ihre bereitwillige Hingabe. Die animalische Sexualität, der sich beide ergeben.
Es ist eine aggressiv-sehnsuchtsvolle Liebesgeschichte, die Emily Atef in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“in warmen Farbtönen inszeniert. Die Literaturverfilmung, die auf dem gleichnamigen Roman von Daniela Krien beruht, feierte auf der Berlinale Premiere.
Film wie Roman führen in die ostdeutsche Provinz. Es sind die diffusen Jahre der Wende, dem Dazwischen, in dem alte Gewohnheiten zerbröseln und neue Ordnungen sich aufdrängen. Die gerade noch 18-jährige Maria (Marlene Burow) lebt mit der Familie ihres Freundes Johannes (Cedric Eich) auf deren Bauernhof. Statt zur Schule zu gehen, wo selbst das Lehrerkollegium nur zur Hälfte verblieben ist, treibt Maria orientierungslos auf den Wogen der Wendejahre. Zuflucht findet sie in Büchern.
Lieber scheint sie Zeit mit Dostojewski und den Gebrüdern Karamasow zu verbringen als mit ihrem Freund. Der frisch gebackene Abiturient ist ohnehin fleißig am Planen der eigenen Zukunft als Fotograf. So lässt Maria immer häufiger den Blick über die Felder zum Nachbarhof wandern. Dort lebt der trinkfreudige Eigenbrötler und Pferdezüchter Henner (Felix Kramer). Der mag zwar älter als ihre Mutter sein, dennoch übt Henner auf Maria eine eigenwillige Anziehung aus. Maria sucht den Kontakt, bis sich die beiden schließlich näherkommen – mit ungehemmter Intensität. Durch konkrete Beschreibungen sexueller Intermezzi sorgte schon
Daniela Krien mit ihrem Roman für Aufsehen. Regisseurin Emily Atef übersetzt den Text in ein visuelles Wechselspiel aus körperlicher Poesie und vorzeitlichem Trieb. Es sind Darstellungen von rohem, rauen Sex, den sich Henner gut und gern bei seinen Deckhengsten abgeguckt haben könnte. Fast ist man erleichtert, wenn die Kamera den beiden einmal nicht ins Schlafzimmer folgt.
Um das nötige Vertrauen für die intensiven Szenen herzustellen, wurde eine Intimitätskoordinatorin hinzugezogen. Atef spricht auf der Pressekonferenz von einer eingeprobten Choreografie. „Ich hätte nicht gedacht, dass man so angstfrei in solche
Szenen gehen kann“, sagte Hauptdarstellerin Marlene Burow. „Das war eine schöne Erfahrung.“
Die Szenen dürften vielen am deutlichsten in Erinnerung bleiben. Dabei ist ihre Dominanz fast zu bedauern. Sie drohen die gekonnte Inszenierung einer komplexen, aber letztlich immer ehrlichen Beziehung zweier Menschen zu überschatten, die nur vermeintlich grundverschieden sind. So teilen sich Maria und Henner auch die Leidenschaft zur Literatur. Ihre brennende Sehnsucht wird auch deshalb zur Liebe. Einer schmerzlichen, tragischen Liebe.
Und noch eine Liebe, die als Amour Fou beginnt und tragisch endet: die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. 1958 lernen sie sich bei einer Premiere in Paris kennen, bald zieht sie zu ihm nach Zürich und dann weiter nach Rom, doch Eifersucht, Rollenbilder, Dominanz und künstlerische Konkurrenz lassen die Beziehung zunehmend toxisch werden. Ingeborg Bachmann wird sich nur schwer von der Trennung erholen.
Undankbare Rolle gemeistert
Margarethe von Trotta, die Grande Dame des deutschen Films und spezialisiert auf große Frauenfiguren wie Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen oder Hannah Arendt, erzählt die Geschichte in Zeitsprüngen: im Rückblick, während einer Reise nach Ägypten, die Bachmann mit dem jungen Adolf Opel unternimmt, und dazwischen die Reise in die Hölle des Beziehungskonflikts.
Getragen wird der Film fast ausschließlich von zwei Schauspielern: Vicky Krieps, unlängst als Kaiserin Sisi zu erleben, die Ingeborg sehr jung, verunsichert, schmal gibt, sehnsüchtig nach einem Halt im Leben, der ihrem Freiheitswillen doch so widerspricht. Und Ronald Zehrfeld, der für die undankbare Rolle des Max Frisch, der seine Freundin lieber am Herd als im Scheinwerferlicht des Literaturbetriebs sähe, Verständnis, am Ende fast Sympathie weckt. Wie viel Aggression das mechanische Klappern einer Schreibmaschine in so einer angespannten Beziehung auslösen kann, wird schmerzhaft spürbar.
Und doch gelingt die Übertragung von Literatur in Film bei „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“nur bedingt: Die Dialoge klingen papiern, wo sie auf Originaltext basieren, die Sprache der Literatur übersetzt sich nicht ins Bild. Wer das wahre Drama kennenlernen will, greife zum Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch.