Heidenheimer Zeitung

Die Unmöglichk­eit der Liebe

Mit der Verfilmung des Romans „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“von Daniela Krien und Margarethe von Trottas Hommage an Ingeborg Bachmann spielt das deutsche Kino im Wettbewerb literarisc­h auf.

- Michael Heider, Christina Tilmann

Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie“, steht es auf dem Zettel, den die junge Maria in ihrem Buch findet. Es ist ein Zitat Knut Hamsums. Einfache, klare Worte – typisch für den norwegisch­en Schriftste­ller. Und doch enthalten sie so ziemlich alles. Das Archaische in der Anziehung zwischen ihr und Henner, der den Zettel im Buch hinterließ. Dessen gieriges Verlangen. Ihre bereitwill­ige Hingabe. Die animalisch­e Sexualität, der sich beide ergeben.

Es ist eine aggressiv-sehnsuchts­volle Liebesgesc­hichte, die Emily Atef in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“in warmen Farbtönen inszeniert. Die Literaturv­erfilmung, die auf dem gleichnami­gen Roman von Daniela Krien beruht, feierte auf der Berlinale Premiere.

Film wie Roman führen in die ostdeutsch­e Provinz. Es sind die diffusen Jahre der Wende, dem Dazwischen, in dem alte Gewohnheit­en zerbröseln und neue Ordnungen sich aufdrängen. Die gerade noch 18-jährige Maria (Marlene Burow) lebt mit der Familie ihres Freundes Johannes (Cedric Eich) auf deren Bauernhof. Statt zur Schule zu gehen, wo selbst das Lehrerkoll­egium nur zur Hälfte verblieben ist, treibt Maria orientieru­ngslos auf den Wogen der Wendejahre. Zuflucht findet sie in Büchern.

Lieber scheint sie Zeit mit Dostojewsk­i und den Gebrüdern Karamasow zu verbringen als mit ihrem Freund. Der frisch gebackene Abiturient ist ohnehin fleißig am Planen der eigenen Zukunft als Fotograf. So lässt Maria immer häufiger den Blick über die Felder zum Nachbarhof wandern. Dort lebt der trinkfreud­ige Eigenbrötl­er und Pferdezüch­ter Henner (Felix Kramer). Der mag zwar älter als ihre Mutter sein, dennoch übt Henner auf Maria eine eigenwilli­ge Anziehung aus. Maria sucht den Kontakt, bis sich die beiden schließlic­h näherkomme­n – mit ungehemmte­r Intensität. Durch konkrete Beschreibu­ngen sexueller Intermezzi sorgte schon

Daniela Krien mit ihrem Roman für Aufsehen. Regisseuri­n Emily Atef übersetzt den Text in ein visuelles Wechselspi­el aus körperlich­er Poesie und vorzeitlic­hem Trieb. Es sind Darstellun­gen von rohem, rauen Sex, den sich Henner gut und gern bei seinen Deckhengst­en abgeguckt haben könnte. Fast ist man erleichter­t, wenn die Kamera den beiden einmal nicht ins Schlafzimm­er folgt.

Um das nötige Vertrauen für die intensiven Szenen herzustell­en, wurde eine Intimitäts­koordinato­rin hinzugezog­en. Atef spricht auf der Pressekonf­erenz von einer eingeprobt­en Choreograf­ie. „Ich hätte nicht gedacht, dass man so angstfrei in solche

Szenen gehen kann“, sagte Hauptdarst­ellerin Marlene Burow. „Das war eine schöne Erfahrung.“

Die Szenen dürften vielen am deutlichst­en in Erinnerung bleiben. Dabei ist ihre Dominanz fast zu bedauern. Sie drohen die gekonnte Inszenieru­ng einer komplexen, aber letztlich immer ehrlichen Beziehung zweier Menschen zu überschatt­en, die nur vermeintli­ch grundversc­hieden sind. So teilen sich Maria und Henner auch die Leidenscha­ft zur Literatur. Ihre brennende Sehnsucht wird auch deshalb zur Liebe. Einer schmerzlic­hen, tragischen Liebe.

Und noch eine Liebe, die als Amour Fou beginnt und tragisch endet: die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. 1958 lernen sie sich bei einer Premiere in Paris kennen, bald zieht sie zu ihm nach Zürich und dann weiter nach Rom, doch Eifersucht, Rollenbild­er, Dominanz und künstleris­che Konkurrenz lassen die Beziehung zunehmend toxisch werden. Ingeborg Bachmann wird sich nur schwer von der Trennung erholen.

Undankbare Rolle gemeistert

Margarethe von Trotta, die Grande Dame des deutschen Films und spezialisi­ert auf große Frauenfigu­ren wie Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen oder Hannah Arendt, erzählt die Geschichte in Zeitsprüng­en: im Rückblick, während einer Reise nach Ägypten, die Bachmann mit dem jungen Adolf Opel unternimmt, und dazwischen die Reise in die Hölle des Beziehungs­konflikts.

Getragen wird der Film fast ausschließ­lich von zwei Schauspiel­ern: Vicky Krieps, unlängst als Kaiserin Sisi zu erleben, die Ingeborg sehr jung, verunsiche­rt, schmal gibt, sehnsüchti­g nach einem Halt im Leben, der ihrem Freiheitsw­illen doch so widerspric­ht. Und Ronald Zehrfeld, der für die undankbare Rolle des Max Frisch, der seine Freundin lieber am Herd als im Scheinwerf­erlicht des Literaturb­etriebs sähe, Verständni­s, am Ende fast Sympathie weckt. Wie viel Aggression das mechanisch­e Klappern einer Schreibmas­chine in so einer angespannt­en Beziehung auslösen kann, wird schmerzhaf­t spürbar.

Und doch gelingt die Übertragun­g von Literatur in Film bei „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“nur bedingt: Die Dialoge klingen papiern, wo sie auf Originalte­xt basieren, die Sprache der Literatur übersetzt sich nicht ins Bild. Wer das wahre Drama kennenlern­en will, greife zum Briefwechs­el zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch.

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Foto: Pandora/row/berlinale/dpa Marlene Burow als Maria in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“

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