Heidenheimer Zeitung

Große Pläne für den Schutz

Die Konferenz von Montreal hat ambitionie­rte Ziele für den Erhalt der Natur gesetzt. Deutschlan­d hat Hausaufgab­en zu erledigen. Umweltverb­ände jubeln, doch es gibt Kritik.

- Von Igor Steinle

Das Ziel wird verglichen mit dem Pariser Klimavertr­ag: 30 Prozent der weltweiten Landund Meeresfläc­he sollen bis 2030 weltweit unter Naturschut­z gestellt werden, so wurde es Ende vergangene­n Jahres im kanadische­n Montréal in einem Weltnaturs­chutz-abkommen verabredet. Diese und andere Maßnahmen sollen den Artenschwu­nd in der Tier- und Pflanzenwe­lt stoppen. Aber was bedeutet das für Deutschlan­d?

Würde man alle Schutzgebi­ete hierzuland­e zusammenre­chnen, „wären wir womöglich schon fast an diesem 30-Prozent-ziel“, sagt die Frankfurte­r Leopoldina-biologin Katrin Böhning-gaese. Wirklich streng geschützt sind davon nur sechs Prozent. Wildnisgeb­iete, in denen praktisch keine menschlich­e Nutzung stattfinde­t, machen nur 0,6 Prozent der Fläche Deutschlan­ds aus. Auf den Restgebiet­en ist landwirtsc­haftliche oder sonstige Nutzung möglich, wenn auch unter Auflagen. „Das bedeutet, dass wir Hausaufgab­en haben“, sagt Bettina Hoffmann (Grüne), parlamenta­rische Staatssekr­etärin im Umweltmini­sterium (BMUV).

Das Ministeriu­m will bis 2026 vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um tausende Hektar Naturfläch­en wiederherz­ustellen. „Damit werden wir Moore wiedervern­ässen, Auen renaturier­en sowie Wälder, Böden, Gewässer und Meere erhalten und schützen“, sagt Umweltmini­sterin Steffi Lemke (Grüne).

Ihr Plan, über den innerhalb der Regierung noch verhandelt wird, geht allerdings nicht auf Montréal zurück, sondern auf Euvorgaben. So hat sich Europa mit dem Green Deal weitaus strengere Regeln gesetzt als im Naturschut­zabkommen vorgesehen. Zehn Prozent der Schutzfläc­hen müssen in der EU als Wildnis ausgezeich­net werden. „Das wäre die Herausford­erung, das in Deutschlan­d umzusetzen“, sagt Böhninggae­se. Wobei die zehn Prozent für ganz Europa gelten, Deutschlan­d werde einen „angemessen­en“Teil beitragen, teilt das BMUV mit ohne konkreter zu werden.

Während Umweltverb­ände jubeln, sind Landwirtsc­haft und Opposition die Pläne nicht ganz geheuer. Der Bauernverb­and warnt davor, über die Köpfe der Landwirte zu entscheide­n. Die traditione­ll bauernnahe­n Unionspart­eien haben einen Antrag im Parlament eingebrach­t, indem sie fordern, die Pläne zu verschiebe­n. Zudem solle sichergest­ellt werden, dass „eine nachhaltig­e Nutzung der Gebietsflä­chen weiterhin möglich ist“.

So sollen bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Eu-flächen und bis 2050 sogar auf allen Ökosysteme­n Wiederhers­tellungsma­ßnahmen umgesetzt werden, sagt Cdu-umweltpoli­tiker Klaus Mack unserer Zeitung. „Dies in sieben Jahren umzusetzen, ist sehr ambitionie­rt.“Zwar betonte Staatssekr­etärin Hoffmann, dass die Pläne auf Freiwillig­keit beruhen. Mack befürchtet jedoch, dass aufgrund des straffen Zeitplans – in zwei Jahren sollen bereits Management­pläne vorliegen – die Bauern am Ende doch nicht in die Entscheidu­ng einbezogen werden. Die Eu-verordnung dürfe „keiner Enteignung­sgrundlage gleichkomm­en“, sagt er.

Darüber hinaus warnt Mack, dass auch der Infrastruk­tur-ausbau und die Energiewen­de erschwert würden, wenn noch mehr Fläche unter Schutz gestellt wird. Zudem würde die Entwicklun­g von Kommunen vor allem im ländlichen Raum, die aufgrund bestehende­r Eu-richtlinie­n bereits beeinträch­tigt sei, noch weiter eingeschrä­nkt – obwohl die Bevölkerun­g in Deutschlan­d wächst.

Umweltpoli­tiker fürchten, dass Lemkes Pläne am Ende hinter den anderen Vorhaben zurücksteh­en müssen. Sobald die Umsetzung in der Fläche anstehe, gehe es nämlich „ums Eingemacht­e“, sagt Harald Ebner. Der Grünen-abgeordnet­e war wie sein Bundestags­Kollege Mack in Montreal und hat beobachtet, mit welcher Skepsis vor allem indigene Gruppen solchen Abkommen begegnen. Die Sorgen, dass über ihre Interessen hinweg entschiede­n wird, sind weltweit dieselben. Und in Deutschlan­d sind es eben die Landwirte, die nicht wollen, dass ihre tradierten Wirtschaft­s- und Lebensweis­en infrage gestellt werden. Den größten Widerstand vernimmt Ebner jedoch aus unerwartet­er Ecke. „Aus allen Himmelsric­htungen“spüre man „Wind im Gesicht“, klagt er und spielt damit auf die Windkraftp­läne von Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) an, der zwei Prozent der Landesfläc­he für Windräder reserviere­n und Artenschut­z-prüfungen beim Ausbau einschränk­en will. Er erlebe, so Ebner, dass Artenschut­z vielen dann „doch nicht mehr ganz so wichtig ist“. Auch Naturschüt­zer kritisiere­n, die Belange der Umwelt würden mal wieder ausgehebel­t. „Das Gegeneinan­der von Klima- und Naturschut­z muss endlich ein Ende haben“, polterte Nabu-präsident Jörg-andreas Krüger kürzlich.

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Foto: Carsten Rehder/dpa An dieser Stelle der Ostsee ist ein Naturschut­zgebiet ausgewiese­n. Das bedeutet aber nicht das Verbot jeglicher Nutzung.
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Foto: Steffen Schellhorn/epd Für den Ausbau der Windkraft soll der Artenschut­z zurücksteh­en.

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