Gestalter gesucht
Dass Kanzlerin Angela Merkel Krise konnte, daran zweifeln nicht mal die, die ihre Politik ansonsten für wenig gelungen halten. Allerdings haben gerade die jüngsten Großkrisen Flüchtlinge, Corona und Krieg, von denen Merkel noch zwei im Amt erlebte, einige der bittersten Alltagsversäumnisse der ehemaligen Cduregierungschefin offengelegt: geregelte Einwanderung verhindert, Digitalisierung versäumt, Energiewende verschleppt, Rohstoffabhängigkeit von zweifelhaften Partnern zugelassen. Selbst einigen in der Union schwant, dass man trotz 16 Jahren an der Macht einige Megatrends verpasst hat.
Vor lauter Krisenbewältigung die vorausschauende Politik zu vernachlässigen, ist also etwas, das der Ampel auf keinen Fall passieren soll. Und was die Partner, im zweiten Jahr der Koalition, nun unbedingt anpacken wollen: „Wir müssen endlich ins Machen kommen“, heißt es beschwörend. Schließlich steht „Fortschritt“schon in der Überschrift des Koalitionsvertrags, und in den ersten Sätzen ist von „Zukunft“, „Modernisierung“und „Neuerungen“die Rede. Man kann sagen, dass es diese Vorwärtsbewegung war, die das Zustandekommen des Bündnisses erst ermöglichte und die es – gleichsam durch Geschwindigkeit – stabilisieren sollte.
Hinzu kommt: Es gibt in dieser Koalition gleich zwei Parteien, die schon aus strategischen Gründen nicht im Modus der Übel-abwehr verharren können. Denn Krisenkanzler/in kann immer nur ein/e sein – die Erfolge zahlen ungleichmäßig ein. Auch die Pluspunkte, die die Ampel bei der Bewältigung von Ukrainekrieg und Energie-krise eingesammelt hat, lagern eher nicht bei FDP und Grünen. Und: Absichern mag unter den herrschenden Umständen für sozialdemokratische Wähler noch zufriedenstellend sein, Liberale und Grüne aber erwarten, dass ihre Leute in der Regierung mindestens gestalten und am besten verändern.
Was eine neue Dynamik für das Binnenklima der Ampel bedeuten würde, ist inzwischen allerdings alles andere als ausgemacht: Immerhin haben die drei Partner nun schon fast 15 gemeinsame Monate auf dem Buckel, inklusiver einiger handfester Konflikte und schockierender Wahlergebnisse.
Es könnte sein, dass die Modernisierung, die das Bündnis zusammenhalten sollte, Fliehkräfte entwickelt.
So herrscht beispielsweise nicht mal innerhalb der FDP Konsens darüber, was nun die Schlussfolgerung aus dem jüngsten Flop in Berlin sein sollte: mehr Regierungs-pragmatismus oder mehr Partei-purismus? Davon hängt einiges ab.
Es könnte also durchaus sein, dass ausgerechnet die Modernisierungspläne, die das Bündnis zusammenschweißen sollten, ihre ganz eigenen Fliehkräfte entwickeln. Beispiel Verkehrswende, Beispiel Energiemix, Beispiel Datenschutz.
Es könnte aber auch das passieren, was schon zu Angela Merkels Zeiten passierte: Dass auf eine Krise die nächste folgt – und einfach kaum Zeit und Kraft zum geplanten Regieren bleibt. Und dass sich herausstellt, dass kurzfristiges Reagieren unter massivem Druck zwar stressig ist, aber auf seine ganz eigene Art womöglich einfacher als das mühsame Geschäft des Gestaltens.