Heidenheimer Zeitung

Wut und Verunsiche­rung

Auf Lörrach prasselt ein Shitstorm nieder, weil dort Mieter für Geflüchtet­e eine Unterkunft verlassen sollen. Die Stadt hält an ihren Plänen fest.

- Von Jonas Hirt mit dpa

Der Putz bröckelt von den Wänden. Wolfgang Geitner läuft durch den schmalen dunklen Gang seiner Wohnung und nimmt am Tisch im Wohnzimmer Platz, die Verärgerun­g ist ihm anzusehen. „Es hat mich überrascht“, sagt er. „Damit habe ich nicht gerechnet.“Wer sich mit seinen Nachbarn unterhält, hört ähnliche Sätze. Aber auch Wut – auf die Stadt Lörrach und die städtische Wohnbauges­ellschaft.

Geitner wohnt in der Wölblinstr­aße in einem der fünf Häuser, die die Stadt Lörrach für die Anschlussu­nterbringu­ng von Geflüchtet­en nutzen möchte. Sie mietet die Häuser bei der städtische­n Wohnbauges­ellschaft. Die Folge: Rund 40 Menschen sollen die Häuser verlassen und in anderen Wohnungen unterkomme­n.

Ende der vergangene­n Woche wurden die Bewohner von der Wohnbau Lörrach in einem Schreiben erstmals darüber informiert. Darin steht, an die Mieter gewandt: „Für Sie bedeutet das, dass wir in Kürze das mit Ihnen vereinbart­e Mietverhäl­tnis kündigen werden.“Ein Teil des Schreibens wird tausendfac­h bei Twitter geteilt, es taucht unter anderem in Facebook- und Telegramgr­uppen auf.

Der Geschäftsf­ührer der Wohnbau Lörrach, Thomas Nostadt, spricht von einem Shitstorm. Er sagt auf Anfrage, dass dieses übliche Vorgehen in der Vergangenh­eit stets funktionie­rt habe. Und er zeigt sich zuversicht­lich, dass sich die Sache auch diesmal klären lässt. Natürlich löse das Schreiben erstmal einen Schock aus. Aber durch eine Bewohnerve­rsammlung und durch Einzelgesp­räche – beides war ohnehin geplant – wolle man die Situation lösen.

Wegen der Debatten fällt die für kommenden Montag angekündig­te Bewohnerve­rsammlung nun allerdings aus. „Die Stimmung ist zu aufgeheizt“, sagt Nostadt am Mittwoch bei einer Pressekonf­erenz, zu der Oberbürger­meister Jörg Lutz (parteilos) eingeladen hatte. Er und Lutz beklagen, dass Mitarbeite­r beschimpft und bedroht worden seien. Nostadt spricht von „hunderten Hassmails“.

Die Gebäude in der Wölblinstr­aße hätten ohnehin bald abgerissen und dort neu gebaut werden sollen. Laut Nostadt hätte dies in zwei bis drei Jahren angestande­n – bei einer normalen Lage. Bis zum Jahresende könnten dort schon Geflüchtet­e einziehen – nicht nur Ukrainer, teilt die Verwaltung auf Nachfrage mit.

Mit diesem Vorgehen habe die Wohnbau Lörrach bisher stets einen Rechtsstre­it vermeiden können, heißt es. Zuletzt seien bei einem anderen Projekt mehr als 100 Menschen umquartier­t worden.

In der Wölblinstr­aße geht es um 30 Wohnungen mit insgesamt rund 40 Bewohnerin­nen und Bewohnern. Es sind also hauptsächl­ich Ein-personen-haushalte, für die moderner Ersatz gefunden werden soll. „Die erste Wohnung ist schon gefunden“, sagt Nostadt am Mittwoch. Und Rathausche­f Lutz erwartet, dass förmliche Kündigunge­n für die alten Wohnungen aus den 1950er Jahren gar nicht nötig seien, da es Angebote für die Mieter geben solle.

Wer sich vor Ort mit den Bewohnern unterhält, spürt nicht nur die Wut oder die Unsicherhe­it. Es gibt auch die Forderung nach einem adäquaten Ersatz, und mehrere Menschen machen deutlich: Sie wollen nicht mehr bezahlen. Mehrere Bewohner geben an, dass sie zurzeit um die 400 Euro Kaltmiete zahlen würden.

Es ist kein Geheimnis, dass der Wohnungsma­rkt in der Grenzregio­n angespannt ist – Lutz verweist vor diesem Hintergrun­d immer wieder auf die Herausford­erung, Geflüchtet­e unterzubri­ngen. Die Stadt setzt nicht nur auf die Wölblinstr­aße, an der Grenze zur Schweiz soll ein Containerd­orf für fast 200 Geflüchtet­e entstehen. Das leerstehen­de ehemalige Polizeirev­ier ist auch im Gespräch, dort könnten 100 Menschen unterkomme­n.

Für den Weg, die Gebäude in der Wölblinstr­aße zu nutzen, gibt es Unterstütz­ung aus den Gemeindera­tsfraktion­en, in zwei Ausschüsse­n wurde das Thema behandelt. Lutz verteidigt den Beschluss: „Er wird so umgesetzt“, sagte der Oberbürger­meister schon zu Beginn der Woche, „weil er Sinn macht.“

Die Fraktionss­precher und Lutz räumen aber ein, dass die Kommunikat­ion nicht ideal gewesen sei. Lutz relativier­t auch die Ankündigun­g in dem Brief, dass allen Bewohnern gekündigt werde: „Wir werfen niemanden hinaus.“Wer möchte, könne in seiner Wohnung bleiben.

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Foto: Christian Böhmer/dpa Der Lörracher OB Jörg Lutz rechtferti­gt die Pläne.

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