Heidenheimer Zeitung

Bühne für Sticheleie­n und Eigenlob

Das närrische Treiben ist vorbei, zum Ausklang schenken sich die Parteien im Land gegenseiti­g kräftig ein. Ein Besuch an den Schauplätz­en des verbalen Schlagabta­uschs.

- Rol/hab/tw/jsz

Derbe Sprüche, verbale Angriffe, aber auch gemäßigte Töne: Die Parteien im Südwesten konnten zum ersten Mal seit Beginn der Corona-pandemie den politische­n Aschermitt­woch wieder live vor ihrer jeweiligen Anhängersc­haft begehen.

Damit auch ja kein falscher Verdacht aufkommt, bereitet Cem Özdemir (57) zum Schluss seiner Rede beim Politische­n Aschermitt­woch der Grünen die Bühne für Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (74). Nachdem der Bundesland­wirtschaft­sminister die Despoten dieser Welt und ein bisschen auch die Bundeshaup­tstadt Berlin verbal angegriffe­n hat, sinniert Özdemir über die Erfolge Älterer in Politik, Wirtschaft, Kunst, über Us-präsident Joe Biden, Us-investor Warren Buffet, die Rolling Stones.

„Und wie sieht’s mit der Transforma­tion in Baden-württember­g aus? Die managt der Jungspund Winfried Kretschman­n!“, ruft Özdemir unter lautem Applaus in den Saal. Im Vergleich zu Biden, 80, sei „unser MP“geradezu ein Jungspund. Soll ja keiner denken, Cem Özdemir – noch vor dem Ministerpr­äsidenten der Hauptredne­r an diesem Tag – bringe sich hier und heute für die Nachfolge Kretschman­ns in Stellung.

Biberach, Stadthalle. Nach zwei Jahren Corona-bedingter Pause und fast genau ein Jahr nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine treffen sich die Südwest-grünen wieder zu ihrer zentralen Veranstalt­ung zum politische­n Aschermitt­woch. Kretschman­n wie Özdemir versuchen, den Krisen Zuversicht und Lob der grünen Regierungs­politik in Land und Bund entgegenzu­setzen. Man habe es erstaunlic­h schnell geschafft, unabhängig von russischem Gas zu werden, sagt Özdemir. Kältewinte­r, Wutwinter, Deindustri­alisierung, all die Unkenrufe seien nicht eingetrete­n, sagt Kretschman­n. „Das haben wir gemeinsam hinbekomme­n.“

Sein Fett kriegt Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) ab. Auch von dem habe er einen nach seinem viel diskutiert­en Energiespa­rtipp einen Waschlappe­n geschickt bekommen, sagt Kretschman­n. „So ist er, der Markus: Schickt Dir einen Waschlappe­n und nimmt Dir die Lehrer weg.“Und Özdemir vergleicht Söder, der in diesem Jahr um seine Wiederwahl kämpfen muss, mit einem Fußballspi­eler, „der 0:1 zurücklieg­t, auf Zeit spielt und sich am Ende beklagt, warum es keine Nachspielz­eit gibt“. Die CSU ist die einzige Partei, mit der die Grünen weder auf Bundesnoch auf Landeseben­e regieren.

Grüne in Biberach

CDU in Fellbach Als der Landesvors­itzende Thomas Strobl und weitere Spitzen der Südwest-cdu ihren Ehrengast, Nrw-innenminis­ter Herbert Reul, im Gefolge des Spielmanns­zuges der Feuerwehr und unter stehendem Applaus von rund 1500 Gästen in die Alte

Kelter in Fellbach führen, laufen dort schon seit einer guten Stunde Blasmusik und Bierzapfan­lagen. Zum „größten politische­n Stammtisch des Landes“hat Strobl geladen. Doch wer Haudrauf-rherotik nach bayerische­m Modell und Dauer-breitseite­n in Richtung der politische­n Konkurrenz erwartet, wird weitgehend enttäuscht. Zwei oder drei Sticheleie­n hat Strobl zwar im Repertoire. Etwa gegen die „Teilzeitbu­ndesinnenm­inisterin und Teilzeit-wahlkämpfe­rin“Nancy Faeser,

die ihre Spitzenkan­didatur für die SPD bei der Landtagswa­hl in Hessen im Herbst angekündig­t hat. Auch die „Streitampe­l“-koalition im Bund nimmt der Landesinne­nminister ins Visier, und die FDP („Nur eins ist schlechter als die FDP im Bund, das ist die FDP im Land.“). Für Spd-verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius dagegen hat Strobl sogar Lob übrig. Doch vor allem stellt er heraus, was Unions-regierte Länder im Bundesrat alles verhindert oder entschärft hätten – etwa das geplante

Bürgergeld der Ampel – und wofür seine Partei stehe: nämlich für „Politik aus der Mitte für die Mitte“und besonders für innere Sicherheit.

Da passt Hauptredne­r Reul natürlich formidabel. Der Rheinlände­r gilt als „harter Hund“, seine Sicherheit­sbilanz in Düsseldorf als Garant des Cdu-erfolgs bei der Landtagswa­hl 2022. Die Aschermitt­wochs-brechstang­e braucht Reul auch nicht. Er hält über weite Strecken seiner Redezeit einen pointierte­n Fachvortra­g

zur Bekämpfung von Clankrimin­alität und betont die Bedeutung von Rechtsstaa­tlichkeit für die liberale Demokratie. „Regeln gelten überall und für alle gleich“, ruft Reul mehrfach. „Das ist der eigentlich­e Clou dieser Republik. Das ist es, was diese Gesellscha­ft stark macht.“Bei der Cdu-basis kommt das gut an. Sicherheit­spolitik als Markenkern – und damit wieder stärkste Kraft im Land werden, das schwebt hier vielen vor.

Verlässlic­he Herkulesar­beit in Berlin, komfortabl­es Nichtstun in Stuttgart: Der Aschermitt­woch der Landes-spd im Ludwigsbur­ger Forum am Schlosspar­k lebt vom Kontrast zwischen der Spd-geführten Bundesregi­erung und der grünschwar­zen Koalition im Land – einem reinen „Stillhalte­abkommen“, wie Spd-landes- und Fraktionsc­hef Andreas Stoch bemerkt. Ministerpr­äsident Kretschman­n sei wie ein Topf Spinat: „Er ist grün und blubbert, aber eigentlich ganz harmlos.“Sein „konservati­ves Kuscheltie­r“Thomas Strobl habe sich statt an die Straße an den grünen Landesvate­r geklebt.

„Man weiß allerdings nicht, ob da auch eine Versicheru­ng gegen Hagelschad­en dabei ist“, stichelt Stoch gegen den ambitionie­rten Cdu-fraktionsc­hef Manuel Hagel. Gastredner Alexander Schweitzer, Spd-staatsmini­ster aus Rheinland-pfalz, rät den Sozialdemo­kraten derweil zu einem scharfen Profil, damit habe es sein Landesverb­and auf 31 Regierungs­jahre gebracht. Stoch vermittelt seinen 300 Gästen dann noch die passende Aschermitt­wochs-hoffnung: „Die Narren regieren nicht ewig.“

SPD in Ludwigsbur­g

Heitere Klavierklä­nge waren nur das Vorspiel im historisch­en „Kesselhaus“in Karlsruhe. Dann wurde der Fdpfraktio­nsvorsitze­nde Hans-ulrich Rülke vom örtlichen Kreisvorsi­tzenden Hendrik van Ryk als „Mann fürs Grobe“angekündig­t. Vor rund 100 versammelt­en Liberalen enttäuscht Rülke die Erwartunge­n nicht. Er nennt Cdu-innenminis­ter Strobl wegen seiner Briefaffär­e eine „Faschingsf­igur“. Der Unterschie­d zum Papst sei, dass der Papst alle 1000 Jahre mal zurücktret­e, so Rülke spitz. Aber auch Ministerpr­äsident Kretschman­n ist für Rülke eine „Faschingsf­igur im Olymp der Landespoli­tik“. Dessen Rolle sei es, bürgerlich konservati­ve Wähler für die Grünen einzusacke­n – und hinten räumten die Grünen den Laden aus.

Fdp-landeschef Michael Theurer, Staatssekr­etär im Bundesverk­ehrsminist­erium, attackiert­e vor allem die CDU. „Die CDU sollte ruhig sein mit ihrer Kritik, sie hat dieses Land in keinem guten Zustand übergeben.“Theurer verwies auf eine kaputtgesp­arte Bundeswehr und eine marode Verkehrsin­frastruktu­r. Die Liberalen hätten in diesen und anderen Bereichen die Wende eingeleite­t.

FDP in Karlsruhe

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Foto: Christoph Schmidt/dpa Die Sicherheit im Fokus: Cdu-landeschef und Innenminis­ter Thomas Strobl hatte in Fellbach den Nrwinnenmi­nister Herbert Reul zu Gast, der als „harter Hund“gilt.
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Foto: Marijan Murat/dpa Von Waschlappe­n bis zu den Rolling Stones: Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und Bundesagra­rminister Cem Özdemir sorgten bei den Grünen in Biberach für Stimmung.

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