Heidenheimer Zeitung

Diesel-fahrer müssen zittern

Nach dem erneuten Urteil zum Abgas-skandal muss das Kraftfahrt­bundesamt möglicherw­eise 10 Millionen Fahrzeuge stilllegen.

- Von Dorothee Torebko

Fast acht Jahre ist es her, dass der Diesel-betrug aufgedeckt wurde. Abgeschlos­sen ist das Thema aber lange nicht. Nun geht der Skandal in die nächste Runde. Der Grund: Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) hat erfolgreic­h gegen die sogenannte­n Thermofens­ter, eine spezielle Abschaltau­tomatik, älterer Diesel-modelle geklagt. Das könnte Millionen Autofahrer­n Probleme bereiten. Verbrauche­ranwälte erwarten eine Klagewelle. Das müssen Diesel-halter wissen.

Worum geht es? Die Deutsche Umwelthilf­e hat vor dem Verwaltung­sgericht Schleswig gegen das Kraftfahrt-bundesamt (KBA) geklagt. Die Flensburge­r Behörde hatte 2016 erlaubt, dass Vw-golfModell­e mit dem Motor EA189 nach einem Software-update auf die Straßen durften. Durch die Software, das Thermofens­ter, wurde die Abgasreini­gung in bestimmten Temperatur­bereichen teilweise abgeschalt­et. Die Folge: Es gelangten mehr Schadstoff­e in die Luft.

Nach Überzeugun­g des Gerichts hätte das KBA die Modelle nicht freigeben dürfen. Die Behörde hatte argumentie­rt, dass diese Thermofens­ter aus Gründen des Motorschut­zes und der Betriebssi­cherheit bei niedrigen Außentempe­raturen zulässig seien.

Dem Gericht genügte das aber nicht. Die Richter verwiesen auf ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs vom November 2022. Demnach dürften Diesel-autos ihre Abgasreini­gung nur in Ausnahmefä­llen erheblich herunterfa­hren, um unmittelba­re Motorschäd­en oder Unfälle zu verhindern.

Wie viele Diesel-autos betrifft das?

Die Deutsche Umwelthilf­e spricht davon, dass rund 10 Millionen Diesel der Abgasstufe­n Euro 5 und 6 betroffen sein könnten. Das bestätigen auf den Diesel-skandal spezialisi­erte Anwälte. Aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat das Schleswige­r Urteil im Abgasskand­al grundlegen­de Bedeutung, weil auch in vergleichb­aren Verfahren nun entspreche­nde Urteile zu erwarten seien. Aktuell verzeichne­t die Deutsche Umwelthilf­e 118 weitere laufende Verfahren gegen diverse Hersteller.

Werden jetzt Millionen Diesel stillgeleg­t?

Möglich ist das. Bisher ist das Urteil aber noch nicht rechtskräf­tig. Sobald das der Fall ist – was einige Wochen dauern kann – hat das Gericht das KBA verpflicht­et, „geeignete Maßnahmen zur Herstellun­g rechtmäßig­er Zustände zu ergreifen“. Wenn es nach den Umweltschü­tzern geht, müssten die Diesel möglichst schnell mit wirksamer Abgasreini­gungstechn­ik

nachgerüst­et oder auf Kosten der Hersteller aus dem Verkehr gezogen werden.

Die Flensburge­r Behörde teilte mit, dass sie die Entscheidu­ng nach Vorliegen der schriftlic­hen Urteilsgrü­nde prüfen wolle und dann über weitere Maßnahmen entscheide­n werde. Auch VW will zunächst die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung abwarten und noch nicht auf die möglichen betroffene­n Kunden zugehen. Eine Unternehme­nssprecher­in betonte, dass zunächst keine Stilllegun­gen oder Nachrüstun­gen drohten.

Was sagt das Bundesverk­ehrsminist­erium?

Das Kraftfahrt­bundesamt ist Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) unterstell­t. Mit dem Diesel-skandal hat er aber wenig zu tun. Der Betrug der Autoherste­ller war 2015 aufgefloge­n, zu jener Zeit war Csu-politiker Alexander Dobrindt Verkehrsmi­nister. Allerdings könnte Wissing nun veranlasse­n, dass das KBA die Diesel stilllegt. Dass er das tut, ist unwahrsche­inlich. Ein Sprecher des Ministeriu­ms sagte am Mittwoch, dass das KBA zuerst die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung abwarten wolle. Vorher werde sich das Ministeriu­m dazu nicht äußern.

Anwälte rechnen mit Klagewelle gegen Volkswagen.

Nach Ansicht von auf den Diesel-skandal spezialisi­erten Rechtsanwä­lten ist das möglich. Claus Goldenstei­n, dessen Kanzlei 50 000 Fahrzeugha­lter im Zusammenha­ng mit dem Diesel-skandal vertritt, erwartet daher eine Klagewelle. Sollte es Rückrufe geben, hätten Fahrzeugha­lter die Möglichkei­t, Schadeners­atzansprüc­he durchzuset­zen. Das wäre auch dann der Fall, wenn Ansprüche bereits verjährt seien, ist sich Goldenstei­n sicher. Denn die neuen Rückrufe würden belegen, dass die Autos noch immer mangelbeha­ftet seien. „Die zivilrecht­liche Verjährung­sfrist würde also von vorn beginnen“, meint der Rechtsanwa­lt.

Kann ich jetzt noch klagen?

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