Diesel-fahrer müssen zittern
Nach dem erneuten Urteil zum Abgas-skandal muss das Kraftfahrtbundesamt möglicherweise 10 Millionen Fahrzeuge stilllegen.
Fast acht Jahre ist es her, dass der Diesel-betrug aufgedeckt wurde. Abgeschlossen ist das Thema aber lange nicht. Nun geht der Skandal in die nächste Runde. Der Grund: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat erfolgreich gegen die sogenannten Thermofenster, eine spezielle Abschaltautomatik, älterer Diesel-modelle geklagt. Das könnte Millionen Autofahrern Probleme bereiten. Verbraucheranwälte erwarten eine Klagewelle. Das müssen Diesel-halter wissen.
Worum geht es? Die Deutsche Umwelthilfe hat vor dem Verwaltungsgericht Schleswig gegen das Kraftfahrt-bundesamt (KBA) geklagt. Die Flensburger Behörde hatte 2016 erlaubt, dass Vw-golfModelle mit dem Motor EA189 nach einem Software-update auf die Straßen durften. Durch die Software, das Thermofenster, wurde die Abgasreinigung in bestimmten Temperaturbereichen teilweise abgeschaltet. Die Folge: Es gelangten mehr Schadstoffe in die Luft.
Nach Überzeugung des Gerichts hätte das KBA die Modelle nicht freigeben dürfen. Die Behörde hatte argumentiert, dass diese Thermofenster aus Gründen des Motorschutzes und der Betriebssicherheit bei niedrigen Außentemperaturen zulässig seien.
Dem Gericht genügte das aber nicht. Die Richter verwiesen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom November 2022. Demnach dürften Diesel-autos ihre Abgasreinigung nur in Ausnahmefällen erheblich herunterfahren, um unmittelbare Motorschäden oder Unfälle zu verhindern.
Wie viele Diesel-autos betrifft das?
Die Deutsche Umwelthilfe spricht davon, dass rund 10 Millionen Diesel der Abgasstufen Euro 5 und 6 betroffen sein könnten. Das bestätigen auf den Diesel-skandal spezialisierte Anwälte. Aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat das Schleswiger Urteil im Abgasskandal grundlegende Bedeutung, weil auch in vergleichbaren Verfahren nun entsprechende Urteile zu erwarten seien. Aktuell verzeichnet die Deutsche Umwelthilfe 118 weitere laufende Verfahren gegen diverse Hersteller.
Werden jetzt Millionen Diesel stillgelegt?
Möglich ist das. Bisher ist das Urteil aber noch nicht rechtskräftig. Sobald das der Fall ist – was einige Wochen dauern kann – hat das Gericht das KBA verpflichtet, „geeignete Maßnahmen zur Herstellung rechtmäßiger Zustände zu ergreifen“. Wenn es nach den Umweltschützern geht, müssten die Diesel möglichst schnell mit wirksamer Abgasreinigungstechnik
nachgerüstet oder auf Kosten der Hersteller aus dem Verkehr gezogen werden.
Die Flensburger Behörde teilte mit, dass sie die Entscheidung nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe prüfen wolle und dann über weitere Maßnahmen entscheiden werde. Auch VW will zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und noch nicht auf die möglichen betroffenen Kunden zugehen. Eine Unternehmenssprecherin betonte, dass zunächst keine Stilllegungen oder Nachrüstungen drohten.
Was sagt das Bundesverkehrsministerium?
Das Kraftfahrtbundesamt ist Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) unterstellt. Mit dem Diesel-skandal hat er aber wenig zu tun. Der Betrug der Autohersteller war 2015 aufgeflogen, zu jener Zeit war Csu-politiker Alexander Dobrindt Verkehrsminister. Allerdings könnte Wissing nun veranlassen, dass das KBA die Diesel stilllegt. Dass er das tut, ist unwahrscheinlich. Ein Sprecher des Ministeriums sagte am Mittwoch, dass das KBA zuerst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten wolle. Vorher werde sich das Ministerium dazu nicht äußern.
Anwälte rechnen mit Klagewelle gegen Volkswagen.
Nach Ansicht von auf den Diesel-skandal spezialisierten Rechtsanwälten ist das möglich. Claus Goldenstein, dessen Kanzlei 50 000 Fahrzeughalter im Zusammenhang mit dem Diesel-skandal vertritt, erwartet daher eine Klagewelle. Sollte es Rückrufe geben, hätten Fahrzeughalter die Möglichkeit, Schadenersatzansprüche durchzusetzen. Das wäre auch dann der Fall, wenn Ansprüche bereits verjährt seien, ist sich Goldenstein sicher. Denn die neuen Rückrufe würden belegen, dass die Autos noch immer mangelbehaftet seien. „Die zivilrechtliche Verjährungsfrist würde also von vorn beginnen“, meint der Rechtsanwalt.