Mercedes programmiert selbst
Das Lenkrad kann bei 130 Kilometern pro Stunde bedenkenlos losgelassen werden. Es gibt Google-navigation und Upgrades per Internet: Der Hersteller stellt sein eigenes Betriebssystem vor.
Das Auto, ein Smartphone auf vier Rädern. Dieses Bild ist zwar leicht schräg, drückt aber die Wichtigkeit von Computern in Fahrzeugen von heute – und vor allem morgen – aus. Bis zu 120 Steuergeräte fahren schon aktuell mit und regeln alles vom Fensterheber bis zum autonomen Fahren. Wer in Software schwach ist, wird auch im Verkauf schwach sein, sind Auto-experten überzeugt. Käufern der Modelle des Us-herstellers Tesla etwa ist die Vielseitigkeit ihres Wagens wichtiger als seine perfekte Verarbeitung. Die Themen Vernetzung und Software werden für die ganzen Funktionen, die wir im Auto nutzen wollen, immer wichtiger, sagt Autoexperte Stefan Brazel.
Grundlage aller Software ist wie bei einem Smartphone das Betriebssystem. Wer hier Varianz, Zuverlässigkeit und Anwendungsorientierung beweist, kann punkten. Mercedes-benz hat nun sein Betriebssystem MB.OS in Florida vorgestellt. Das Hauptprogramm ist nicht etwa zugekauft, sondern selbst entwickelt.
Volkswagen kämpft mit Problemen.
Viele 1000 Software-spezialisten wollen Infotainment (Unterhaltung und Information), Fahrzeugund Komfortfunktionen, Fahren und Laden damit auf ein neues Niveau heben. Laut dpa kostet die Entwicklung 1 bis 2 Milliarden Euro pro Jahr.
Volkswagen hat mit seiner Softwareentwicklung große Probleme. Wichtige Fahrzeuge im Konzern, etwa bei Audi und Porsche, erschienen zum Teil Jahre später. MB.OS soll dagegen in einer Vorläufer-version bereits in diesem Jahr in der neuen E-klasse zu finden sein. Es soll viel mehr sein, als nur ein auf den Autobildschirm übertragenes Handydisplay.
Alles macht Mercedes aber nicht selbst. „Bei allen Bereichen kann man entscheiden, es selber zu programmieren oder mit Partnern zusammenzuarbeiten“, sagt Chef Ola Källenius. Gerade beim Infotainment müsse man als Autohersteller die Welt nicht neu erfinden. So ist Google ein Partner für Navigationssysteme, Verkehrsdaten und liefert Informationen über 200 Millionen Geschäfte und Orte weltweit. Die Youtube-app soll sich im Mercedes genauso nutzen lassen wie Spiele. Für Videokonferenzen sind Anwendungen von Webex und Zoom vorgesehen.
Der laut Källinus „spannendster Teil“von MB.OS ist jedoch das
autonome Fahren. Neue Sensorik soll die Anwesenheit von Fußgängern und dichten, komplexen Verkehr interpretieren. In der Endausbaustufe könnten Geschwindigkeiten von 130 Kilometern pro Stunde möglich sein, ohne Hände am Lenkrad zu haben. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein System des Us-herstellers Nvidia, das 254 Billionen Rechenvorgänge pro Sekunde ausführen kann. Dieses wird auch bei Volvo eingesetzt. Ein Sensor von Luminar kann selbst kleine Objekte im Infrarotspektrum erkennen.
Bereits 2022 erwirtschaftete Mercedes-benz mit Diensten wie Navigation, Echtzeitinformationen zum Verkehr und Karten-updates
mehr als 1 Milliarde Euro. 2025 könnte es genauso viel als Ertrag sein.
MB.OS soll so konzipiert sein, dass es „die wichtigsten Aspekte der Wertschöpfungskette des Unternehmens“miteinander verbindet, berichtet Mercedes – quasi ein Betriebssystem für das gesamte Geschäft des Unternehmens. Die Offenheit soll es ausgewählten Partnern ermöglichen, Dienste, Inhalte und Funktionen anzubieten. Viele Anwendungen seien denkbar. Hardware wird von Software entkoppelt, was flexiblere softwaregestützte Upgrades erlaubt. Schon heute wird ein Hinterachslenkung-abo für 489 Euro im Jahr angeboten.