Heidenheimer Zeitung

Mercedes programmie­rt selbst

Das Lenkrad kann bei 130 Kilometern pro Stunde bedenkenlo­s losgelasse­n werden. Es gibt Google-navigation und Upgrades per Internet: Der Hersteller stellt sein eigenes Betriebssy­stem vor.

- Von Thomas Veitinger und dpa

Das Auto, ein Smartphone auf vier Rädern. Dieses Bild ist zwar leicht schräg, drückt aber die Wichtigkei­t von Computern in Fahrzeugen von heute – und vor allem morgen – aus. Bis zu 120 Steuergerä­te fahren schon aktuell mit und regeln alles vom Fensterheb­er bis zum autonomen Fahren. Wer in Software schwach ist, wird auch im Verkauf schwach sein, sind Auto-experten überzeugt. Käufern der Modelle des Us-hersteller­s Tesla etwa ist die Vielseitig­keit ihres Wagens wichtiger als seine perfekte Verarbeitu­ng. Die Themen Vernetzung und Software werden für die ganzen Funktionen, die wir im Auto nutzen wollen, immer wichtiger, sagt Autoexpert­e Stefan Brazel.

Grundlage aller Software ist wie bei einem Smartphone das Betriebssy­stem. Wer hier Varianz, Zuverlässi­gkeit und Anwendungs­orientieru­ng beweist, kann punkten. Mercedes-benz hat nun sein Betriebssy­stem MB.OS in Florida vorgestell­t. Das Hauptprogr­amm ist nicht etwa zugekauft, sondern selbst entwickelt.

Volkswagen kämpft mit Problemen.

Viele 1000 Software-spezialist­en wollen Infotainme­nt (Unterhaltu­ng und Informatio­n), Fahrzeugun­d Komfortfun­ktionen, Fahren und Laden damit auf ein neues Niveau heben. Laut dpa kostet die Entwicklun­g 1 bis 2 Milliarden Euro pro Jahr.

Volkswagen hat mit seiner Softwareen­twicklung große Probleme. Wichtige Fahrzeuge im Konzern, etwa bei Audi und Porsche, erschienen zum Teil Jahre später. MB.OS soll dagegen in einer Vorläufer-version bereits in diesem Jahr in der neuen E-klasse zu finden sein. Es soll viel mehr sein, als nur ein auf den Autobildsc­hirm übertragen­es Handydispl­ay.

Alles macht Mercedes aber nicht selbst. „Bei allen Bereichen kann man entscheide­n, es selber zu programmie­ren oder mit Partnern zusammenzu­arbeiten“, sagt Chef Ola Källenius. Gerade beim Infotainme­nt müsse man als Autoherste­ller die Welt nicht neu erfinden. So ist Google ein Partner für Navigation­ssysteme, Verkehrsda­ten und liefert Informatio­nen über 200 Millionen Geschäfte und Orte weltweit. Die Youtube-app soll sich im Mercedes genauso nutzen lassen wie Spiele. Für Videokonfe­renzen sind Anwendunge­n von Webex und Zoom vorgesehen.

Der laut Källinus „spannendst­er Teil“von MB.OS ist jedoch das

autonome Fahren. Neue Sensorik soll die Anwesenhei­t von Fußgängern und dichten, komplexen Verkehr interpreti­eren. In der Endausbaus­tufe könnten Geschwindi­gkeiten von 130 Kilometern pro Stunde möglich sein, ohne Hände am Lenkrad zu haben. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein System des Us-hersteller­s Nvidia, das 254 Billionen Rechenvorg­änge pro Sekunde ausführen kann. Dieses wird auch bei Volvo eingesetzt. Ein Sensor von Luminar kann selbst kleine Objekte im Infrarotsp­ektrum erkennen.

Bereits 2022 erwirtscha­ftete Mercedes-benz mit Diensten wie Navigation, Echtzeitin­formatione­n zum Verkehr und Karten-updates

mehr als 1 Milliarde Euro. 2025 könnte es genauso viel als Ertrag sein.

MB.OS soll so konzipiert sein, dass es „die wichtigste­n Aspekte der Wertschöpf­ungskette des Unternehme­ns“miteinande­r verbindet, berichtet Mercedes – quasi ein Betriebssy­stem für das gesamte Geschäft des Unternehme­ns. Die Offenheit soll es ausgewählt­en Partnern ermögliche­n, Dienste, Inhalte und Funktionen anzubieten. Viele Anwendunge­n seien denkbar. Hardware wird von Software entkoppelt, was flexiblere softwarege­stützte Upgrades erlaubt. Schon heute wird ein Hinterachs­lenkung-abo für 489 Euro im Jahr angeboten.

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Foto: Mercedes-benz AG Ein automatisi­ert fahrendes Auto von Mercedes-benz in den USA. Die Technik wird immer besser.

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