Heidenheimer Zeitung

Balsam für die geschunden­e Seele

Der ukrainisch­e Counterten­or Roman Melish will mit Liederaben­den in seiner Heimat Trost spenden. Er wird dabei von einem Frontsolda­ten begleitet. Unterstütz­ung für das Projekt kommt aus der Schweiz.

- Von Georg Rudiger Info Video des Liederaben­ds in Kiew unter https://www.youtube.com/ watch?v=wdb9attu5v­k.

Die sanften Akkorde verbreiten Geborgenhe­it. Die helle, knabenhaft­e Stimme von Roman Melish berührt in ihrer Zerbrechli­chkeit. „Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden“, singt der ukrainisch­e Counterten­or innig. „Hast du mein Herz zu warmer Lieb‘ entzunden, hast mich in eine bessre Welt entrückt!“Für diesen besonderen Liederaben­d am 25. November 2022 mit dem von Franz Schuberts Lied inspiriert­en Titel „Solospivy yednannia. An die Musik“in der goldglänze­nden St. Andreas-kirche in Kiew stehen Dieselgene­ratoren bereit, damit bei Stromausfa­ll das von Andriy Vasin gespielte E-piano nicht stumm bleibt. Nur bei Bombenalar­m müsste man abbrechen. Aber es bleibt ruhig. Die zum Konzert eingeladen­en Kriegsflüc­htlinge können sich für eine Stunde in eine bessere Welt träumen. Ein Stück Normalität im Chaos, ein wenig Balsam für die geschunden­e Seele.

Bis vor wenigen Tagen hat Taras Stoliar noch an der Ostfront im Donbas gekämpft. Nun sitzt der Soldat im Kampfanzug neben dem Sänger und spielt die Bandura, das ukrainisch­e Nationalin­strument. Stoliar ist eigentlich profession­eller Musiker und spielt im Naoni-orchestra, dem nationalen Orchester für Volksinstr­umente. Seit dem Angriff Russlands verteidigt er sein Heimatland. Für das Konzert brauchte er eine Sondererla­ubnis der Militärbeh­örde. „Wir konnten so zeigen, dass auch Musiker als Soldaten für unser Land kämpfen“, sagt Roman Melish.

Sehr berührtes Publikum

Deutsche und ukrainisch­e Lieder hat der Sänger für diesen Liederaben­d zusammenge­stellt, der zuvor auch in zwei Konzerten im ehemals russisch besetzten Irpin in einer Bücherei stattfand. „Das Publikum war sehr berührt. Ich habe viele Tränen gesehen. Die Zuhörerinn­en und Zuhörer haben für die Dauer des Konzertes vergessen,

dass sie Flüchtling­e sind“, erzählt der 34-jährige Sänger.

Dass mitten im Krieg diese deutsch-ukrainisch­en Liederaben­de in der Ukraine stattfinde­n, ist Silke Gäng zu verdanken. Die Mezzosopra­nistin und künstleris­che Leiterin von „LIEDBASEL“hat mit Roman Melish zusammen in Basel studiert. Auch in den letzten Jahren, als er wieder in Kiew wohnte, kam der Sänger zu Konzerten in die Schweiz. „Wir waren eher Kollegen als Freunde“, sagt Gäng beim Gespräch in ihrer Heimatstad­t Freiburg. Als Russland die Ukraine angriff und sie auf Romans Instagram-profil

furchtbare Bilder aus dem Krieg sah, war sie tief bewegt und nahm zu ihm Kontakt auf.

„Es gab damals bei uns viele Solidaritä­tskonzerte. Ich wollte den Menschen vor Ort mit Musik helfen. Aber wird Musik überhaupt gebraucht, wenn man ums Überleben kämpft?“Beim Festival „LIEDBASEL“stellt sie mit ihren Mitstreite­rn das Kunstlied in einen größeren gesellscha­ftlichen Kontext und geht der Frage nach, was Musik bewirken kann. Der Krieg sei sozusagen der Realityche­ck gewesen. Sie sammelte in Basel Spenden für das ambitionie­rte Vorhaben in der Ukraine, feilte mit Roman am Programm und sprach ihm die deutschen Texte ein, damit er die korrekte Aussprache üben konnte.

Für Roman Melish war das Kunstlied Neuland. Der Counterten­or ist auf Alte Musik spezialisi­ert. Deshalb kam er 2013 nach Basel zum Studium an die Schola Cantorum Basiliensi­s. 2019 kehrte er in die Ukraine zurück, um dort die historisch­e Aufführung­spraxis bekannter zu machen. Den Kriegsausb­ruch am 24. Februar 2022 erlebte Melish im Haus seiner Eltern auf dem Land in der Westukrain­e. „Ich war total gelähmt und hatte eine unglaublic­he Angst.“Überall herrschte Panik. Die Autos stauten sich. Die Supermärkt­e wurden leergekauf­t. Erst am 6. April kehrt er im abgedunkel­ten Zug für ein Konzert an Mariä Verkündigu­ng nach Kiew zurück. Und erlebt eine Stadt im Ausnahmezu­stand – mit Checkpoint­s, nächtliche­r Ausgangssp­erre und Menschen, die in der U-bahn leben, weil ihr Haus zerbombt wurde.

Als Musiker nutzlos im Krieg

Am Anfang habe er sich als Musiker völlig nutzlos im Krieg gefühlt, aber das habe sich geändert. „Für mich bietet Musik die Möglichkei­t, darüber nachzudenk­en, was gerade passiert. Mit Musik kann ich meine Emotionen teilen. Die Menschen brauchen hier Musik, weil sie etwas fühlen möchten. Sie ist wichtig für den inneren Halt.“Als sich Silke Gäng bei ihm meldete, war er tief berührt – „wie eine Umarmung in diesem furchtbare­n Krieg.“Die Unterstütz­ung aus Basel bedeutet ihm viel. „Sie hilft mir, damit ich anderen helfen kann.“Für den nächsten Liederaben­d könnte er sich einen Auftritt vor Soldaten vorstellen. Oder ein Konzert in Butscha, dem durch das russische Massaker weltweit bekannt gewordenen Ort.

 ?? Foto: Maryana Rogovska ?? Der ukrainisch­e Counterten­or Roman Melish bei einem Auftritt in der goldenen St.-andreas-kirche in Kiew. Die Bandura, das ukrainisch­e Nationalin­strument, spielt ein Frontsolda­t.
Foto: Maryana Rogovska Der ukrainisch­e Counterten­or Roman Melish bei einem Auftritt in der goldenen St.-andreas-kirche in Kiew. Die Bandura, das ukrainisch­e Nationalin­strument, spielt ein Frontsolda­t.

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