Heidenheimer Zeitung

Alltag, aber nicht normal

- Editorial Catrin Weykopf zum Jahrestag des Ukraine-kriegs

Erinnern Sie sich noch, wie Sie heute vor einem Jahr aufwachten und mitbekamen, dass russische Truppen die Ukraine überfallen hatten? Erinnern Sie sich noch an den Schock, die Sprachlosi­gkeit, die innere Leere? Ich weiß das noch genau. Wie ferngesteu­ert lief ich tagelang durch mein Leben: Macht Putin in der Ukraine Halt? Was bedeutet das für Europa, für unsere Sicherheit, für die gesamte Ordnung der westlichen Welt? Wie kann einer einen solchen Tabubruch begehen?

Diese ersten Gedanken sind es, die sich mir tief eingeprägt haben und die ich als westdeutsc­hes Kind der 1980er-jahre so noch nie zuvor habe denken müssen. Dann die Bilder von Ukrainern, die sich unbewaffne­t den Invasoren in den Weg stellten. Kiew, die Kolonnen an Autos, voll mit Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Was für ein Leid, was für eine Ungewisshe­it! Bald hörten wir von den ersten Flüchtende­n, deren Ziel Heidenheim sein würde, und berichtete­n. Nur wenige Tage später starteten die ersten Hilfsaktio­nen von Heidenheim aus. Dann wurde das Schloss nachts in den Farben der Ukraine angestrahl­t und, und und . . . So könnte man die Erzählung fortsetzen, bis wir beim Heute ankommen, beim Jahrestag.

Die Ausnahmesi­tuation ist Alltag geworden, man muss es so hart sagen. Nicht nur für uns Zaungäste, sondern auch für viele Ukrainerin­nen und Ukrainer, die inzwischen im Landkreis leben. Unvorstell­bar, oder? Dass so etwas alltäglich werden könnte?

Alltäglich bedeutet aber auch: Die Hilfe, die viele im Landkreis bis heute leisten, ist Bestandtei­l ihres Lebens geworden. Seien es Erzieherin­nen, Lehrerinne­n oder Mitarbeite­nde in Behörden, die täglich helfen, die Menschen zu integriere­n. Seien es Ehrenamtli­che, deren Ad-hocorganis­ationen inzwischen feste Strukturen haben, seien es Familien, die Angehörige oder Fremde bei sich aufgenomme­n haben. Oder seien es Firmen, deren Absatzmärk­te oder Lieferkett­en sich schlagarti­g veränderte­n. Aber: Es sind auch die Menschen aus der Ukraine selbst, die sich hier so etwas wie einen Alltag aufgebaut haben. Es ist nur zu erahnen, welche Kraft sie aufwenden müssen, um das zu bewältigen.

In der heutigen Ausgabe möchten wir Ihnen einige dieser Geschichte­n erzählen. Sie werden bekannte Gesichter erkennen, aber auch Neues lernen. Und Sie werden sehen, dass vieles zwar Alltag geworden ist, aber nie normal werden kann.

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