Heidenheimer Zeitung

„Ich liebe meine Stadt“

In ihrer Heimat Lwiw in der Ukraine war Sofiya Soltivska glücklich. Dann brach der Krieg aus. Wie geht es ihr heute, in ihrem neuen Wohnort Giengen? Ein Besuch.

- Von Nadine Rau

Sofiya Soltivska kommt aus einer Stadt, in der es pulsiert. Ständig. Kino, Cafés, Oper, ein Schwätzche­n hier, ein Schwätzche­n da. Vor allem von den vielen Cafés schwärmt sie, während sie heißes Wasser über den löslichen Kaffee gießt, noch etwas Zimt hinzugibt, und umrührt. Der Kaffee ist nicht für sie, „ich trinke viel zu viel davon und das ist nicht gesund“, sagt sie. Doch Gastfreund­schaft steht für sie ganz oben, schnell räumt sie den Tisch frei, stellt noch ein paar Süßigkeite­n neben die Kaffeetass­e.

Immer wieder entschuldi­gt sie sich dafür, dass sie nicht so gut Deutsch spricht. Doch sie spricht gut. „Mir fehlt die Praxis“, erklärt sie, denn: Seit sie in Deutschlan­d lebt, müsse sie sich viel mehr mit komplexen Briefen herumschla­gen als dass sie die Möglichkei­t habe, sich regelmäßig zu unterhalte­n.

Vom Großstadtl­eben aufs Land

Sofiya Soltivska hat vor einem Jahr noch im ukrainisch­en Lwiw gelebt. Mehr als 700.000 Einwohner, Oberzentru­m der Westukrain­e. Jetzt bewohnt sie eine Dachgescho­sswohnung an der Giengener Burgstraße über einem Gesundheit­shaus. Viele Dachfenste­r, eine kleine Küchenzeil­e. „Die Leute, dir mir die Wohnung angeboten haben, sind sehr freundlich“, sagt Soltivska.

Nebenan wohnt ihre Mutter. Sie wollte erst nicht aus ihrer Heimat fliehen, kam im Winter aber nach. „Viele ältere Menschen wollen in ihrer Heimat bleiben. Fliehen bedeutet Stress, und auch das kann für einen Menschen gefährlich sein“, sagt Soltivska.

Das Problem ist nur, dass auch Bleiben keine stressfrei­e Alternativ­e mehr darstellt. Zwar sei Lwiw nicht gleich nach Kriegsbegi­nn – wie die Bewohner eigentlich erwartet hatten – gänzlich zerstört worden. Ständig aber gebe es Bombenalar­m, das Licht gehe oft nicht, die Computer in den Büros auch nicht, ebenso wenig die Heizung.

Die ganze Zeit geweint

Im Sommer war Soltivska zu Besuch in ihrer Heimatstad­t, ihr neuer Lebensmitt­elpunkt seit vergangene­m März aber ist Giengen. Nach Deutschlan­d geflohen sei sie mit dem Bus, auf die Stadt an der Brenz sei sie durch Bekannte gekommen. „Ich wollte nicht gehen, ich habe die ganze Zeit geweint“, erzählt sie. Ihr Vater aber meinte, dass der Familie am meisten geholfen sei, wenn sie sich um sich selbst kümmere.

Als im Februar vergangene­n Jahres die Sirenen zu hören waren, sammelten sich Soltivska und ihre Nachbarn einer größeren Wohnanlage erst mal im Flur. „Wo sollten wir sonst hingehen? Wir hatten nur einen Keller und auch die beiden Keller der Schule, wo man sich im Notfall sammelt, reichen für so viele Menschen einfach nicht aus“, schildert sie.

Keine vollen Straßen mehr

Soltivska vermisst ihre Heimat, den Trubel, die Geselligke­it. Natürlich, in Giengen hat sie momentan alles, was sie braucht. Sie ist dankbar für die Unterstütz­ung von allen Seiten. Und trotzdem bedeutet Giengen eine andere Welt für sie. Da unterhält sich nicht jeder mit jedem im Bus, da gibt es keine vollen Straßen. Sie meint das gar nicht negativ. Die Distanz, die sie zwischen den

Deutschen erlebt, die Ordnung, die Regeln, die Ruhe hätten in vielen Fällen auch ihre Berechtigu­ng. Dass sie theoretisc­h aber jeder hören kann, wenn sie abends durch die Straßen läuft und telefonier­t, fand sie zunächst sehr befremdlic­h.

Schon bevor der Krieg in der Ukraine ausgebroch­en ist, hatte Soltivska in einem Kurs ein bisschen Deutsch gelernt. Nicht, um sich auf die Flucht vorzuberei­ten. Mehr, um beruflich breiter aufgestell­t zu sein. Ein paar Jahre lang hat die 45-Jährige als Lehrerin gearbeitet, danach aber als Malerin – und da braucht sie Aufträge. „Ich male sehr gerne, aber mit dem Beruf hat man kein stabiles Fundament. Mal ist die Lage sehr gut, mal wieder schlecht.“

Sprachunte­rricht in Heidenheim

Jetzt sitzt sie wieder im Deutschunt­erricht, an einer Sprachschu­le in Heidenheim. Wenige andere Geflüchtet­e aus der Ukraine lernten mit ihr, alle anderen Teilnehmer kämen aus allen möglichen anderen Ländern. Zum ersten Mal hat sie in dieser Woche auch das Sprachcafé des Giengener Integratio­nsbüros besucht. Außerdem gehe sie regelmäßig in die Kirche. Entweder gleich nach Ulm, weil es dort eine ukrainisch­e Kirchengem­einde gibt, oder auch in Giengen, wo alle sehr freundlich seien und für sie und andere Geflüchtet­e übersetzte­n. In ihrer Heimatstad­t, erzählt sie, seien die Leute damit beschäftig­t, alles zu reparieren und sich gegenseiti­g zu helfen. Von Anfang an sei die Hilfsberei­tschaft groß gewesen, die Einwohner Lwiws unterstütz­ten alle, die aus der Ostukraine geflohen waren. „Wir müssen uns schützen“, betont Soltivska. „Die Russen wollen uns alles nehmen. Unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Werte.“

Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als dass die Russen wieder abzögen, als dass sie in ihrer Heimat glücklich würden. Ohne Krieg, ohne Tote. Sie kann einfach nicht verstehen, was ein solcher Krieg bewirken soll.

Schnelle Rückkehr fraglich

Am liebsten wäre es ihr, sie könnte bald wieder in Lwiw leben. „Ich liebe meine Stadt“, sagt sie. Doch Soltivska weiß: „So schnell wird sich das nicht zum Guten wenden.“

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Foto: Rudi Penk Sofiya Soltivska lebt seit vergangene­m März in Giengen. Sie hat dort zwar alles, was sie braucht, aussuchen aber würde sie sich dieses Leben trotzdem nicht.

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