Der Brenner und der Brummi-kampf
Bayern gegen Tirol: Immer wieder sperrt Österreich den Lkw-verkehr auf der Transitstrecke nach Italien aus. Die Folgen sind Mega-staus. Der Freistaat will klagen, doch die Alpenrepublik hat Gründe.
Brummi, Brummi, Brummi – das macht schon Eindruck, wenn man an diesem Morgen um 7.40 Uhr auf der kleinen Brücke über die A 93 bei Kiefersfelden steht und sich die Fahrbahn anschaut. Die Sonne zeigt ihre ersten Strahlen, und die Lkw stehen auf der rechten Spur gen Österreich, so weit das Auge reicht. Später wird vermeldet werden, dass dieser Stau in der Spitze 28 Kilometer erreicht hat.
„Mal habe ich von daheim vom Tegernsee bis zur Grenze in Kiefersfelden sieben Stunden gebraucht“, sagt die Truckerin Christina Scheib. Das sind gerade mal 58 Kilometer. An Tagen wie diesen, an denen das benachbarte Tirol besonders viel Verkehr auf seiner Autobahn Richtung Brenner und Italien erwartet, stellt das österreichische Bundesland die Ampel für Lkw erst einmal auf Rot. Blockabfertigung nennt sich das, die Tiroler sprechen freundlicher von ihrer „Dosierampel“. Schaltet sie auf Grün, dann werden 100, 200 oder auch 250 Lkw pro Stunde reingelassen – so wenige jedenfalls, dass es auf den Tiroler Autobahnen nicht zu Staus kommt. Die anderen Lastwagen müssen weiter warten.
Doppelt so viel Fahrtzeit
„Das ist unzumutbar, was da den Speditionen und vor allem den Fahrern zugemutet wird“, wettert Dirk Engelhardt. „Die Blockabfertigungen sind ein völlig unverhältnismäßiger Eingriff in den Verkehr.“Die Fahrer hätten manchmal doppelt so viel Fahrzeit wie geplant, könnten ihre vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einhalten, die Lieferketten gerieten durcheinander. Engelhardt ist Vorstandschef des Bundesverbands Güterkraftwerk, Logistik und Entsorgung (BGL). An diesem Tag der Blockabfertigung hat der BGL Medienvertreter nach Kiefersfelden eingeladen, um das Problem aus seiner Sicht zu erläutern.
Von Kufstein auf der anderen Seite der Grenze verläuft die österreichische A 12 durch das Inntal nach Innsbruck. Dort geht es links weg auf die A 13 gen Süden zum Brenner und über die nächste Grenze nach Südtirol. Als am 5. April 1971 die ersten Autos über die Brennerautobahn fuhren, war dies eine Verheißung. Es ist die weitaus bequemste und schnellste Auto-alpenüberquerung, Italien als Sehnsuchtsland rückte einige Stunden näher.
Seit dem Sommer 2019 gibt es die Tiroler Dosierampel. Die verletzt den freien Warenverkehr, meint der Csu-europaabgeordnete Markus Ferber beim BGL. „Das widerspricht europäischem Recht“– deshalb müsse man dagegen klagen. „Von Tirol wird immer wieder gegen den Lkw-verkehr gearbeitet“, beobachtet der Verkehrspolitiker.
Der Lkw-fahrer Alexander Stephan, seit den 80er-jahren an Bord, erzählt über seine Arbeit in Zeiten der Blockabfertigung: „Fünf Stunden davor esse und trinke ich nichts mehr. Denn du
kannst ja, wenn du da im Stau stehst, nicht mal zum Pinkeln aussteigen.“Er fragt: „Was ist mit meiner Zeit? Manchmal weiß ich nicht, ob ich es am Wochenende heim schaffe oder nicht.“Und seine Kollegin Christina Scheib, die seit dem Frühjahr 2020 als Selbstständige arbeitet, meint: „Wir sind die Deppen vom Dienst.
Aber jeder möchte Oliven, Wein und Nudeln aus Italien.“
Fritz Gurgiser steht in Vomp in Tirol vor dem Café Ruetz und deutet auf die 150 Meter entfernt verlaufende Autobahn, den dahinter ansteigenden Berg und ein paar wie angeklebt aussehende Häuser, die Siedlung heißt Grünhäusel. „Die haben dort Dauerlärm
von früh bis spät“, sagt der 70-Jährige. In der 5300-Einwohner-gemeinde, knapp 30 Kilometer östlich der Tiroler Hauptstadt Innsbruck gelegen, kennt jeder den Gurgiser. „Man muss den Verkehr dem Menschen unterordnen und der Landschaft“, meint er. Solche Sätze sagt er – Staatspreisträger für Natur- und Umweltschutz – schon seit mehr als 40 Jahren.
Der Rentner und ehemalige Metallbau-angestellte hat ein Lebensthema: den Kampf gegen den Stau auf der Autobahn, gegen Lärm und Luftverschmutzung. „Du musst die Industrie und die Wirtschaft unter Druck setzen, sonst ändert sich nichts, und die machen immer gleich weiter“, ist seine Erfahrung. 1994 gründete Gurgiser das „Transitforum Austria-tirol“, eine „alpine Bürgerrechtsbewegung“, wie sie sich nennt, die vor allem den Schwerlastund Lkw-verkehr eindämmen möchte. Das jüngste Heft der Gruppe trägt den Titel „Tatort Brenner“.
Im deutschen Kiefersfelden scheint man in einer anderen Welt zu sein. Unter den Transport-leuten entladen sich Frust und Wut. Von „ganz gerissenen Tirolern“ist da in Gesprächen am Rande die Rede, von der „Schikane durch Österreich“und einer „Kriegserklärung“. Die Österreicher, so meint einer, seien „ein kleines diebisches Bergvolk“.
Die Lage: Laut dem österreichischen Statistik-amt waren im Jahr 2021 rund 211 Millionen ausländische
Lkw auf den Straßen des Landes unterwegs. Das ist etwas unter einer Million pro Werktag. Nicht nur CSU-MANN Markus Ferber geht davon aus, dass der Verkehr weiter zunimmt. „Ein Prozent Wirtschaftswachstum bedeutet zwei Prozent mehr Verkehr“, so Ferber.
Von der Bahn als Alternative hält man bei den deutschen Spediteuren nicht viel. Sollte der Brenner-basistunnel zwischen Südtirol, Österreich und Bayern je wie geplant 2032 den Betrieb aufnehmen, würde damit nach Schätzung der Spediteure allein die Lkw-zunahme ausgeglichen werden. Mit diesem größten europäischen Infrastrukturprojekt soll mehr Pkw- und Güterverkehr auf die Schiene kommen. Um akut Abhilfe zu schaffen, fordern die Spediteure hingegen, das österreichische Nachtfahrverbot zu verkürzen. Und natürlich die Blockabfertigung abzuschaffen.
Diese gilt, wenn laut Statistik viel Verkehr zu erwarten ist – häufig montags oder an Brückentagen. 24 solcher „Dosiertage“hat die Tiroler Landesregierung für das erste Halbjahr 2023 festgelegt. Wie es auf Straße und Schiene weitergehen soll, das plant gerade der neue Tiroler Verkehrsminister René Zumtobel von der SPÖ. „Ich habe großes Verständnis für die Fahrer“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung, „und wir handeln wirklich nicht aus Boshaftigkeit.“Ziel sei es aber, „so viele fahren zu lassen, wie auch wirklich Platz haben“. In der Vergangenheit etwa hätten Staus immer wieder den Raum Innsbruck komplett lahmgelegt, auch Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen seien nicht durchgekommen. „Die Menschen hier haben einfach genug davon.“
Minister Zumtobel setzt nun auf ein digitales Slot-system zur Reservierung eines Lkw-platzes auf der Autobahn: Bestimmte Zeiten zum Fahren könnten vorab gebucht und Stau und Drängelei vermieden werden. Auch sieht er in der Verlagerung auf die Schiene große Chancen, gerade wenn der neue Tunnel fertig wird. Zumtobel will alle Beteiligten aus den drei Ländern ins Boot holen, reden, gemeinsam planen. Das große Ziel des einstigen Eisenbahnmanagers: „Eine verlässliche Achse von München bis Verona.“
Wir sind die Deppen vom Dienst. Aber jeder will Oliven, Wein und Nudeln aus Italien. Christina Scheib Fernfahrerin