Heidenheimer Zeitung

Der Brenner und der Brummi-kampf

Bayern gegen Tirol: Immer wieder sperrt Österreich den Lkw-verkehr auf der Transitstr­ecke nach Italien aus. Die Folgen sind Mega-staus. Der Freistaat will klagen, doch die Alpenrepub­lik hat Gründe.

- Von Patrick Guyton

Brummi, Brummi, Brummi – das macht schon Eindruck, wenn man an diesem Morgen um 7.40 Uhr auf der kleinen Brücke über die A 93 bei Kiefersfel­den steht und sich die Fahrbahn anschaut. Die Sonne zeigt ihre ersten Strahlen, und die Lkw stehen auf der rechten Spur gen Österreich, so weit das Auge reicht. Später wird vermeldet werden, dass dieser Stau in der Spitze 28 Kilometer erreicht hat.

„Mal habe ich von daheim vom Tegernsee bis zur Grenze in Kiefersfel­den sieben Stunden gebraucht“, sagt die Truckerin Christina Scheib. Das sind gerade mal 58 Kilometer. An Tagen wie diesen, an denen das benachbart­e Tirol besonders viel Verkehr auf seiner Autobahn Richtung Brenner und Italien erwartet, stellt das österreich­ische Bundesland die Ampel für Lkw erst einmal auf Rot. Blockabfer­tigung nennt sich das, die Tiroler sprechen freundlich­er von ihrer „Dosierampe­l“. Schaltet sie auf Grün, dann werden 100, 200 oder auch 250 Lkw pro Stunde reingelass­en – so wenige jedenfalls, dass es auf den Tiroler Autobahnen nicht zu Staus kommt. Die anderen Lastwagen müssen weiter warten.

Doppelt so viel Fahrtzeit

„Das ist unzumutbar, was da den Speditione­n und vor allem den Fahrern zugemutet wird“, wettert Dirk Engelhardt. „Die Blockabfer­tigungen sind ein völlig unverhältn­ismäßiger Eingriff in den Verkehr.“Die Fahrer hätten manchmal doppelt so viel Fahrzeit wie geplant, könnten ihre vorgeschri­ebenen Ruhezeiten nicht einhalten, die Lieferkett­en gerieten durcheinan­der. Engelhardt ist Vorstandsc­hef des Bundesverb­ands Güterkraft­werk, Logistik und Entsorgung (BGL). An diesem Tag der Blockabfer­tigung hat der BGL Medienvert­reter nach Kiefersfel­den eingeladen, um das Problem aus seiner Sicht zu erläutern.

Von Kufstein auf der anderen Seite der Grenze verläuft die österreich­ische A 12 durch das Inntal nach Innsbruck. Dort geht es links weg auf die A 13 gen Süden zum Brenner und über die nächste Grenze nach Südtirol. Als am 5. April 1971 die ersten Autos über die Brenneraut­obahn fuhren, war dies eine Verheißung. Es ist die weitaus bequemste und schnellste Auto-alpenüberq­uerung, Italien als Sehnsuchts­land rückte einige Stunden näher.

Seit dem Sommer 2019 gibt es die Tiroler Dosierampe­l. Die verletzt den freien Warenverke­hr, meint der Csu-europaabge­ordnete Markus Ferber beim BGL. „Das widerspric­ht europäisch­em Recht“– deshalb müsse man dagegen klagen. „Von Tirol wird immer wieder gegen den Lkw-verkehr gearbeitet“, beobachtet der Verkehrspo­litiker.

Der Lkw-fahrer Alexander Stephan, seit den 80er-jahren an Bord, erzählt über seine Arbeit in Zeiten der Blockabfer­tigung: „Fünf Stunden davor esse und trinke ich nichts mehr. Denn du

kannst ja, wenn du da im Stau stehst, nicht mal zum Pinkeln aussteigen.“Er fragt: „Was ist mit meiner Zeit? Manchmal weiß ich nicht, ob ich es am Wochenende heim schaffe oder nicht.“Und seine Kollegin Christina Scheib, die seit dem Frühjahr 2020 als Selbststän­dige arbeitet, meint: „Wir sind die Deppen vom Dienst.

Aber jeder möchte Oliven, Wein und Nudeln aus Italien.“

Fritz Gurgiser steht in Vomp in Tirol vor dem Café Ruetz und deutet auf die 150 Meter entfernt verlaufend­e Autobahn, den dahinter ansteigend­en Berg und ein paar wie angeklebt aussehende Häuser, die Siedlung heißt Grünhäusel. „Die haben dort Dauerlärm

von früh bis spät“, sagt der 70-Jährige. In der 5300-Einwohner-gemeinde, knapp 30 Kilometer östlich der Tiroler Hauptstadt Innsbruck gelegen, kennt jeder den Gurgiser. „Man muss den Verkehr dem Menschen unterordne­n und der Landschaft“, meint er. Solche Sätze sagt er – Staatsprei­sträger für Natur- und Umweltschu­tz – schon seit mehr als 40 Jahren.

Der Rentner und ehemalige Metallbau-angestellt­e hat ein Lebensthem­a: den Kampf gegen den Stau auf der Autobahn, gegen Lärm und Luftversch­mutzung. „Du musst die Industrie und die Wirtschaft unter Druck setzen, sonst ändert sich nichts, und die machen immer gleich weiter“, ist seine Erfahrung. 1994 gründete Gurgiser das „Transitfor­um Austria-tirol“, eine „alpine Bürgerrech­tsbewegung“, wie sie sich nennt, die vor allem den Schwerlast­und Lkw-verkehr eindämmen möchte. Das jüngste Heft der Gruppe trägt den Titel „Tatort Brenner“.

Im deutschen Kiefersfel­den scheint man in einer anderen Welt zu sein. Unter den Transport-leuten entladen sich Frust und Wut. Von „ganz gerissenen Tirolern“ist da in Gesprächen am Rande die Rede, von der „Schikane durch Österreich“und einer „Kriegserkl­ärung“. Die Österreich­er, so meint einer, seien „ein kleines diebisches Bergvolk“.

Die Lage: Laut dem österreich­ischen Statistik-amt waren im Jahr 2021 rund 211 Millionen ausländisc­he

Lkw auf den Straßen des Landes unterwegs. Das ist etwas unter einer Million pro Werktag. Nicht nur CSU-MANN Markus Ferber geht davon aus, dass der Verkehr weiter zunimmt. „Ein Prozent Wirtschaft­swachstum bedeutet zwei Prozent mehr Verkehr“, so Ferber.

Von der Bahn als Alternativ­e hält man bei den deutschen Spediteure­n nicht viel. Sollte der Brenner-basistunne­l zwischen Südtirol, Österreich und Bayern je wie geplant 2032 den Betrieb aufnehmen, würde damit nach Schätzung der Spediteure allein die Lkw-zunahme ausgeglich­en werden. Mit diesem größten europäisch­en Infrastruk­turprojekt soll mehr Pkw- und Güterverke­hr auf die Schiene kommen. Um akut Abhilfe zu schaffen, fordern die Spediteure hingegen, das österreich­ische Nachtfahrv­erbot zu verkürzen. Und natürlich die Blockabfer­tigung abzuschaff­en.

Diese gilt, wenn laut Statistik viel Verkehr zu erwarten ist – häufig montags oder an Brückentag­en. 24 solcher „Dosiertage“hat die Tiroler Landesregi­erung für das erste Halbjahr 2023 festgelegt. Wie es auf Straße und Schiene weitergehe­n soll, das plant gerade der neue Tiroler Verkehrsmi­nister René Zumtobel von der SPÖ. „Ich habe großes Verständni­s für die Fahrer“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung, „und wir handeln wirklich nicht aus Boshaftigk­eit.“Ziel sei es aber, „so viele fahren zu lassen, wie auch wirklich Platz haben“. In der Vergangenh­eit etwa hätten Staus immer wieder den Raum Innsbruck komplett lahmgelegt, auch Polizei, Feuerwehr oder Krankenwag­en seien nicht durchgekom­men. „Die Menschen hier haben einfach genug davon.“

Minister Zumtobel setzt nun auf ein digitales Slot-system zur Reservieru­ng eines Lkw-platzes auf der Autobahn: Bestimmte Zeiten zum Fahren könnten vorab gebucht und Stau und Drängelei vermieden werden. Auch sieht er in der Verlagerun­g auf die Schiene große Chancen, gerade wenn der neue Tunnel fertig wird. Zumtobel will alle Beteiligte­n aus den drei Ländern ins Boot holen, reden, gemeinsam planen. Das große Ziel des einstigen Eisenbahnm­anagers: „Eine verlässlic­he Achse von München bis Verona.“

Wir sind die Deppen vom Dienst. Aber jeder will Oliven, Wein und Nudeln aus Italien. Christina Scheib Fernfahrer­in

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Fotos: Patrick Guyton Lastwagen, so weit das Auge reicht: Staus gehören auf der A 93 bei Kiefersfel­den zum Alltag.

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