Heidenheimer Zeitung

Die neue Friedensbe­wegung

Je länger der Konflikt dauert, desto besorgter werden viele. Wie lässt sich das Töten und Sterben beenden?

- André Bochow

Am Ende hat Lula doch noch eingelenkt. Als ihn der Bundeskanz­ler Ende Januar besucht, revidiert der brasiliani­sche Präsident in der gemeinsame­n Presseerkl­ärung seine Ansicht, wonach der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Nato mitschuldi­g am Kriegsausb­ruch sind. Russland habe „den klassische­n Fehler gemacht, in das Territoriu­m eines anderen Landes einzudring­en“. Aber: „Wenn einer nicht will, können zwei nicht streiten.“Lula will vermitteln. Zumindest für den Kreml dürfte der brasiliani­sche Präsident akzeptabel sein, denn er lehnt Sanktionen gegen Russland ebenso ab wie Munitionsl­ieferungen an die Ukraine.

Nun hat Peking einen 12-Punkte-plan vorgestell­t, in dem eine sofortige Wiederaufn­ahme von Verhandlun­gen gefordert wird. Doch wie groß ist die Wirkung angesichts der Tatsache, dass China laut „Spiegel“mit den Russen auch über die Lieferung von Kamikazedr­ohnen verhandelt?

Die deutsche Initiative, die einem „Manifest für den Frieden“folgt, das von der linken Bundestags­abgeordnet­en Sahra Wagenknech­t und der Publizisti­n Alice Schwarzer verfasst wurde, setzt nicht zuletzt auf den Verzicht auf Waffenlief­erungen an die Ukraine. Es heißt zwar: „Die von Russland brutal überfallen­e ukrainisch­e Bevölkerun­g braucht unsere Solidaritä­t“, worauf aber die Frage folgt, was das denn heiße. „Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges?“

Vorschläge fehlen

Von einem befürchtet­en „maximalen Gegenschla­g“seitens Putins „spätestens bei einem Angriff auf die Krim“wird gesprochen. „Verhandeln heißt nicht kapitulier­en“, stellen die Autorinnen fest. „Verhandeln heißt, Kompromiss­e machen, auf beiden Seiten.“Welche Kompromiss­e? Kein Vorschlag. Den Aufruf haben viele bekannte Persönlich­keiten und insgesamt über 620 000 Menschen

unterschri­eben. Dass auch Afd-chef Chrupalla unterzeich­net hat und mit Afd-anhängern bei der angekündig­ten Friedensde­mo in Berlin zu rechnen ist, hat der Führung der Linksparte­i die Möglichkei­t eröffnet, vorsichtig auf Distanz zu gehen, obwohl im Grunde die Position der Linken dem Inhalt des Manifests äußerst ähnlich ist.

Und auch der deutsche Philosoph Jürgen Habermas (93) hat in einem „Plädoyer für Verhandlun­gen“, veröffentl­icht in der Süddeutsch­en Zeitung, die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass „Parteilich­keit in Parteisein umschlagen könnte“. Zwar sieht Habermas „einstweile­n kein Anzeichen dafür, dass sich Putin auf Verhandlun­gen einlassen würde“, aber es geht ihm um den „vorbeugend­en Charakter von Verhandlun­gen“, damit nicht das Dilemma entsteht, entweder aktiv in den Krieg eingreifen zu müssen, oder um einen Atomkrieg zu vermeiden, „die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen“.

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