Eine Reise kommt ans Ende
Mit dem Dirigentinnenfilm „Tár“und Cate Blanchett als Stargast geht das Festival in die Schlussrunde. Die 73. Ausgabe zeigte viel Glanz – und einen deutschen Film als Favoriten für den Hauptpreis.
Es war der letzte große Glamour-auftritt auf der Berlinale, und er hat Berlin gehörig in Aufregung versetzt. Cate Blanchett, die in ihrer Rolle der Dirigentin Lydia Tár derzeit von Erfolg zu Erfolg eilt, spricht am Nachmittag im völlig überfüllten Theater Hebbel am Ufer vor Filmstudentinnen und -studenten und Nachwuchstalenten und wird am Abend auf dem roten Teppich gefeiert – gemeinsam mit ihrer Kollegin Nina Hoss, die im Film ihre Lebensgefährtin Sharon spielt.
Der Film spielt in weiten Teilen in Berlin, gedreht wurde auch in Dresden, mit den Dresdener Philharmonikern. „In Berlin hat alles seinen Anfang genommen, nun kommt unserer Reise in Berlin ans Ende“, erklärt Regisseur Todd Field unter Tränen vor der Filmpremiere. Das Musikdrama kommt am kommenden Donnerstag in die Kinos.
Parabel auf die Jetztzeit und eine Charakterstudie, die so schnell nicht loslässt.
Und Blanchett erläutert, dass sie von jeder Figur etwas zurückbehalte: „Der Schutt oder die Reste bleiben bei dir. Und das ist die Freude an dem, was ich tue, dass man sich durch diese Rollen erweitert fühlt.“
In „Tár“dürfte es besonders viel Schutt sein. Die Geschichte einer ehrgeizigen Dirigentin, die sich und ihre Umwelt gnadenlos fordert im Dienst der Musik und dabei übersieht, dass Missbrauch von Macht im Kleinen beginnt und am Ende Katastrophen gebiert, ist eine Parabel auf die Jetztzeit und eine Charakterstudie, die so schnell nicht loslässt.
Und Blanchett und Hoss spielen das so virtuos, so differenziert, mit so viel Härte und Verletzlichkeit, dass auch ein Oscar in greifbarer Nähe sein dürfte. Bei
der Berlinale lief der Film außerhalb des Wettbewerbs in einer Sondervorführung: „In solchen Fällen muss man das Protokoll
auch einmal brechen“, erklärt Berlinale-chef Carlo Chatrian dazu.
Es war ohnehin endlich wieder eine Berlinale der großen Starauftritte: Kristen Stewarts eindrucksvolles Schwanenfederkleid zur Eröffnung, Helen Mirren, die mit ihrer Schlagfertigkeit und ihrem trockenen Humor das Publikum begeistert, Bono, der bei der Verleihung des Goldenen Ehrenbären an Steven Spielberg eine eindrucksvolle Laudatio hinlegt, Joan Baez, die auch in Wiederholungsvorführungen für das Filmpublikum einen Song anstimmt – die Auftritte auf dem roten Teppich, die langen Abendroben, die
kreischenden Fans, die Autogrammund Selfie-jäger, das ist das Festivalgefühl, wie man es zwei Jahre lang vermisst hat.
Auch der Wettbewerb hat mit Christian Petzolds Ostsee-drama „Roter Himmel“zumindest einen würdigen deutschen Bärenkandidaten zu bieten, auch wenn manches andere vielleicht besser in der Spezialistenreihe „Encounters“aufgehoben gewesen wäre. Wenn am Sonnabend die begehrten Bären-trophäen verliehen werden, dürften Petzold und sein junges Team mit Sicherheit bedacht werden.
Der Rest ist Spekulation, in einem durchwachsenen Jahrgang:
das Alterswerk „Le Grand Chariot“von Philippe Garrel? Die wütende Emanzipationssaga „The Survival of Kindness“? Oder doch Nicolas Philiberts anrührende Dokumentation über psychisch Kranke?
In Erinnerung bleiben werden in diesem Jahr ohnehin vor allem die Dokumentarfilme jenseits des Wettbewerbs – und das ständige Hintergrundrauschen des Krieges in allen Facetten, von Israel über Sarajevo bis in die Ukraine, das sich durch so viele Filme zieht. Ein Störgeräusch, mindestens so schmerzhaft wie das Ticken des Metronoms, das Cate Blanchett als Dirigentin verrückt macht.