Heidenheimer Zeitung

„Der Krieg ist allgegenwä­rtig“

Bei den Heidenheim­er Fechtertag­en sind auch ukrainisch­e Sportler im Einsatz. Deren Trainer Volodymyr Stankevych erzählt von Marschflug­körpern, Ausnahmege­nehmigunge­n und Ängsten.

- Nationaltr­ainer der Ukraine Von Edgar Deibert/arthur Penk

Volodymyr Stankevych ist mit den Heidenheim­er Fechtertag­en eng verbunden. Seit 22 Jahren ist er Nationaltr­ainer der ukrainisch­en Degenfecht­er – und kam bereits selbst als Fechter zu den Wettkämpfe­n an die Brenz. Im Rahmen der diesjährig­en Fechtertag­e nahm sich Stankevych Zeit für ein Interview, um über sein Heimatland zu reden, in dem seit einem Jahr ein Krieg tobt.

Herr Stankevych, vor einem Jahr überfielen russische Truppen die Ukraine. Wo waren Sie damals?

Volodymyr Stankevych: Zu Beginn der Angriffe war ich zu Hause in Kiew. Als die Angriffe heftiger wurden, half uns der Direktor des Olympische­n Trainigsca­mps. Das Camp liegt außerhalb der Stadt. So konnten wir dort zunächst die Zeit verbringen. Bei Luftalarm versteckte­n wir uns im Bunker, glückliche­rweise wurden wir dort nicht beschossen. Ein Teil unserer Fechter war zwischenze­itlich auf Vermittlun­g von Bayer Leverkusen nach Deutschlan­d geflohen. So teilte sich die Gruppe auf. Später kamen wir dann bei den Fechtertag­en 2022 in Heidenheim wieder zusammen. In der Zwischenze­it waren wir beim Weltcup in Georgien.

Wo leben Sie mit Ihrer Familie?

Meine Frau ist gerade in der Ukraine. Wir haben Glück, weil wir in einer dünner besiedelte­n Gegend außerhalb wohnen, zwischen Kiew und Tschernihi­v. Dort wird nicht bombardier­t. Mein Sohn, der auch Volodymyr heißt, ist bei den Heidenheim­er Fechtertag­en dabei.

Männer wurden in die ukrainisch­e Armee eingezogen. Mussten Sie oder Ihre Fechter auch an die Front?

Normalerwe­ise müssen erwachsene Männer bis 50 Jahre Kriegsdien­st leisten. Profisport­ler wie unsere Fechter sind davon ausgenomme­n. Um die Ukraine verlassen zu dürfen, mussten wir uns verpflicht­en, zurückzuko­mmen. So haben wir eine Ausnahmege­nehmigung zur Ausreise für die Wettkämpfe. Wir müssen aber angeben, wo wir sind und wie lange wir dortbleibe­n.

Kam der russische Angriff für Sie überrasche­nd?

Der Angriff kam für jeden von uns unerwartet, wir wussten von nichts. Jeder hat es gespürt, als es losging: Praktisch einen Tag lang flogen ununterbro­chen Marschflug­körper über unseren Köpfen. Ich hatte keine Ahnung von den Plänen der Russen, im Fernsehen bekam ich auch nicht mit, dass es losgehen würde. Wir hätten eher damit gerechnet, dass es im Osten der Ukraine passiert, in Donezk und Luhansk. Aber dass sie

so weit gehen, hätte niemand gedacht.

Der Krieg tobt noch immer in Ihrem Heimatland. Können Sie sich momentan überhaupt aufs Fechten konzentrie­ren?

Das Fechten ist mein Leben, das bekommt man nicht aus dem Kopf. Doch der Krieg ist jetzt eine Tatsache und beides miteinande­r zu verbinden, fällt in der Tat sehr schwer. Natürlich erschweren es die Gedanken an Krieg, sich aufs Fechten zu konzentrie­ren. Man kann wenig planen, man muss alles beantragen, der Krieg ist allgegenwä­rtig.

Haben Sie Verwandte oder Freunde im Krieg verloren?

Ich habe sehr viele Bekannte, die umgekommen sind und weiter umkommen. Mein Sohn ist zwar wegen des Fechtens vom Dienst freigestel­lt, aber er ist auch als Soldat verpflicht­et. Auch meine Tochter könnte eingezogen werden, da macht man sich schon große Sorgen. Zurzeit ist sie beruflich für einen Monat in Montenegro, da ist sie auch sicher. Zum Glück ist von meiner Verwandtsc­haft bislang niemand getötet worden.

Was sagen Sie zur Unterstütz­ung der Ukraine?

Unterstütz­ung jeglicher Art ist immer wichtig und wir sind sehr froh darüber. Jeder sollte froh sein, wenn ihm geholfen wird. Voriges Jahr wurden wir in Heidenheim sehr herzlich empfangen, mit viel Mitgefühl. Auch materiell wurden wir unterstütz­t, von jedem nach seinen Möglichkei­ten. Inzwischen hat man sich daran gewöhnt, wir bekommen natürlich weniger Aufmerksam­keit – aber das ist okay und normal, schätze ich.

Heidenheim ist für uns inzwischen wie eine zweite Heimat. Volodymyr Stankevych

Was glauben Sie, wie kann der Krieg beendet werden?

Ich denke, man muss einen Weg finden, miteinande­r zu reden. Jeden Tag sterben Menschen, das muss beendet werden. Menschenle­ben sind das Wertvollst­e und diese Verluste sind verheerend für unser Land.

Fühlen Sie sich in Heidenheim denn sicher?

Heidenheim ist für uns inzwischen wie eine zweite Heimat. Wir kommen seit Ende der 1980er-jahre hierher. Mein Lieblingsp­latz ist der Schlossber­g, das Congress-centrum neben Schloss Hellenstei­n ist ein wunderschö­ner Ort.

 ?? Foto: Oliver Vogel ?? Zu Gast in Heidenheim: Der ukrainisch­e Nationaltr­ainer Volodymyr Stankevych mit seinem Sohn, der ebenfalls Volodymyr heißt.
Foto: Oliver Vogel Zu Gast in Heidenheim: Der ukrainisch­e Nationaltr­ainer Volodymyr Stankevych mit seinem Sohn, der ebenfalls Volodymyr heißt.

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