Heißer Frühling
Chaos in den Abflughallen, zig verspätete oder gar nicht erst startende Flieger: An sieben deutschen Flughäfen hatten die Beschäftigten vor gut einer Woche die Arbeit niederlegt. Die Aktion war ein Warnstreik bei den laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Ärgerlich, nervig und unnötig fanden das die Arbeitgeber, aber auch Flugreisende. Dabei dürfte das erst ein Vorgeschmack auf eine nun drohende Streikwelle gewesen sein.
Deutschland blickt einem heißen Frühling entgegen. Im öffentlichen Dienst gehen die Tarifverhandlungen in die zweite Runde. Bei der Post ist kein Kompromiss gefunden und am Dienstag startet auch noch die größte Bahn-gewerkschaft EVG in die Verhandlungen um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Das dürfte für Frust in der Bevölkerung sorgen. Denn die Forderungen haben es angesichts der Preissteigerungen in sich. Die Verhandlungen dürften mühsam werden, weitere Streiks könnten daher folgen.
Selten war die Position der Gewerkschaften so gut. Das hat mit einer Sache zu tun: dem Personalmangel. Verkehrsunternehmen, Krankenhäuser und Kindergärten können froh sein über jeden, der dort arbeitet. Bei der Bahn versuchen sie seit Jahren dagegen anzukämpfen, dass sich die Babyboomer sukzessive zur Ruhe setzen. Doch das Recruiting ist mühsam. Auch im öffentlichen Dienst, der lohntechnisch nicht mit der freien Wirtschaft konkurrieren kann, suchen sie händeringend nach qualifizierten Beschäftigten.
Kurzum: Die Arbeitnehmer haben alle Trümpfe in der Hand. Dass sie zum äußersten Mittel, dem Arbeitskampf greifen, fällt ihnen auch deshalb leichter. Arbeitgeberverbände haben nun vorgeschlagen, das Streikrecht zu begrenzen. Gesetzliche Regelungen sollen dafür sorgen, Arbeitskämpfe stärker zu reglementieren.
Der Vorschlag gehört zum üblichen Geplänkel zwischen den Verhandlungsparteien – und er setzt an einer fundamental falschen Stelle an. Statt das Streikrecht zu beschränken, sollten Kitas, Bahnunternehmen und Pflegeheime zuallererst dafür sorgen, möglichst attraktiv auf dem Markt zu sein.
Einen modernen Arbeitsplatz mit Homeoffice und Top-bezahlung gibt es nicht zum Nulltarif.
Dazu gehört nicht nur eine angemessene Bezahlung. Vielmehr kommt es bei modernen Arbeitgebern auch auf softe Faktoren an: Wie steht es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ? Hat der Arbeitgeber eine Kita, in der das Kleinkind betreut werden kann? Ist Homeoffice problemlos möglich? Wie flexibel können die Arbeitszeiten gestaltet werden und wie steht es um die Weiterbildungsoptionen? All das ist längst nicht selbstverständlich, aber insbesondere einer jungen Generation nachwachsender Arbeitskräfte wichtig.
Zugleich sollten die Arbeitnehmer beachten: Einen modernen Arbeitsplatz mit 30-Stunden-woche, Homeoffice und einer Top-bezahlung gibt es nicht zum Nulltarif. Er geht auf Kosten von Wachstum, Zukunftsinvestitionen und möglicherweise Qualität. Das sollten die Arbeitnehmer, so stark ihre Position derzeit auch ist, stets im Hinterkopf haben.