Das lange Warten auf ein Organ
Eigentlich sollte mit einem neuen Gesetz alles viel schneller gehen. Doch noch immer warten tausende erkrankter Menschen auf einen Spender. Was ist da falsch gelaufen?
Tausende Menschen warten auf Niere, Herz oder Leber eines gerade Verstorbenen, um selbst weiterleben zu können. Doch es gibt viel zu wenig gespendete Organe. 2022 dann der nächste Rückschlag: Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sank die Anzahl der Organspender auf 869 – 64 weniger als im Vorjahr. Für Dso-vorstand Axel Rahmel ist es „ein ernüchterndes Fazit, dass wir im vergangenen Jahr weniger Menschen mit einer lebensrettenden Transplantation helfen konnten“. Das sei für jeden einzelnen Patienten auf den Wartelisten dramatisch. Nach Angaben des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) brauchen die meisten eine Niere (2021: 6593), gefolgt von einer Leber (848) und dem Herzen (727). Für die Fdp-gesundheitspolitikerin Katrin Helling-plahr darf man den Rückgang „gesellschaftlich wie politisch nicht einfach hinnehmen“.
Dabei war in der Pandemie zunächst in Deutschland, anders als in anderen Ländern, die Zahl der Menschen, denen nach dem Hirntod Organe entnommen wurden, stabil geblieben – im Vor-corona-jahr 2019 hatte es 932 postmortale Spender, so die offizielle Bezeichnung, gegeben, 2020 dann 913 und 933 im Jahr 2021. Den Einbruch 2022 erklärt sich die DSO unter anderem mit der Arbeitsüberlastung in den Kliniken aufgrund des durch Corona erhöhten Personalausfalls. Gleichzeitig sei aber die Zahl der Ablehnungen einer Spende auf den Intensivstationen gestiegen. 2022 war laut DSO bei der Hälfte der möglichen Organspenden, die nicht
realisiert werden konnten, eine fehlende Einwilligung der Grund. Laut vdek liegt Deutschland im internationalen Vergleich „weit abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze“. Belegt wird das durch das internationale Register Irodat. Bezogen auf je eine Million Bürger betrug die Rate an Spendern 2021 in Spanien 40,2, in Kroatien 29,5, in Portugal 27,9, in Belgien 27,1, in Frankreich 24,7, in Österreich 20,4 – und in Deutschland 11,2.
Dabei sollte alles besser werden – durch ein Gesetz, das im März 2022 in Kraft trat. Es war das Ergebnis einer langen Diskussion, die überparteilich geführt worden war und in der Frage gipfelte: Soll man automatisch Spender sei, dem aber widersprechen können? Diese Widerspruchslösung wurde vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem heutigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) präferiert. Oder soll man sich bewusst für eine Spende entscheiden müssen, Entscheidungslösung genannt? Durchgesetzt hatte sich ein Gesetzentwurf von Annalena Baerbock (Grüne), Katja Kipping (Linke) und Stephan Pilsinger (CSU), der die Entscheidungslösung um etwas mehr Beratung, etwa bei Behördengängen und Arztbesuchen, vor allem aber um ein bundesweites Online-register erweitert, in dem die persönliche Entscheidung zur Organspende dokumentiert werden kann. Damit die Krankenhäuser schnell auf die Daten zugreifen können. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das das Register betreiben soll, ist der Start aktuell für das erste Quartal 2024 geplant.
Für Katrin Helling-plahr aber könnte das Register einen echten Unterschied machen. Weshalb sie beklagt, dass dessen „Errichtung durch das Bundesgesundheitsministerium bisher viel zu langsam vorangeht“. Karl Lauterbach dagegen hat einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung ins Spiel gebracht: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“Zustimmung kommt etwa von den Länderkollegen aus Bayern, Klaus Holetschek (CSU), Rheinland-pfalz, Clemens Hoch (SPD) und Baden-württemberg, Manfred Lucha (Grüne).
Erneute Abstimmung?
Katrin Helling-plahr dagegen hält das „aktuell nicht für zielführend“. Stattdessen könne man überlegen, Überkreuz-lebendspenden zu erlauben. Denn was häufig beim Thema Organspende vergessen wird: Jede vierte Niere, die verpflanzt wird, stammt vom gesunden Ehepartner oder einem Geschwisterteil des Empfängers. Das nennt man Lebendspende. Nur passt die Spendenbereitschaft häufig nicht zur Kompatibilität der Organe. Überkreuzspende bedeutet: Will etwa ein Mann seiner Frau eine Niere spenden, was aber an Gewebeunverträglichkeit scheitert, kann diese Niere einer anderen Frau eingepflanzt werden, deren Mann wiederum für die Frau von Paar 1 spendet. In den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, Spanien und den USA ist das üblich, in Deutschland aber verboten. Obwohl, so Katrin Helling-plahr, damit gleich zwei Personen ein lebensrettendes Organ erhalten könnten. „Auch das gilt es kritisch zu hinterfragen, bevor sich der Bundestag erneut mit der Frage Widerspruchslösung befasst.“