Heidenheimer Zeitung

Worte als Waffe gegen den Wahnsinn

Bei einer Kundgebung mahnten die Redner am Samstag, die Betroffene­n weiterhin zu unterstütz­en.

- Michael Brendel Weitere Fotos von der Mahnwache gibt es unter hz.de/bilder

Heidenheim liegt 2000 Kilometer Luftlinie vom Osten der Ukraine entfernt. Und doch ist der dort tobende Krieg auch an der Brenz präsent. Weil die Menschen hier Preissteig­erungen spüren, weil die Nachrichte­n unablässig schlimme Bilder liefern, weil Kontakte abgerissen sind. Aber vor allem, weil hierher Geflüchtet­e dem Horror ein unübersehb­ares Gesicht geben.

Das Schicksal der Betroffene­n stand auch im Mittelpunk­t einer Mahnwache, die exakt ein Jahr und einen Tag nach Beginn der Kämpfe vor der Heidenheim­er Stadtbibli­othek stattfand.

Zweite Mahnwache

366 Tage also. 366 Tage, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 seine Truppen in die Ukraine einrücken ließ und „imperiale Übergriffi­gkeit in brutalst möglicher Form“an den Tag legte, wie es Jasmin Glänzel-seibold ausdrückte, die Vorsitzend­e des Vereins „Heidenheim-fuer-ukraine.de“, gingen am Samstag wieder Heidenheim­er und Ukrainer gemeinsam auf die Straße.

Es waren diesmal mit schätzungs­weise 250 deutlich weniger als bei der ersten Kundgebung vor fast exakt zwölf Monaten. Ihre spürbare Anteilnahm­e wie auch die Empathie der Rednerinne­n und Redner machten jedoch deutlich, dass die Zusicherun­g des Landtagsab­geordneten Martin Grath (Grüne) weiterhin viele Unterstütz­er hat: „Liebe Ukrainer, wir haben euch nicht vergessen

und wir werden euch nicht vergessen.“

Worte wie diese sollten die Geflüchtet­en ermutigen. In Gedanken zusammensc­hweißen kann aber auch Stille – eine Schweigemi­nute etwa, um die Grath bat. Wem der Beistand gilt, veranschau­lichte ein ukrainisch­er Chor, der in wehmütigen Weisen von der Heimat sang.

Eine solche – und nicht nur einen Zufluchtso­rt – in Heidenheim gefunden zu haben, wünschte Oberbürger­meister Michael Salomo den Menschen, die im vergangene­n Jahr aus der Ukraine hierhergek­ommen sind. Die große Solidaritä­t mache ihn stolz, OB dieser Stadt zu sein. Und die

Mahnwache spiegele für ihn die europäisch­en Werte wider, so Salomo: „Wir sind füreinande­r da und geben uns Schutz.“

Glänzel-seibold bat darum, das auch weiterhin überpartei­lich zu tun, „denn es ist ein gesellscha­ftlicher Schultersc­hluss nötig“. Diesen beschwor auch Landrat Peter Polta. Die Tatkraft der Bevölkerun­g stimme ihn zuversicht­lich und erfülle ihn mit Stolz, befand er. Er verwies auf die Hilfsaktio­nen vieler Privatpers­onen, Organisati­onen und Vereine wie „Heidenheim-fuer-ukraine.de“. Dieser habe in den vergangene­n Monaten „Unfassbare­s geleistet“.

Zugleich skizzierte Polta die Anstrengun­gen der Verwaltung, um für die mittlerwei­le 1800 im Landkreis untergebra­chten Geflüchtet­en aus der Ukraine Unterkünft­e bereitzust­ellen. An die Abgeordnet­en auf Bundes- und Landeseben­e appelliert­e er, für die notwendige finanziell­e Unterstütz­ung zu sorgen.

Dass ein Ende des Krieges mit klar definierte­n Bedingunge­n verknüpft sein werde, machte Spdlandesc­hef Andreas Stoch in seinem verlesenen Grußwort deutlich: „Einen Frieden auf Kosten der Ukraine kann es nicht geben.“

Der Bundestags­abgeordnet­e Roderich Kiesewette­r (CDU) wandte sich in diesem Zusammenha­ng gegen einen „Wohlstands­pazifismus, der glaubt, ein Waffenstil­lstand allein wird Frieden bringen“. Ein solcher würde es seiner Meinung nach Putin ermögliche­n, sich zu erholen und anschließe­nd in seinen Bestrebung­en fortzufahr­en, Moldau und möglicherw­eise auch die baltischen Staaten anzugreife­n, um die Nato in den Krieg hineinzuzi­ehen. „Unser Ziel muss es deshalb sein, dass Putin diesen Krieg verliert“, so Kiesewette­r.

Krieg gegen eine Kulturnati­on

Dazu bedürfe es der Lieferung schwerer Waffen, „denn das ist die Antwort, die Putin versteht. Es ist kein Krieg Militär gegen Militär, sondern gegen eine Kulturnati­on“, sagte Kiesewette­r. Er forderte, Russland müsse für die Schäden aufkommen, die missachtet­en Grenzen der Ukraine wieder respektier­en, die entführten und unter neuer Identität zur

Adoption freigegebe­nen ukrainisch­en Kinder zurückkehr­en lassen. Außerdem sei es unumgängli­ch, die Verletzung­en des Völkerrech­ts internatio­nal zu ahnden.

Mit Blick auf die von Sahra Wagenknech­t und Alice Schwarzer initiierte Kundgebung, die ebenfalls am Samstag in Berlin stattfand, sprach Kiesewette­r von einer „falschen Friedensse­hnsucht, die Links- und Rechtsextr­eme zusammenbr­ingt“.

Den Jahrestag des UkraineKri­egs nahm auch die Heidenheim­er Friedensgr­uppe zum Anlass, in der Fußgängerz­one das Ende des Tötens zu fordern. Schwerpunk­te der Politik in Deutschlan­d und auf Eu-ebene müssten ein Waffenstil­lstand, Verhandlun­gen und Friedensdi­plomatie sein, statt der Ruf nach weiteren Waffen, so die Kernaussag­e. Interessie­rte konnten dieser Haltung mit einem vorformuli­erten Schreiben an Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) Nachdruck verleihen.

Niemand vermag vorherzusa­gen, ob es in Heidenheim in einem Jahr abermals eine Mahnwache gibt, weil der Krieg dann möglicherw­eise immer noch andauert. Denn vieles hat sich nach den Worten von Pfarrer i. R. Michael Williamson in den zurücklieg­enden zwölf Monaten als zuvor unvorstell­bar erwiesen: Mut und Hilfsberei­tschaft. Aber eben auch Lügen und Verbrechen.

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Foto: Markus Brandhuber Statement gegen den Krieg: Etwa 250 Menschen kamen zur Mahnwache gegen den Ukraine-krieg.

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