Heidenheimer Zeitung

Mit Jugendlich­en über Depression­en sprechen

Unter dem Namen „Irre gut“gehen Fachleute und Betroffene zusammen in Schulen, um psychische Erkrankung­en zum Thema zu machen. Die fünf wichtigste­n Dinge, die man über das Heidenheim­er Projekt wissen sollte.

- Von Silja Kummer

Psychische Erkrankung­en gibt es nicht nur bei Erwachsene­n, sie beginnen oft schon im jugendlich­en Alter. Nach der Corona-pandemie hat sich die seelische Stabilität von Jugendlich­en verschlech­tert, dazu gibt es Untersuchu­ngen. „Bis zu 20 Prozent der jungen Menschen haben psychische Auffälligk­eiten“, sagt Andrea Krumhard, Sozialarbe­iterin in der psychiatri­schen Tagesklini­k des Heidenheim­er Krankenhau­ses. Oft schätzen aber sowohl die Betroffene­n selbst als auch ihr Umfeld die Situation falsch ein und verstehen gar nicht, was los ist. Damit psychische Krankheite­n möglichst früh erkannt werden und die Jugendlich­en Hilfe bekommen, gibt es das Prävention­sprojekt „Irre gut“, das in Schulen geht und dort mit Jugendlich­en über Depression, aber auch andere seelische Erkrankung­en spricht. Was man über „Irre gut“wissen muss:

1. Im Team von „Irre gut“sind nicht nur Fachleute, sondern auch Betroffene.

„Wenn man von seinen eigenen Erfahrunge­n spricht, hören die Jugendlich­en oft besonders genau zu“, sagt Heike Koch. Sie weiß als selbst psychisch Erkrankte, dass die Psychiatri­e immer noch für viele Menschen etwas mit „verich

rückt sein“zu tun hat oder als „Klapse“bezeichnet wird. „Dabei geht man doch auch ins Krankenhau­s und lässt sich behandeln, wenn man sich den Fuß gebrochen hat“, so Heike Koch. Sie will bei den Besuchen im Klassenzim­mer den Jugendlich­en vermitteln,

dass es normal und wichtig ist, sich bei psychische­n Problemen Hilfe zu holen, „so wie bei körperlich­en Erkrankung­en auch“. Vor einer Schulklass­e über die eigenen psychische­n Probleme zu sprechen, ist nicht immer ganz einfach. „Ich musste anfangs eine Hemmschwel­le überwinden, aber mittlerwei­le kann ganz offen darüber reden“, sagt Wilfried Maier, der sich auch ehrenamtli­ch bei „Irre gut“engagiert.

2. Zwei Mitarbeite­nde von „Irre gut“kommen in Schulklass­en ab der Jahrgangss­tufe 9 und gestalten dort drei Unterricht­seinheiten (dreimal 45 Minuten).

Lehrer und Lehrerinne­n können sich „Irre gut“in ihre Klassen holen. Jeweils eine Fachkraft und ein Betroffene­r bilden ein Team und gestalten drei Unterricht­sstunden. Nach einem kurzen Film als Einstieg ins Thema geht es vor allem darum, mit den Jugendlich­en ins Gespräch zu kommen. „Wir machen

keine therapeuti­sche Interventi­on, sondern Prävention“, erläutert Andrea Krumhard. Die Spanne der Erfahrunge­n mit psychische­n Problemen sei aber breit und in jeder Klasse anders: Manchmal bringen Jugendlich­e auch aus dem Elternhaus Vorerfahru­ngen mit, manchmal gibt es Betroffene in der Klasse oder im Freundeskr­eis, manchmal sogar bei den Lehrkräfte­n. „Wir wollen dafür sensibilis­ieren, wie man eine psychische Erkrankung erkennt, und auch sagen, wo man Hilfe finden kann“, so Elisabeth Kömm-häfner, Krankensch­wester im Ruhestand und systemisch­e Therapeuti­n.

3. Bei „Irre gut“geht es schwerpunk­tmäßig um Depression, aber auch um andere psychische Störungen.

„Depression­en gehen oft einher mit Angststöru­ngen, Panikattac­ken oder Essstörung­en“, sagt Elisabeth Kömm-häfner. Im Film, der eingangs gezeigt wird, geht es um Depression, im anschließe­nden Gespräch können aber auch andere seelische Probleme thematisie­rt werden. Die Jugendlich­en können sich auch schon im Vorfeld Fragen überlegen, diese werden schriftlic­h und anonym gestellt und dann im Gespräch beantworte­t. Ein ganz häufiges Thema seien Selbstverl­etzungen, das sogenannte „Ritzen“: „Das kommt fast in jeder Klasse vor“, so Heike Koch.

4. Beim Besuch des „Irre gut“teams gibt es auch Infomateri­al für die Schülerinn­en und Schüler.

Jeder Jugendlich­e, der das möchte, kann am Ende des Besuchs der „Irre gut“- Mitarbeite­r eine Hilfebox mitnehmen. In der kleinen Pappschach­tel sind übersichtl­iche Infos zu verschiede­nen psychische­n Erkrankung­en enthalten, die man auch in die Hosentasch­e stecken kann. Es gibt darin Adressen, an die sich Betroffene wenden können. Zusätzlich gibt es ein Infoblatt mit Anlaufstel­len in der Region.

5. Durch Corona hat sich die psychische Situation von Jugendlich­en verschlech­tert, trotzdem wird das „Irre gut“-team gerade wenig angefragt.

„In manchen Schulklass­en ist der Zusammenha­lt verschwund­en“, hat Elisabeth Kömm-häfner beobachtet, man habe das Gefühl, es mit lauter Einzelkämp­fern zu tun zu haben. „Für viele Jugendlich­e sind Kontakte weggebroch­en, weil sie nicht mehr in Vereine gehen konnten und sich nicht treffen durften“, so Heike Koch. Die Defizite, die durch die Reduzierun­g der sozialen Kontakte entstanden seien, spüre man jetzt, meint Andrea Krumhard. Auch bei „Irre gut“gab es eine coronabedi­ngte Pause, so richtig angelaufen ist die Arbeit immer noch nicht. „Wir haben Kapazitäte­n“, sagt Andrea Krumhard.

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Foto: Rudi Penk Engagieren sich ehrenamtli­ch beim Projekt „Irre gut“: (von links) Heike Koch, Elisabeth Kömm-häfner, Wilfried Maier und Andrea Krumhard.
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Foto: Silja Kummer Beim Projekt „Irre gut“bekommen Jugendlich­e eine Hilfebox mit kurzen Infos zu verschiede­nen Aspekten der seelischen Gesundheit.

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