Aus Mangel an Mentalität
Die Dauerprobleme des VFB Stuttgart offenbart eine erschreckend schwache erste Hälfte auf Schalke. Daraus ergibt sich eine Reihe von Fragen.
Die Fragen stapeln sich allmählich. Zum Beispiel, warum eine Mannschaft, die in der Vorwoche den 1. FC Köln überzeugend mit 3:0 besiegt, im nächsten Spiel der Bundesliga so erschreckend schwach auftritt. Beim Tabellenletzten. Oder wie es sein kann, dass die ersatzgeschwächte Elf des FC Schalke 04 dem besser besetzten VFB Stuttgart so leicht den Schneid abkaufen kann. Und wie ist es überhaupt möglich, ohne die nötige Haltung vom Anpfiff weg in ein Kellerduell zu gehen?
Konkrete Antworten liefert der VFB nur auf dem Platz. 1:2 verloren. Dadurch rücken die Schalker bis auf drei Punkte an die Stuttgarter heran. 19 Zähler haben diese, wie die in der Tabelle dahinterliegenden Konkurrenten aus Hoffenheim und Bochum. Nur einen Punkt voraus rangiert Hertha BSC. Die Berliner dürfen sich als die Spieltagsgewinner im Kampf um den Klassenverbleib fühlen, die Stuttgarter als die Verlierer.
„Das ist total ärgerlich“, sagt Vfb-trainer Bruno Labbadia, „weil wir die Schalker auf Distanz hätten halten können. Die Möglichkeiten auf ein Unentschieden waren selbst nach der schwachen ersten Hälfte noch da.“Mit weiteren Erklärungsansätzen für die verpasste Chance, den nächsten Schritt nach vorne zu machen, tut man sich in den weiß-roten Reihen jedoch schwer. Der Trainer hat das Team vorbereitet. Nichts an der Schalker Spielweise war überraschend. Einfacher Fußball, körperlich robust vorgetragen, mit vielen langen Bällen. Von der
Mitte über außen und wieder zurück ins Zentrum. „Wir wussten, was kommt“, sagt Labbadia.
Offenbar besteht für den VFB jedoch ein Unterschied zwischen dem Wissen um die königsblaue Wucht und dem Willen, sich ihr entgegenzustemmen. „Die Schalker Leidenschaft hat einige unserer Spieler beeindruckt. Das war zu spüren“, meint der Sportdirektor Fabian Wohlgemuth – aber nicht nur das: „Es ist schon eine Sache des Kopfes, wie die Mannschaft mit solchen kritischen Situationen umgeht. Daran arbeiten wir permanent. Aber es gibt keine Blaupausen für die- se Momente.“
Der Druck im Abstiegskampf ist hoch. Festhalten kann man, dass mit Ausnahme von Torhüter Fabian Bredlow im ersten Durchgang kein Stuttgarter auf dem Berger Feld seine Normalform erreicht hat. Vor allem Borna Sosa rückte zweimal negativ ins Bild. Der Linksverteidiger war an den beiden Gegentoren durch Dominik
Drexler (10.) und Marius Bülter (40.) beteiligt. Sein schwaches Zweikampfverhalten und seine lasche Körpersprache erinnerten an einen Sosa, der Vergangenheit sein sollte.
Doch es greift zu kurz, die Defizite der Vfb-mannschaft nur an einem Spieler festzumachen – oder sie mit deren Jugend zu begründen. Denn zum einen war die Elf auf dem Platz nicht unerfahren, zum anderen gaben Führungskräfte wie Wataru Endo und Waldemar Anton keinen Halt. Im Gegenteil. Anton wackelte selbst, und Endo entdeckte seinen Kampfgeist erst nach der Pause. So schafften es Atakan Karazor und Genki Haraguchi nicht, das Spiel im Mittelfeld zu stabilisieren und die Mitspieler zusammenzuführen.
Dafür brauchte es deutliche Worte des Trainers in der Halbzeit. Weil sich der VFB auf dem Platz nicht selbst regulieren kann. Ein Mangel an Führung lässt sich daraus ableiten. Doch der Sportdirektor
sieht ein weiteres Grundproblem. „Wir müssen und wollen konstanter werden – selbst innerhalb eines Spiels reißt noch manchmal der Faden, wie die zwei unterschiedlichen Hälften auf Schalke gezeigt haben“, sagt Wohlgemuth.
Durch das glückliche Anschlusstor von Sosa (Torhüter Ralf Fährmann patzte) kam der VFB heran (63.). Mehr nicht – letztlich aus Mangel an Konstanz. Ein Dauerproblem, das sich leicht an den Ergebnislisten ablesen lässt. Im Mai 2021 gelangen dem VFB letztmals zwei Ligasiege nacheinander. Ein Manko auch, das mit zwei weiteren Fragen verbunden ist: Fehlt es doch an Qualität, um erstklassig zu bleiben? Und: Hängen die Leistungsausschläge mit der Mentalität der Mannschaft zusammen?
In Gelsenkirchen führte die Formation von Thomas Reis vor, auf welche simple Formel der S04-chefcoach seine Mannschaft eingeschworen hat: Mentalität schlägt Qualität – als Einheit. Mit diesem Vorgehen rissen sich die Knappen nach vier Nullnummern in Folge das Etikett mit „Schalke 00“sinnbildlich vom Trikot – und drängten den VFB gefühlt näher an den Abgrund. „Durch diesen Rückschlag ist die Moral der Mannschaft aber nicht gefährdet. Wir werden uns aufrichten und den nächsten Anlauf nehmen“, sagt Wohlgemuth. Das wird nötig sein, denn der FC Bayern München kommt am Samstag. Da könnten sich beim VFB hinterher schnell die nächsten drängenden Fragen stellen.