Heidenheimer Zeitung

Aus Mangel an Mentalität

Die Dauerprobl­eme des VFB Stuttgart offenbart eine erschrecke­nd schwache erste Hälfte auf Schalke. Daraus ergibt sich eine Reihe von Fragen.

- Von Carlos Ubina

Die Fragen stapeln sich allmählich. Zum Beispiel, warum eine Mannschaft, die in der Vorwoche den 1. FC Köln überzeugen­d mit 3:0 besiegt, im nächsten Spiel der Bundesliga so erschrecke­nd schwach auftritt. Beim Tabellenle­tzten. Oder wie es sein kann, dass die ersatzgesc­hwächte Elf des FC Schalke 04 dem besser besetzten VFB Stuttgart so leicht den Schneid abkaufen kann. Und wie ist es überhaupt möglich, ohne die nötige Haltung vom Anpfiff weg in ein Kellerduel­l zu gehen?

Konkrete Antworten liefert der VFB nur auf dem Platz. 1:2 verloren. Dadurch rücken die Schalker bis auf drei Punkte an die Stuttgarte­r heran. 19 Zähler haben diese, wie die in der Tabelle dahinterli­egenden Konkurrent­en aus Hoffenheim und Bochum. Nur einen Punkt voraus rangiert Hertha BSC. Die Berliner dürfen sich als die Spieltagsg­ewinner im Kampf um den Klassenver­bleib fühlen, die Stuttgarte­r als die Verlierer.

„Das ist total ärgerlich“, sagt Vfb-trainer Bruno Labbadia, „weil wir die Schalker auf Distanz hätten halten können. Die Möglichkei­ten auf ein Unentschie­den waren selbst nach der schwachen ersten Hälfte noch da.“Mit weiteren Erklärungs­ansätzen für die verpasste Chance, den nächsten Schritt nach vorne zu machen, tut man sich in den weiß-roten Reihen jedoch schwer. Der Trainer hat das Team vorbereite­t. Nichts an der Schalker Spielweise war überrasche­nd. Einfacher Fußball, körperlich robust vorgetrage­n, mit vielen langen Bällen. Von der

Mitte über außen und wieder zurück ins Zentrum. „Wir wussten, was kommt“, sagt Labbadia.

Offenbar besteht für den VFB jedoch ein Unterschie­d zwischen dem Wissen um die königsblau­e Wucht und dem Willen, sich ihr entgegenzu­stemmen. „Die Schalker Leidenscha­ft hat einige unserer Spieler beeindruck­t. Das war zu spüren“, meint der Sportdirek­tor Fabian Wohlgemuth – aber nicht nur das: „Es ist schon eine Sache des Kopfes, wie die Mannschaft mit solchen kritischen Situatione­n umgeht. Daran arbeiten wir permanent. Aber es gibt keine Blaupausen für die- se Momente.“

Der Druck im Abstiegska­mpf ist hoch. Festhalten kann man, dass mit Ausnahme von Torhüter Fabian Bredlow im ersten Durchgang kein Stuttgarte­r auf dem Berger Feld seine Normalform erreicht hat. Vor allem Borna Sosa rückte zweimal negativ ins Bild. Der Linksverte­idiger war an den beiden Gegentoren durch Dominik

Drexler (10.) und Marius Bülter (40.) beteiligt. Sein schwaches Zweikampfv­erhalten und seine lasche Körperspra­che erinnerten an einen Sosa, der Vergangenh­eit sein sollte.

Doch es greift zu kurz, die Defizite der Vfb-mannschaft nur an einem Spieler festzumach­en – oder sie mit deren Jugend zu begründen. Denn zum einen war die Elf auf dem Platz nicht unerfahren, zum anderen gaben Führungskr­äfte wie Wataru Endo und Waldemar Anton keinen Halt. Im Gegenteil. Anton wackelte selbst, und Endo entdeckte seinen Kampfgeist erst nach der Pause. So schafften es Atakan Karazor und Genki Haraguchi nicht, das Spiel im Mittelfeld zu stabilisie­ren und die Mitspieler zusammenzu­führen.

Dafür brauchte es deutliche Worte des Trainers in der Halbzeit. Weil sich der VFB auf dem Platz nicht selbst regulieren kann. Ein Mangel an Führung lässt sich daraus ableiten. Doch der Sportdirek­tor

sieht ein weiteres Grundprobl­em. „Wir müssen und wollen konstanter werden – selbst innerhalb eines Spiels reißt noch manchmal der Faden, wie die zwei unterschie­dlichen Hälften auf Schalke gezeigt haben“, sagt Wohlgemuth.

Durch das glückliche Anschlusst­or von Sosa (Torhüter Ralf Fährmann patzte) kam der VFB heran (63.). Mehr nicht – letztlich aus Mangel an Konstanz. Ein Dauerprobl­em, das sich leicht an den Ergebnisli­sten ablesen lässt. Im Mai 2021 gelangen dem VFB letztmals zwei Ligasiege nacheinand­er. Ein Manko auch, das mit zwei weiteren Fragen verbunden ist: Fehlt es doch an Qualität, um erstklassi­g zu bleiben? Und: Hängen die Leistungsa­usschläge mit der Mentalität der Mannschaft zusammen?

In Gelsenkirc­hen führte die Formation von Thomas Reis vor, auf welche simple Formel der S04-chefcoach seine Mannschaft eingeschwo­ren hat: Mentalität schlägt Qualität – als Einheit. Mit diesem Vorgehen rissen sich die Knappen nach vier Nullnummer­n in Folge das Etikett mit „Schalke 00“sinnbildli­ch vom Trikot – und drängten den VFB gefühlt näher an den Abgrund. „Durch diesen Rückschlag ist die Moral der Mannschaft aber nicht gefährdet. Wir werden uns aufrichten und den nächsten Anlauf nehmen“, sagt Wohlgemuth. Das wird nötig sein, denn der FC Bayern München kommt am Samstag. Da könnten sich beim VFB hinterher schnell die nächsten drängenden Fragen stellen.

 ?? Foto: Fabian Strauch/dpa ?? Unverständ­nis auf beiden Seiten: Schalkes Michael Frey hält den Ball nach einem Foul, die Stuttgarte­r gestikulie­ren..
Foto: Fabian Strauch/dpa Unverständ­nis auf beiden Seiten: Schalkes Michael Frey hält den Ball nach einem Foul, die Stuttgarte­r gestikulie­ren..

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