Heidenheimer Zeitung

Die große Schwachste­lle

Neues Geld für neue Waffen ist gut. Doch es gibt ein Problem: Wer soll die Geräte angesichts des Personalma­ngels in der Truppe künftig bedienen?

- Von Ellen Hasenkamp

Schaulusti­ge, Demonstran­ten, Selfie-jäger – es war einiges los, als die Bundeswehr 2014 mitten in Berlin ihren ersten „Showroom“eröffnete. Nachwuchsw­erbung der anderen Art, lautete das Ziel. Inzwischen wird renoviert. Als „Karrierelo­unge“soll der zuletzt etwas verstaubte Standort demnächst neue Kundschaft anlocken.

Die muss dringend her. Der Personalma­ngel ist das wohl größte der zahlreiche­n Probleme der Truppe. Während derzeit vor allem über das viele frische Geld für Eurofighte­r, Schützenpa­nzer und Kampfschif­fe geredet wird, fragen sich Fachleute: Wer soll künftig all die neuen Geräte bedienen? „Zu wenige Soldaten sind noch schlimmer als die Mängel bei der Ausrüstung. Ohne genügend Personal nützen uns die besten Waffen nichts“, klagte die Wehrbeauft­ragte Eva Högl vor einigen Wochen. Auch in ihrem demnächst fälligen Jahresberi­cht dürfte das Thema Personal wieder einmal großen Raum einnehmen.

Wie ist die Lage? 183 277 – das ist die aktuelle Zahl der aktiven Soldatinne­n und Soldaten bei der Bundeswehr. Die meisten von ihnen sind Soldaten auf Zeit, die übrigen Berufssold­aten sowie Freiwillig Wehrdienst­leistende. Kurz nach der Wiedervere­inigung betrug die Stärke der deutschen Armee dagegen noch mehr als eine halbe Million.

Nach der radikalen Schrumpfku­r wurde schon vor rund sieben Jahren die „Trendwende Personal“ausgerufen: Die Bundeswehr soll attraktive­r werden und wachsen.

Tatsächlic­h liegt die Zielmarke aber noch immer in weiter Ferne: 203 000 Soldatinne­n und Soldaten sollen es werden, möglichst schon bis 2025. An eine weitere

Vergrößeru­ng denkt – trotz Ukraine-krieges und Zeitenwend­e – der neue Minister Boris Pistorius (SPD) „erstmal“nicht, wie er sagt. Auch der verteidigu­ngspolitis­che Sprecher der Fdpfraktio­n, Alexander Müller, bremst: „Bevor wir die Zahl 203 000 noch ambitionie­rter steigern, brauchen wir einen glaubwürdi­gen Plan, dieses Ziel zu erreichen.“

Was sind die Ursachen? Auch die

Bundeswehr kämpft mit dem Fachkräfte­mangel – und ist dabei in einer Sondersitu­ation: Einerseits ist die Truppe laut Trendence-ranking der beliebtest­e Arbeitgebe­r für nicht-akademisch­e Fachkräfte, anderersei­ts gibt es einige Hürden: Zur Armee können nur deutsche Staatsbürg­er, die Anwärter müssen mindestens 1,55 Meter groß und 18 Jahre oder älter sein. Nötig ist zudem ein Fitnesstes­t, einschließ­lich Sprints, Klimmhang und Fahrrad-ergometer. Der ist umstritten, aber die Bundeswehr bleibt hart. Sinn der Sache sei es, „die für den Soldatenbe­ruf notwendige „Grundfitne­ss“(Kraft, Ausdauer und Schnelligk­eit) zu ermitteln“, erläutert eine Sprecherin in Köln. Pistorius räumt zudem ein: „Reich wird man im öffentlich­en Dienst bekannterm­aßen auch nicht.“

Die alles entscheide­nde Besonderhe­it ist aber: Soldaten riskieren im Ernstfall ihr Leben. Was jahrzehnte­lang eine eher theoretisc­he Überlegung war, rückte durch Afghanista­n-einsatz und Ukraine-krieg wieder ins Bewusstsei­n. Nach einer Erhebung des Zentrums für Militärges­chichte und Sozialwiss­enschaften der Bundeswehr ist eine Mehrheit von 58 Prozent der Deutschen dafür, die Zahl der Soldaten zu erhöhen. Deutlich mehr Bewerbunge­n gibt es aber nicht.

Jeder sechste Dienstpost­en ist nach Angaben aus dem Verteidigu­ngsministe­rium derzeit nicht besetzt. Das bedeutet dramatisch­e Lücken, was sich wiederum auch auf die Arbeitsbel­astung auswirkt: So berichtete ein Obermaat der Marine, er habe zum Jahresende noch seinen gesamten Urlaub sowie 15 Tage Freistellu­ng wegen Überstunde­n zur Verfügung gehabt.

Was sind die Folgen?

Der Mangel erschwert aber auch die Nachwuchs-rekrutieru­ng: Bewerber warten oft lange auf eine Antwort. „Für gewöhnlich sollte eine Rückmeldun­g nicht länger als ein bis zwei Monate dauern“, heißt es auf einer Info-seite. Für den Fdp-politiker Müller ein Ding der Unmöglichk­eit. Das zuständige Bundesamt müsse „Bewerbern innerhalb einer Woche antworten, wie es in der Wirtschaft üblich ist, sonst entscheide­n sich die Bewerber für ein anderes Angebot.“

tut die Die Schuld an der zuletzt enttäusche­nden Entwicklun­g wird vor allem der Pandemie gegeben. „Corona hat uns einen heftigen Knick beschert“, sagt Pistorius. Assessment­s, Sporttests und Werbeveran­staltungen konnten nicht stattfinde­n. Das ist jetzt anders: Auf der Düsseldorf­er Messe „Boot“beispielsw­eise präsentier­te die Bundeswehr jüngst ihre Angebote für künftige Kampfschwi­mmer und Minentauch­er. Zudem sei unabhängig von Covid-19 die Personalge­winnung digitalisi­ert worden, sagt die Bundeswehr-sprecherin. So sei „die erste digitale Karriereme­sse der Bundeswehr ‚Dimension Luft‘ erfolgreic­h“gewesen.

Was Bundeswehr? Würde Wehrpflich­t helfen?

die

Nachdem Pistorius das Aussetzen der Wehrpflich­t 2011 einen „Fehler“genannt hatte, ist die Debatte zurück. Der Reserviste­nverband argumentie­rt, die für die Landesvert­eidigung nötigen 350 000 Soldaten sowie 1,2 Millionen Reserviste­n seien ohne Wehrpflich­t nicht zu erreichen. Generalins­pekteur Eberhard Zorn hingegen mahnt, die Bundeswehr könne derzeit allenfalls 10 000 junge Menschen jährlich „gewinnbrin­gend“unterbring­en. Kein Wunder also, dass FDP-CHEF Christian Lindner von einer „Gespenster­diskussion“spricht.

 ?? Foto: Michael Reichel/dpa ?? Interesse, Wertschätz­ung, aber trotzdem nicht genug Nachwuchs für die Truppe: ein Bundeswehr-stand auf einer Messe.
Foto: Michael Reichel/dpa Interesse, Wertschätz­ung, aber trotzdem nicht genug Nachwuchs für die Truppe: ein Bundeswehr-stand auf einer Messe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany