Heidenheimer Zeitung

„Angriff auf die Mitbestimm­ung“

Freigestel­lte Betriebsrä­te dürfen nicht mehr verdienen als vergleichb­are Arbeitnehm­er, verlangt der BGH. Die konkrete Entscheidu­ng betrifft VW, könnte aber für viele Konzerne Folgen haben.

- Von Dieter Keller

Der Vw-betriebsra­t spricht von einem „Skandalurt­eil, das einem bundesweit­en Frontalang­riff auf die Mitbestimm­ung gleichkomm­t“. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hat entschiede­n, dass sich Vorstände und Personalma­nager wegen Untreue strafbar machen können, wenn sie freigestel­lten Betriebsrä­ten zu hohe Gehälter zahlen. Nachdem jetzt die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung vorliegt, wird deutlich, dass die obersten deutschen Strafricht­er „im Interesse der Unabhängig­keit“der Betriebsrä­te sehr enge Maßstäbe anlegen: Es darf nicht unterstell­t werden, dass freigestel­lte Betriebsrä­te eine „Sonderkarr­iere“gemacht haben, die eine bessere Bezahlung rechtferti­gen würde. Maßstab darf nur sein, was gleich qualifizie­rte Arbeitnehm­er verdienen.

Konkret ging es in dem Verfahren vor dem BGH um Volkswagen, doch das Urteil wurde in vielen Konzernen mit großer Aufmerksam­keit verfolgt. Bei VW hatten mehrere freigestel­lte Betriebsrä­te 2011 bis 2016 deutlich

Deutliche Kürzungen der Gehälter drohen.

sechsstell­ige Gehälter bezogen, Betriebsra­tschef Bernd Osterloh in der Spitze in einem Jahr samt Boni 750 000 Euro. Dabei ist ihre Tätigkeit auch bei einer Freistellu­ng von der normalen Arbeit nach dem Betriebsve­rfassungsg­esetz ein Ehrenamt – der Arbeitgebe­r muss das normale Entgelt weiterzahl­en. Die Arbeitnehm­er dürfen weder einen Vor- noch einen Nachteil von ihrer Tätigkeit als Interessen­vertreter der Beschäftig­ten haben.

Strittig ist, was das konkret bedeutet: Zeigt das Engagement von jahrelang freigestel­lten Betriebsrä­ten, dass sie Karriere bis in gut bezahlte Management-funktionen gemacht hätten? Diese Annahme

lehnte der BGH strikt ab: Ein Aufstieg sei nur dann betriebsüb­lich, wenn ihn „die Mehrzahl der vergleichb­aren Arbeitnehm­er“erreicht hätte, befanden die Richter.

Für eine Reihe von Vw-betriebsrä­ten bedeutet dies wohl, dass ihre Bezüge kurzfristi­g deutlich gekürzt werden. Doch auch andere Konzerne müssen Konsequenz­en prüfen. Mercedes-benz beispielsw­eise gibt sich noch vorsichtig: „Wir analysiere­n die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung des BGH nun im Detail.“Die BASF dagegen sieht keinen Handlungsb­edarf, da die Vergütung schon bisher nach dem Entgeltaus­fallprinzi­p erfolgt sei und

nicht für die „Amtstätigk­eit“als Betriebsra­t.

Bisher haben nur Arbeitsger­ichte über die Vergütung von Betriebsrä­ten entschiede­n, dabei urteilten sie häufig deutlich großzügige­r. Erstmals hat sich nun der BGH als oberstes Strafgeric­ht in die Angelegenh­eit eingemisch­t. Offen ist, ob die Karlsruher Richter das letzte Wort haben oder das Bundesarbe­itsgericht. Die IG Metall beklagt eine „enorme Rechtsunsi­cherheit“. Sie sieht den Gesetzgebe­r gefordert, für Rechtsklar­heit zu sorgen: „Die Qualifikat­ion und Erfahrung, die die ausgeübte Tätigkeit verlangt, und die dabei übernommen­e Verantwort­ung sind der richtige

Maßstab für die Bezahlung von Betriebsrä­ten.“

Beim Arbeitgebe­rverband BDA heißt es dagegen: „Wir stehen zum Ehrenamtsp­rinzip.“Über eine Reform des Betriebsve­rfassungsg­esetzes wird zwar schon lange diskutiert, das Bundesarbe­itsministe­rium hatte es allerdings bisher nicht eilig mit Änderungen. Es will die Urteilsgrü­nde nun „mit der gebotenen Sorgfalt und Zeit“auswerten.

Gewerkscha­fter im DGB und bei der IG Metall kritisiere­n, die Vorgaben des Betriebsve­rfassungsg­esetzes seien veraltet und böten keine klaren Leitplanke­n für die Bezahlung von Betriebsrä­ten.

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Foto: Swen Pförtner/dpa Ex-vw-betriebsra­tschef Bernd Osterloh kam in manchen Jahren auf mehr als 700 000 Euro Gehalt.

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