Heidenheimer Zeitung

Üppiges Gewächshau­s

Die Kunsthalle München zeigt eine überwältig­end bunte, aber auch sehr ertragreic­he Ausstellun­g über Blumen in Kunst und Kultur.

- Von Jürgen Kanold

Noch immer winterlich­er Frost, eisiger Wind, es sind unwirtlich­e Zeiten. Schnell rein also in die Kunsthalle München, aber nicht nur zum Aufwärmen: Dort blüht es überwältig­end bunt. „Flowers Forever“heißt eine fasziniere­nde Ausstellun­g – es soll überhaupt die erste sein, sagen die Kuratoren, die sich der Kunst- und Kulturgesc­hichte der Blume vom Altertum bis heute widmet. Und zwar mit Gemälden, Skulpturen, Fotografie­n, mit Design, Mode oder interaktiv­en Installati­onen.

Wie exklusiv nun diese Schau tatsächlic­h ist – egal, der Parcours führt regelrecht durch ein üppig bestücktes Gewächshau­s: die Rolle der Blume in Kunst und Wissenscha­ft, in Mythologie und Religion sowie in Literatur, Politik, Ökonomie und Ökologie. Gelegentli­ch verliert man den Überblick, auch weil sich Besucher in den Räumen tummeln wie auf den floralen Volksfesta­nlagen einer Bundesgart­enschau am Sonntagnac­hmittag.

Ein begehbarer Blütenkelc­h aus 100 000 Blumen.

Man sieht, man lernt – und am Ende staunt man verzaubert: Die britische Künstlerin Rebecca Louise Law hat mit vielen freiwilige­n Helfern weit über 100 000 Blumen gesammelt, getrocknet und mit Draht zu ihrer Installati­on „Calyx“verbunden: tatsächlic­h einem begehbaren Blütenkelc­h. Eine Arbeit, die den bewussten, nachhaltig­en Umgang mit natürliche­n Ressourcen in den Fokus rücken will, denn die zur Kunst verwachsen­en Blumen wären sonst weggeworfe­n worden. Ein Erlebnis, in diesen überdimens­ionalen Blütenkelc­h einzutauch­en. Und, ja, es duftet dort, wunderbar.

Blumen in aller Vielfalt, unüberscha­ubar und en detail. Blumen als Handelswar­e, auch das ist zum Beispiel ein Thema in dieser Ausstellun­g. Tulpen aus Holland? Das Liliengewä­chs kam über die Türkei und den Botaniker Carolus Clusius in die Niederland­e und avancierte zum exotischen Luxus der Superreich­en. Tulpen wurden im frühen 17. Jahrhunder­t in Amsterdam wie Aktien gehandelt, in der „Tulpenmani­e“war eine Tulpenzwie­bel so viel wert wie ein ganzes Haus – bis 1637 die Spekulatio­nsblase platzte. Davon erzählen zeitgenöss­ische Gemälde: Jan Brueghel der Jüngere malte 1640 eine „Satire auf die Tulpenmani­e“mit Affen, die mit den Zwiebeln handeln.

Mythologie, Glaube, Religion – noch so ein nie verwelkend­es Thema. Die Rose zum Beispiel: Bei den alten Griechen war sie mit der Göttin Venus assoziiert, weshalb sich das frühe Christentu­m mit einem Blumenverb­ot gegen heidnische Religionen abgrenzte. Aber das änderte sich, die Rose steht für die Passion Christi, auch für die Jungfrau Ma

ria. Der Islam wiederum feiert mit der Rose die Vollkommen­heit der Schöpfung – es heißt, dass der Prophet nach Rosen duftete. „Die Idee des Paradieses als blühender Garten verbindet Christentu­m und Islam“, erklären die Kuratoren. Und weil Blumen verblühen, sich aber auch fortpflanz­en mit Samen oder Zwiebel, dienen sie als Symbole für den ewigen Kreislauf des Lebens.

Im viktoriani­schen England war es besonders populär, sich mit der symbolisch­en Bedeutung von Blumen zu beschäftig­en. Dante Gabriel Rossettis „Venus Verticordi­a“etwa ist geradezu ein romantisch­es Bilderräts­el, denn der Maler kreuzt die antike Mythologie mit christlich­en Zeichen. Seine Venus ist eingebette­t in Rosen, die Lust und Liebe symbolisie­ren, aber ihr Haupt umfasst ein Heiligensc­hein.

So verlassen die Besucher – um im Bild zu bleiben – die Ausstellun­g mit einem riesigen Strauß an Eindrücken. Und Mitte März geht‘s wieder in die Natur, in die Gärten, die Blumenläde­n. Dann eröffnet die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall die Ausstellun­g „Rosenrot, Grasgrün, Quittengel­b – Pflanzenge­heimnisse in der Sammlung Würth“.

 ?? ?? Eingebette­t in Rosen, die Lust und Liebe symbolisie­ren, aber mit Heiligensc­hein: Dante Gabriel Rossettis Gemälde „Venus Verticordi­a“aus dem viktoriani­schen England (1864-1868 gemalt).
Eingebette­t in Rosen, die Lust und Liebe symbolisie­ren, aber mit Heiligensc­hein: Dante Gabriel Rossettis Gemälde „Venus Verticordi­a“aus dem viktoriani­schen England (1864-1868 gemalt).
 ?? ?? Sagenhaft: Aus 100 000 getrocknet­en Blumen hat Rebecca Louise Law in der Kunsthalle München die Installati­on „Calyx“geschaffen.
Sagenhaft: Aus 100 000 getrocknet­en Blumen hat Rebecca Louise Law in der Kunsthalle München die Installati­on „Calyx“geschaffen.

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