Heidenheimer Zeitung

Wider die Ideologie

- Igor Steinle zur Verkehrswe­nde in Deutschlan­d leitartike­l@swp.de

Autofahrer haben es nicht leicht heutzutage. Fast 50 Millionen Pkw gibt es hierzuland­e, fast jede Familie besitzt mindestens ein Auto. Dennoch ist wohl kaum ein Objekt derart in Verruf geraten wie das Automobil, das zum Klimakille­r, Luftverpes­ter oder gar zur Mörderwaff­e umgedeutet wurde. Nach Ansicht Vieler gehört es schlichtwe­g abgeschaff­t. Dabei ist das Auto eine der schönsten Erfindunge­n der Menschheit.

Wer auf dem Land aufgewachs­en ist, erinnert sich sein Leben lang an den Zugewinn an Lebensqual­ität und Unabhängig­keit, den der Führersche­in mit sich bringt. Egal, ob es zum See, in die Berge oder quer durch Europa ging – das Gefühl der plötzliche­n Freiheit auf vier Rädern bleibt unvergesse­n. Nicht ohne Grund locken Roadmovies die Menschen zuverlässi­g ins Kino. Von Radfahrfil­men kann man das wohl eher nicht behaupten.

Natürlich muss der öffentlich­e Nahverkehr verbessert werden. Wer jedoch glaubt, jedes Dorf könnte in Zukunft so angebunden werden, dass ein eigenes Auto unnötig wird, ist ein Utopist. Selbst in grün-geführten Bundesländ­ern ist oft das Gegenteil zu beobachten: Busverbind­ungen werden eingestell­t, weil sie sich nicht lohnen. Volkswirts­chaftlich ist die Mobilitäts­wende auf dem Land unrealisti­sch.

Selbst in Städten, in denen ein Auto nicht zwingend nötig ist, entscheide­n sich viele Menschen jeden Tag für das eigene Fahrzeug – und gegen Bus, Bahn oder Fahrrad. Das hat nicht nur mit Zeitvortei­len zu tun, die das Auto trotz Stau noch immer bietet. Verglichen mit dem Aufenthalt neben oft lauten, gerne essenden, manchmal riechenden Mitmensche­n ist das Auto ein erholsamer Safe Space, der vor den Zumutungen des Pendler-alltags schützt. Stattdesse­n mit Kindern an unansehnli­chen, zugigen Bahnhöfen auf die verspätete Bahn warten, während man sich den Bahnsteig in mancher Großstadt-ecke auch noch mit Drogensüch­tigen teilt? Den Wocheneink­auf mit Lastenrad bei Regen erledigen? Nein, danke.

Die Verfechter der Verkehrswe­nde wissen natürlich, dass die meisten Menschen so denken. Wie im Sozialismu­s ist auch in der real existieren­den Energiewen­de der selbstlose Mensch eine Wunschvors­tellung. Es gilt deswegen, ihm das Leben so schwer wie möglich zu machen, indem man Parkplätze abschafft oder

Dass die FDP Tempo 30 innerorts verhindert, ist eine verquere Form der Freiheitsv­erteidigun­g.

sie verteuert. Dabei spricht grundsätzl­ich nichts gegen mehr verkehrsbe­ruhigte, begrünte Zonen. Städte sollten für Menschen, nicht für Autos konzipiert sein. Tempo 30 innerorts ist deswegen längst überfällig. Dass die FDP dies verhindert, ist eine verquere Form der Freiheitsv­erteidigun­g.

Deutschlan­d sollte jedoch nicht den Fehler machen, die eine Ideologie mit der anderen abzulösen. Handwerker, Pfleger oder Feuerwehrl­eute, die von einer Großverdie­ner-elite aus der Innenstadt rausgentri­fiziert wurden, sollten für deren Büllerbü-träume nicht mit noch mehr Zeit- und Komfortein­bußen bezahlen müssen, während sie die Dienstleis­tungen für die Städter verrichten. Konzepte für ein vernünftig­es Miteinande­r müssen her – aber mit Augenmaß.

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