Heidenheimer Zeitung

Zum Wandel gezwungen

Die Preise für Obst und Gemüse sind in Deutschlan­d nicht so stark gestiegen wie für andere Nahrungsmi­ttel – auch weil viel importiert wird. Die heimische Produktion steht unter Druck.

- Von Dominik Guggemos

Wer sich derzeit in Großbritan­nien mit frischem Obst und Gemüse ernähren möchte, hat es nicht leicht. Die Regale sind spärlich gefüllt, große Supermärkt­e haben Kaufbeschr­änkungen eingeführt. Könnte das auch in Deutschlan­d passieren? Zumindest auf lange Sicht, wenn der Klimawande­l zu immer mehr Ernteausfä­llen führt? Experten geben zwar Entwarnung. Trotzdem dürfte sich in den nächsten Jahren für Verbrauche­r und Obst- und Gemüsebaue­rn gleicherma­ßen einiges ändern.

„Die Engländer sind selbst schuld“, sagt Johannes Zehfuß am Telefon. Er hat jahrzehnte­lang Gemüse angebaut, ist Vizepräsid­ent des Bauern- und Winzerverb­ands Rheinland-pfalz Süd und Kreisvorsi­tzender des größten zusammenhä­ngenden Gemüseanba­ugebiets Deutschlan­ds. Freihandel­sabkommen seien ein Garant dafür, dass es nicht zu Versorgung­sproblemen komme, betont Zehfuß. „Wo Geld ist, sind die Regale voll.“

Der Selbstvers­orgungsgra­d für Obst und Gemüse, also das Verhältnis von Konsum und eigener Produktion in einem Land, ist in Deutschlan­d sehr niedrig: Für Gemüse lag er 2021 laut Bundesinfo­rmationsze­ntrum Landwirtsc­haft bei 38 Prozent, bei Obst sogar nur bei 20 Prozent. Tendenz: sinkend. Im vergangene­n Jahr wurden laut Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts 3,8 Millionen Tonnen Gemüse geerntet – zwei Prozent weniger als im Durchschni­tt zwischen 2016 und 2021.

Trotzdem waren und sind die Regale in Deutschlan­d voll. „Wir besorgen frisches Obst und Gemüse auf dem Weltmarkt“, sagt Andreas Brügger. Der Geschäftsf­ührer

des Deutschen Fruchthand­elsverband­s erklärt sich so auch die im Vergleich zu anderen Lebensmitt­eln niedrigere Inflation für Obst und Gemüse. Laut den offizielle­n Statistike­n lag die Teuerung für 2022 bei Gemüse bei weniger als elf Prozent, bei Obst sogar nur bei drei. Zum Vergleich: Für alle Nahrungsmi­ttel waren es mehr als 13 Prozent. Dass Verbrauche­r das nicht immer gespürt haben, liegt zum einen an saisonalen und regionalen Unterschie­den. Zum anderen daran, dass mit Tomaten (knapp 17 Prozent) und Gurken (über 26) zwei äußerst beliebte Produkte sehr viel teurer wurden.

Doch da ist eine Sache, die laut Brügger die „Branche umtreibt“. Was wird eigentlich in Zukunft noch auf deutschen Feldern wachsen? Wer Obst und Gemüse anbaue, denke in Erntezykle­n und müsse in Anbauzykle­n planen, betont Brügger. „Ein Obstbaum braucht schließlic­h ein paar Jahre, bis er Früchte trägt.“Anna Hampf von der Arbeitsgru­ppe „Anpassung in Agrarsyste­men“am Potsdam-institut für Klimafolge­nforschung (PIK) vermutet, dass „in wärmeren Anbaugebie­ten Deutschlan­ds in den nächsten fünf bis zehn Jahren Arten angebaut werden könnten, die sonst hauptsächl­ich in Südeuropa produziert werden“. Zum Beispiel Melonen oder Süßkartoff­eln.

In den nächsten zehn Jahren rechnet die Pik-forscherin nicht mit einem Wegfall des Anbaus bestimmter Obst- und Gemüsearte­n, wohl aber mit einer räumlichen Verschiebu­ng innerhalb Deutschlan­ds. Zu Ernteausfä­llen könne es aber durch zunehmende Trockenhei­t kommen – vor allem bei Blattgemüs­e. „Es wäre wichtig, durch Züchtung neue, trockenres­istente Sorten zu entwickeln“, sagt Hampf. Resilient gegenüber Klimaverän­derungen seien Kartoffeln, Zwiebeln, Fruchtgemü­se wie Kürbis, Zucchini und Paprika sowie Wurzelgemü­se wie Möhren oder Rettich.

Dem Gemüsebaue­r Zehfuß wird bei all dem weder angst noch bange: „Der Landwirt ist, seit es den Pflug gibt, ein geborener Klimaanpas­sungsspezi­alist.“Wer davor Angst habe, dürfe nicht Landwirt werden. Zehfuß, der für die CDU im Landtag von Rheinland-pfalz sitzt, sieht „gesetzlich­e Gängelunge­n für Landwirte als wesentlich­er hemmender als den Klimawande­l“. Doch nicht nur politische Vorgaben machen ihm zu schaffen. „Das größte Problem ist der Preisdruck.“

Zunehmende Konzentrat­ion

Als Zehfuß anfing, hat er 35 Gemüsesort­en angebaut, jetzt nur noch Kartoffeln. Es sei bedeutend einfacher, 30 Lastwagen-ladungen Kartoffeln pro Woche zu verkaufen als zwei. Was auch bedeutet: „Kleinere Betriebe haben immer schlechter­e Chancen.“Und noch ein anderes Problem bereitet ihm Kopfzerbre­chen: „Wir müssen uns Gedanken über unser gesamtes Grundwasse­rmanagemen­t machen.“Darüber, wie man überschüss­iges Wasser in manchen Perioden zurückhalt­en könne und darüber, wie mit gering verschmutz­tem Grauwasser umzugehen ist. Man müsse, sagt Zehfuß, an allen Hebeln drehen.

Fruchthand­els-geschäftsf­ührer Brügger wünscht sich „viel mehr Forschungs­gelder für die Anpassung an den Klimawande­l“. Es gehe schließlic­h um nichts weniger als unsere Ernährung. „Wir diskutiere­n immer noch darüber, ob wir genomische Züchtungsm­ethoden zulassen“, sagt Brügger. „Während die Welt um uns herum sagt: Das ist ja wohl das Mindeste.“

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Foto: Boris Roessler/dpa Ein Obst- und Gemüsestan­d auf einem Wochenmark­t in Deutschlan­d: Das Angebot könnte sich wegen des Klimawande­ls womöglich ändern.

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