Zum Wandel gezwungen
Die Preise für Obst und Gemüse sind in Deutschland nicht so stark gestiegen wie für andere Nahrungsmittel – auch weil viel importiert wird. Die heimische Produktion steht unter Druck.
Wer sich derzeit in Großbritannien mit frischem Obst und Gemüse ernähren möchte, hat es nicht leicht. Die Regale sind spärlich gefüllt, große Supermärkte haben Kaufbeschränkungen eingeführt. Könnte das auch in Deutschland passieren? Zumindest auf lange Sicht, wenn der Klimawandel zu immer mehr Ernteausfällen führt? Experten geben zwar Entwarnung. Trotzdem dürfte sich in den nächsten Jahren für Verbraucher und Obst- und Gemüsebauern gleichermaßen einiges ändern.
„Die Engländer sind selbst schuld“, sagt Johannes Zehfuß am Telefon. Er hat jahrzehntelang Gemüse angebaut, ist Vizepräsident des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-pfalz Süd und Kreisvorsitzender des größten zusammenhängenden Gemüseanbaugebiets Deutschlands. Freihandelsabkommen seien ein Garant dafür, dass es nicht zu Versorgungsproblemen komme, betont Zehfuß. „Wo Geld ist, sind die Regale voll.“
Der Selbstversorgungsgrad für Obst und Gemüse, also das Verhältnis von Konsum und eigener Produktion in einem Land, ist in Deutschland sehr niedrig: Für Gemüse lag er 2021 laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft bei 38 Prozent, bei Obst sogar nur bei 20 Prozent. Tendenz: sinkend. Im vergangenen Jahr wurden laut Zahlen des Statistischen Bundesamts 3,8 Millionen Tonnen Gemüse geerntet – zwei Prozent weniger als im Durchschnitt zwischen 2016 und 2021.
Trotzdem waren und sind die Regale in Deutschland voll. „Wir besorgen frisches Obst und Gemüse auf dem Weltmarkt“, sagt Andreas Brügger. Der Geschäftsführer
des Deutschen Fruchthandelsverbands erklärt sich so auch die im Vergleich zu anderen Lebensmitteln niedrigere Inflation für Obst und Gemüse. Laut den offiziellen Statistiken lag die Teuerung für 2022 bei Gemüse bei weniger als elf Prozent, bei Obst sogar nur bei drei. Zum Vergleich: Für alle Nahrungsmittel waren es mehr als 13 Prozent. Dass Verbraucher das nicht immer gespürt haben, liegt zum einen an saisonalen und regionalen Unterschieden. Zum anderen daran, dass mit Tomaten (knapp 17 Prozent) und Gurken (über 26) zwei äußerst beliebte Produkte sehr viel teurer wurden.
Doch da ist eine Sache, die laut Brügger die „Branche umtreibt“. Was wird eigentlich in Zukunft noch auf deutschen Feldern wachsen? Wer Obst und Gemüse anbaue, denke in Erntezyklen und müsse in Anbauzyklen planen, betont Brügger. „Ein Obstbaum braucht schließlich ein paar Jahre, bis er Früchte trägt.“Anna Hampf von der Arbeitsgruppe „Anpassung in Agrarsystemen“am Potsdam-institut für Klimafolgenforschung (PIK) vermutet, dass „in wärmeren Anbaugebieten Deutschlands in den nächsten fünf bis zehn Jahren Arten angebaut werden könnten, die sonst hauptsächlich in Südeuropa produziert werden“. Zum Beispiel Melonen oder Süßkartoffeln.
In den nächsten zehn Jahren rechnet die Pik-forscherin nicht mit einem Wegfall des Anbaus bestimmter Obst- und Gemüsearten, wohl aber mit einer räumlichen Verschiebung innerhalb Deutschlands. Zu Ernteausfällen könne es aber durch zunehmende Trockenheit kommen – vor allem bei Blattgemüse. „Es wäre wichtig, durch Züchtung neue, trockenresistente Sorten zu entwickeln“, sagt Hampf. Resilient gegenüber Klimaveränderungen seien Kartoffeln, Zwiebeln, Fruchtgemüse wie Kürbis, Zucchini und Paprika sowie Wurzelgemüse wie Möhren oder Rettich.
Dem Gemüsebauer Zehfuß wird bei all dem weder angst noch bange: „Der Landwirt ist, seit es den Pflug gibt, ein geborener Klimaanpassungsspezialist.“Wer davor Angst habe, dürfe nicht Landwirt werden. Zehfuß, der für die CDU im Landtag von Rheinland-pfalz sitzt, sieht „gesetzliche Gängelungen für Landwirte als wesentlicher hemmender als den Klimawandel“. Doch nicht nur politische Vorgaben machen ihm zu schaffen. „Das größte Problem ist der Preisdruck.“
Zunehmende Konzentration
Als Zehfuß anfing, hat er 35 Gemüsesorten angebaut, jetzt nur noch Kartoffeln. Es sei bedeutend einfacher, 30 Lastwagen-ladungen Kartoffeln pro Woche zu verkaufen als zwei. Was auch bedeutet: „Kleinere Betriebe haben immer schlechtere Chancen.“Und noch ein anderes Problem bereitet ihm Kopfzerbrechen: „Wir müssen uns Gedanken über unser gesamtes Grundwassermanagement machen.“Darüber, wie man überschüssiges Wasser in manchen Perioden zurückhalten könne und darüber, wie mit gering verschmutztem Grauwasser umzugehen ist. Man müsse, sagt Zehfuß, an allen Hebeln drehen.
Fruchthandels-geschäftsführer Brügger wünscht sich „viel mehr Forschungsgelder für die Anpassung an den Klimawandel“. Es gehe schließlich um nichts weniger als unsere Ernährung. „Wir diskutieren immer noch darüber, ob wir genomische Züchtungsmethoden zulassen“, sagt Brügger. „Während die Welt um uns herum sagt: Das ist ja wohl das Mindeste.“