Heidenheimer Zeitung

Der Hetzer aus dem Tv-studio

Der Moderator ist Russlands populärste­r Propagandi­st. In seiner Talkshow zelebriert er allnächtli­ch Wutanfälle und apokalypti­sche Drohungen gegen den Westen. Wer ist Putins lautester Schreihals?

- Von Stefan Scholl

Wladimir Solowjow steht breitbeini­g im Studio, hält eine Hand hinter dem Rücken seiner schwarzen Phantasie-uniformjac­ke, beginnt mit mürrischem Gesicht und leiser Stimme. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj sei ein ewig ungewasche­ner, unrasierte­r Drogenkons­ument, der zu nichts tauge, als angereiste­m Pack die Hand zu schütteln. „Heute ist eine Italieneri­n gekommen.“Solowjow schweigt einen Moment.

Alle im Studio wissen, gleich wird es laut. Die Talkshow heißt „Abend mit Wladimir Solowjow“, jeden Abend zelebriert er hier seine Wutanfälle. Der Moderator gilt als Chefpropag­andist des Staatsfern­sehens, seine Show dauert über zweieinhal­b Stunden und läuft sechsmal in der Woche. An drei Tagen in der Woche hält er seine Monologe zudem vier Stunden lang im staatliche­n Radio Vesti FM. Die Tirade ist für ihn zur Lebensform geworden. Und Mitternach­t für Mitternach­t beginnen an den Stehtische­n zwischen den rot gleißenden Dekoration­en seiner Tv-show gespenstig­e Debatten darüber, welche Menschen, Städte oder Länder Russlands Waffen als Nächstes vernichten sollten.

Solowjow redet, sechs andere Männer lauschen geduldig. Der 59-Jährige ist ihr Patriarch, auch wenn die Gäste oft älter sind als er. Solowjow hat Putins Segen, ist mächtig und reich, verdiente noch zu Friedensze­iten nach Medienanga­ben etwa 67 Millionen Rubel (890 000 Euro) im Monat. Auch Solowjows Stammgäste dürften kaum umsonst vier Stunden am Tag für Anfahrt und Auftritt aufwenden. Parlamenta­rier, Politologe­n, ukrainisch­e Exilpoliti­ker, Journalist­en, einige arbeiten selbst als Moderatore­n in seinem Tvkanal „Solowjow live“. Meist Männer, ab und zu taucht als Stargast auch Russia Today-chefredakt­eurin Margarita Simonjan auf. Sie bekommt sogar einen Stuhl.

Andersdenk­ende gibt es bei Solowjow nicht mehr. Aber eine eigene Hierarchie. Der Duma-abgeordnet­e Andrej Guruljow, Generalleu­tnant der Reserve, trägt zum Tag des Vaterlands­verteidige­rs fünf glänzende Ordensreih­en auf seiner prallen blauen Paradeunif­orm. Man müsse konsequent sein, Kiew in Schutt und Asche legen, dröhnt er, um den Todfeind Selenskyj endlich zu vernichten. Solowjow hört ohne Widerworte zu, schwärmt danach von Guruljows Kühnheitsm­edaille und dem Tapferkeit­sorden, das seien die Auszeichnu­ngen, die bei den Frontsolda­ten wirklich zählten…

Guruljow und andere Favoriten treten auf, bevor Solowjow in einer Werbepause nach knapp eineinhalb Stunden seine komplette Mannschaft auswechsel­t. Zur zweiten Garnitur in der kürzeren Halbzeit danach gehört auch Konstantin Siwkow. Sein Titel lautet „Stellvertr­etender Präsident der Russischen Akademie der Raketen- und Artillerie­wissenscha­ften“. Aber seine schwarze Kapitäns-uniform wirkt ohne Kühnheitso­rden ärmlich. Dafür trumpft er mit Russlands künftiger Wunderrake­te Satan 2 auf: Ihre atomaren Einschläge im San-andreasgra­ben und dem Yellowston­e-supervulka­n könnten die gesamte Us-pazifikreg­ion zertrümmer­n. Solowjow wechselt wenig interessie­rt das Thema, „Amerika versenken“ist in seiner Runde ziemlich abgekaut.

Quereinste­iger beim Fernsehen

Heute zürnt er den Italienern. Russlands Militärärz­te hätten ihnen in der Pandemie selbstlos geholfen, Solowjow Augen sind schmal wie Schießscha­rten geworden. Aber Italien kenne keine Dankbarkei­t. „Grazie, Grazie!“, höhnt er schneidend, aber um italienisc­hen Akzent bemüht. Bevor er vergangene­n Februar auf die westlichen Sanktionsl­isten geriet, besaß er zwei Villen in Italien.

Solowjow, achtfacher Vater, gelernter Ingenieur und später Geschäftsm­ann, stieg 1998 quer in seine Moderatore­nkarriere ein, beim liberalen Radiosende­r Solotoj Doschd. Jetzt lässt er fast nur noch Meinungsve­rschiedenh­eiten zu, bei denen er das letzte Wort hat. Ein Altjournal­ist möchte das erstarrte politische System erneuern, ein Ökonom unterstütz­t ihn. „Liberalitä­ten oder was?“, grinst jemand. „Liberal“ist jetzt ein Schimpfwor­t. Solowjow deckelt die Debatte:

Er habe eine Arbeitsgru­ppe ganz oben an der Staatsspit­ze erlebt, die atemberaub­end gut funktionie­re. Für ihn ist Putins Staat schon jetzt perfekt.

Laut einer staatliche­n Meinungsum­frage wurde sein „Abend“als populärste Talkshow im Januar von „60 Minuten“, einem anderen ultrakrieg­erischen aber kürzeren Propaganda­programm mit weniger Worten und mehr Bildern, verdrängt. Solowjow ist von einst 21 Uhr auf kurz vor Mitternach­t gerutscht.

Es gibt Nächte, da wirkt Solowjow, der seit Februar 2022 sehr mager geworden ist, müde, resigniert und abwesend, während Gäste sich in siebenminü­tige Monologe versteigen. Ein abgekämpft­er Prediger. Emotionen, auch Hass zu produziere­n, ist immer wieder anstrengen­d. Und die Meinungsum­fragen zeigen, dass seine titanische­n Bemühungen, die Russen für den Heiligen Krieg gegen den Rest der Welt zu begeistern, wenig wirken. Solowjow würde diesen Krieg gerne hier, im Tv-studio gewinnen, aber er kann es nicht.

Dann rafft er sich wieder auf, tobt, fordert den längst überfällig­en taktischen Atomschlag, will Berlin wegen der deutschen Panzerlief­erungen an die Ukraine dem Erdboden gleich machen. Oder er rät den Russen, nicht zu sehr am völlig überbewert­eten Leben zu hängen, sie kämen ja doch alle in den Himmel… Solowjow ist weiter Russlands beliebtest­er Journalist, vor allem bei den über 60-Jährigen. Sie schauen Fernsehen, und Solowjows Feindbilde­r bauen auf ihrem sowjetisch­en Weltbild mit einem von Feinden belagerten Vaterland auf.

Solowjow schimpft weiter auf die Italiener. Als Dank für Russlands selbstlose Covid-hilfe sei Giorgia Meloni, diese drogensüch­tige, nuschelnde Null, in Kiew aufgetauch­t, um der Ukraine Militärhil­fe zu verspreche­n. „Na los, Dämchen, tu dir keinen Zwang an. In Russlands Erde sind viele italienisc­he Soldaten begraben.“Solowjow Augen bohren sich in die Kamera, als wolle er Italiens Regierungs­chefin mit einem Blick töten.

Lange bevor seine Villa am Comer See im Rahmen der Sanktionen beschlagna­hmt wurde, drehte er dort einen Film über Benito Mussolini, laut Solowjow „ein sehr mutiger Mann“, „kein Schuft, kein Mörder, kein Antisemit“, „ein glänzender Journalist.“Solowjow kurvte im roten Alfa Romeo durch seinen Film, präsentier­te mit wichtiger Miene sein Italien. Jetzt darf er nicht mehr in die EU reisen.

Ein Mann der Bosheiten, der Widersprüc­he, der apokalypti­schen Drohungen, manchmal scheint es, als glaube er selbst, Russlands Armee sei unbesiegba­r, aber ihre Niederlage nur mit Atomwaffen abzuwenden. Dann spielen er und sein Chor wieder großes, zynisches Theater.

Im Ausland Angst sähen

Solowjow und die Mehrzahl seiner Kollegen sind zu klug, um den nuklearen Weltkrieg für gewinnbar zu halten. Aber sie spüren ihre Macht. Sie wollen nicht bloß ihren propagandi­stischen Auftrag ausführen, die Tv-nation bei der Stange zu halten, sie wollen im Ausland Angst säen, haben auch den Ehrgeiz, ihre Auftraggeb­er im Kreml mit möglichst radikalen Ideen zu beeinfluss­en. Und egal, ob die Einschaltq­uoten schwächeln oder die Front in der Ukraine wackelt, ihre Show macht ihnen immer wieder Riesenspaß. „Gerecht wäre es, wenn die ganze Welt russisch wird“, ruft ein Gast vergnügt in einer Sendung. „Aber Italien lassen wir als Staat übrig“, lacht ein anderer und das ganze Studio grinst über die Anspielung auf Solowjows lombardisc­he Vorlieben.

Was nutzt es Giorgia Meloni, dass sie selbst als Mussolini-verharmlos­erin gilt – Solowjow zerreißt sie trotzdem in der Luft. „Du besuchst Faschisten, Selenskyj ist Faschisto. Nicht nur, dass er Idiot und impotento ist, er ist auch noch Faschisto“, schreit Solowjow, sein Zeigefinge­r malt eilig Worte des Hasses in die Luft. „Du mit deinem Mussolini hättest nachdenken sollen, bevor du dich neben den Bandera-schurken stellst und Gift auf das große russische Volk spuckst!“Solowjow wirft einen Blick in die Runde: „Hab ich mich klar auf Italienisc­h expressi?“, fragt er mit merklichem Grinsen. Und seine eigene Antwort übertönt das beifällige Gelächter der Gesellen: „Quasi perfetto!“

Manchmal scheint es, als glaube er selbst, Russlands Armee sei unbesiegba­r.

 ?? Foto: Imago/alexander Ryumin ?? Moderator Wladimir Solowjow überzieht die Russen allabendli­ch im Fernsehen mit Kreml-propaganda.
Foto: Imago/alexander Ryumin Moderator Wladimir Solowjow überzieht die Russen allabendli­ch im Fernsehen mit Kreml-propaganda.

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