„Egos stehen uns nicht im Weg“
Annenmaykantereit veröffentlichen ihr viertes Album – es steckt voll positiver Energie. Warum „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“inmitten von Freunden entstanden ist, verrät der Schlagzeuger im Interview.
Annenmaykantereit sind der beste Beweis dafür, dass man auch mit einem sperrigen Bandnamen voll durchstarten kann, wenn man gute Songs mit eigenem Dreh schreibt und sich dabei selbst treu bleibt. Nun veröffentlichen die ehemaligen Straßenmusiker mit „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ihr viertes Album. Severin Kantereit schwärmt im Interview von der besonderen Studioatmosphäre.
Es ist Abend und wir sitzen bei mir. Ohne Frage ein außergewöhnlicher Albumtitel. Severin Kantereit:
Das war das Motto des Albums und einfach ein schöner Titel, der als Textzeile auch in einem unserer neuen Songs vorkommt. Man sitzt zusammen, lacht, erzählt sich Geschichten – eine Situation, die sicher viele unserer Fans kennen und nach den Jahren der Lockdowns ganz anders genießen können.
Wie entstand das Album und mit welchem Masterplan?
Unser erstes Album haben wir ja in den legendären Berliner Hansa Studios aufgenommen, das nächste dann in Spanien, und „12“wurde während der Lockdowns nur zu Hause und getrennt voneinander eingespielt. Jetzt wollten wir ein Album mit lieben Menschen um uns herum aufnehmen.
Wie darf man sich das vorstellen?
Henning und ich leben ja inzwischen in Berlin, Köln ist aber noch immer unsere Homebase. Dort ist unser Proberaum, der nun zum Studio wurde. Wir haben vor den Aufnahmen guten Bekannten, die nicht zwingend aus der Musikwelt sein mussten, einfach gesagt, dass sie zu unseren Aufnahmen vorbeikommen können.
Eigentlich heißt Studio ja absolute Stille und Fokussierung.
Beim Konzept dieses Albums ging es nach der Zeit mit Corona darum, dass man wieder rausgehen konnte und sich nicht mehr alles um einen selbst drehte. Das hat ganz gut getan, nicht im Nerdkosmos des gerade Produzierenden zu versinken, sondern sich direkt nach einer Aufnahme über ganz andere Dinge unterhalten zu können und den Kopf schnell freizubekommen. Von Leuten, die man lange kennt, bekommt man auch das ehrlichste Feedback. Aber wir haben natürlich keine Fragebögen verteilt. Das war ein schöner und direkter Austausch.
Was hat die spezielle Aufnahmesituation an den Songs verändert?
Das war ganz ähnlich wie bei persönlichen Gesprächen, in denen man sich selbst spiegelt. Die Songs, an denen noch etwas gefeilt
werden musste, veränderten sich, wenn man sie anderen vorspielte, wie von selbst. Wir haben also nicht ganze Songs umgeworfen, sondern nur noch an kleinen Stellschrauben gedreht, die wir sowieso bereits auf dem Schirm hatten.
Was steckte noch in Ihrem Albumkonzept?
Wir wollten in vielerlei Hinsicht ganz ohne Druck ein leichtes Album machen. Deshalb findet man darauf auch ein Stück wie „Erdbeerkuchen“, das ganz ohne doppelten Boden nur von einem handelt: von leckerem Erdbeerkuchen.
Bei der Instrumentierung wagten Sie sich aber durchaus an größere Klangbilder – also auch an die Sahne.
Wir haben uns in den vergangenen Jahren ganz individuell als Musiker weiterentwickeln können. Es macht natürlich auch mehr Spaß, wenn man beim Instrumentarium deutlich mehr Möglichkeiten hat, aus denen man schöpfen kann. Wir können einen Song mit drei Gitarren oder einen Bossanova einspielen, aber auch wie eine klassische Rockformation klingen.
Klingt nach einer perfekten Entwicklung.
Dieser innere Zwang, sich an den Instrumenten immer verbessern
zu wollen, ist Fluch und Segen zugleich. Man hört ja immer wieder andere Musiker, die besser sind, und zweifelt dann an sich selbst. Aber ich weiß natürlich sehr genau, dass es ein Privileg ist, sein Hobby zum Beruf machen zu können. Wenn man seinen Traum leben kann, fällt es leicht, sich beim Gitarrenspiel reinzuhängen. Und es ist einfach großartig, wenn man in der Lage ist, das, was man an Musik im Kopf hat, mit den Werkzeugen, die man immer besser beherrscht, selbst in eine Form bringen zu können.
Auch gesanglich wurde noch eine Schippe draufgelegt.
Wir versuchen immer Neues zu wagen. Henning hat auf einigen Songs beispielsweise sehr leise gesungen und sich in ganz andere Stimmlagen bewegt. Wir hatten auch so viel positive Energie zu geben, dass wir sehr bewusst
mit „Lass es kreisen“als Türöffner in das Album gestartet sind.
Was macht denn über die Jahre Eure besondere Trio-chemie aus?
Wir wollen seit der Schulzeit vor allem eines: gemeinsam Musik machen. Unsere Egos stehen uns nicht im Weg, wir sind nicht nachtragend und wissen, wie wertvoll unsere Freundschaft ist. Oft sind wir allerdings derart im Macher-modus eingespannt, dass wir immer bewusst darauf achten, uns auch als Freunde zu treffen und einfach mal abzuhängen, ohne über Berufliches zu sprechen.
Wieso war der neue Lebensmittelpunkt Berlin für Henning May und Sie so wichtig?
Berlin war nach Köln die nächste Stadt, auf die ich Bock hatte. So ging es auch Henning. Dort gibt es gerade in der Musik viele Inspirationen, und man kann spannende Kolleginnen und Kollegen treffen. Dieses Neue um uns herum brauchten wir, jeder für sich. Wir haben auch nicht das Gefühl, dass Annenmaykantereit darunter leidet. Ganz im Gegenteil. Wir managen uns ja selbst. Es gibt also immer viel zu besprechen, und wenn es sein muss, sind wir in vier Stunden mit der Bahn in Köln.
Apropos Köln. Fast scheint es so, als hätten Sie mit dem Song „Tommi“ eine neue Kölsch-hymne geschrieben.
Mittlerweile sind wir mit „Tommi“in die Sphären des Kölner Karnevals und bei den Heimspielen des 1. FC Köln ins Rheinenergiestadion vorgedrungen. Im Stadion werden wir im Sommer dann auch das Abschlusskonzert unserer Tournee spielen. Wenn man in Köln groß geworden ist, geht fast nicht mehr. Ich bin als Kind mit meinem Vater zum 1. FC gegangen und war in Müngersdorf auch im Freibad. Und nun sind wir dort der Hauptact. Das ist eigentlich nicht zu fassen.
Wir brauchten Neues um uns herum, jeder für sich.
Einen Vorgeschmack gab es bereits mit den zwei ausverkauften Heimspielen in der Kölner Lanxess Arena. Und nun sind Annenmaykantereit im August auch Headliner auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart.
Die Köln-arena auszuverkaufen, war wirklich unfassbar und ein riesiges Kompliment für uns, denn es ist ja immer noch nicht selbstverständlich, dass Tickets gekauft werden. Für uns gibt es nichts Schöneres, als den Leuten, die unsere Alben kaufen, bei unseren Konzerten in die Augen schauen zu können. Wie das auf dem Wasen in Stuttgart ist, haben wir bereits beim Kessel Festival im vergangenen Jahr erleben dürfen. Wir wissen also, was uns erwartet. Eines steht aber bereits jetzt fest: Der Sommer wird verrückt.