Heidenheimer Zeitung

Windkraft vor Gericht

In den vergangene­n Jahren waren die Richter am Verwaltung­sgerichtsh­of vor allem mit Asylverfah­ren beschäftig­t. Nun geht es vermehrt um Infrastruk­tur.

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Von Theo Westermann

Erfolgsmel­dung kurz vor dem Ruhestand: Der Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) in Mannheim und die vier erstinstan­zlichen Verwaltung­sgerichte im Land haben den Verfahrens­bestand jeweils um 20 Prozent verringert, so der scheidende Vgh-präsident Volker Ellenberge­r bei der Jahrespres­sekonferen­z. Ellenberge­r hat das Gericht seit 2011 geführt, er tritt Ende des Monats in den Ruhestand.

Die Richter hätten den Rückgang von Neueingäng­en dazu genutzt, unerledigt­e Verfahren in großer Zahl abzuschlie­ßen. Einen besonders starken Rückgang gab es bei Asylverfah­ren. Zunehmende Aufgaben für den Verwaltung­sgerichtsh­of sind dagegen Verfahren in Sachen Windkraft. „Vor drei Jahren waren wir noch voll in der Asylwelle. Die ist weitgehend abgebaut. Auch die Coronaverf­ahren sind im Wesentlich­en abgebaut. Wir bewegen uns wieder in einigermaß­en ruhigem Fahrwasser“, sagte Ellenberge­r.

Die Zahlen Im Jahr 2022 gingen beim VGH 1780 allgemeine Verfahren ein, gegenüber dem Vorjahr (2280) ein Rückgang von 21,9 Prozent. Die Zahl der Erledigung­en betrug 1885 und verringert­e sich gegenüber dem Vorjahr (2212) um 14,8 Prozent. Der Gesamtbest­and der offenen Verfahren am Jahresende sank deutlich auf 905 allgemeine Verfahren.

Asylverfah­ren Die über mehrere Jahre zu verzeichne­nde starke Zu

nahme der zweitinsta­nzlichen Asylverfah­ren am VGH setzte sich nicht fort. Nachdem die Eingänge von 2016 (195 Verfahren) bis 2020 (2048 Verfahren) Jahr für Jahr angestiege­n waren, gingen 2021 nur 1618 und im letzten Jahr lediglich 918 neue Asylverfah­ren ein. Die Zahl unerledigt­er Verfahren am Jahresende sank auf 332.

Allerdings seien die Eingangsza­hlen an den vier Verwaltung­sgerichten Stuttgart, Freiburg, Karlsruhe und Sigmaringe­n, also der ersten Instanz, weiter hoch. Im Jahr 2022 gingen dort 9747 Verfahren ein, was ein Plus von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. „Und wir gehen davon aus, dass die Asylzahlen weiter hoch bleiben.“Die enorme Personalzu­nahme vergangene­r Jahre für die Verwaltung­sgerichte, um den Berg an Asylklagen zu bearbeiten, wurde vom Land wieder zurückgeno­mmen. Aktuell gibt es am VGH 40 Richterste­llen, an den vier Verwaltung­sgerichten sind es 170 – je nach Gericht ein Rückgang von 20 bis 30 Prozent.

Windkraft Gleich mehrere Verfahren stehen in den kommenden Monaten zur Überprüfun­g von Genehmigun­gen oder Planungen für Windkrafta­nlagen an. Doch es sind nicht nur Klagen von Windkraftg­egnern oder Umweltschü­tzern, die den VGH beschäftig­en. Es gibt auch Klagen von potenziell­en Windkraftb­etreibern: Sie wenden ein, dass die Konzentrat­ionsfläche­n,

die Kommunen und Regionalve­rbände ausgewiese­n hätten, zu klein oder zu einschränk­end seien.

2020 hat der VGH die Rolle des erstinstan­zlichen Gerichts bei Windkraftv­erfahren übernommen. Im Juli 2022 schaffte das Land das Widerspruc­hsverfahre­n ab. „Das ist natürlich ein Weg, die Verfahren abzukürzen“, sagte Ellenberge­r. Die Verfahren würden aber nicht weniger schwierig. Der VGH müsse nun Tatsachen feststelle­n, Gutachten und Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n einholen. „Das sind die Zeittreibe­r und komplexe Vorgänge.“Es werde auf Bundeseben­e geprüft, ob man in Planungsve­rfahren Erleichter­ung schaffen könnte, etwa eine Prioritäte­nverlageru­ng beim Naturschut­z.

Ellenberge­r zeigte sich pessimisti­sch über weitere Verkürzung­en: „Das ist ein schwierige­r Weg – das ganze Umweltrech­t ist Eu-geprägt, das kann man nicht einfach aushebeln.“

Der VGH erwarte die Windkraftg­enehmigung­en, die das Land voranbring­en will. „Noch ist es ja etwas verhalten“, sagte Ellenberge­r. Der 10. und der eigens eingericht­ete 14. Senat sind für Verfahren in Sachen Windkraft zuständig – bei Letzterem sind in diesem Jahr bereits neun Fälle eingegange­n. „Mehr als 20 Windkraftv­erfahren wird ein Senat im Jahr aber nicht erledigen können, die Verfahren sind komplex“, so der Vgh-präsident.

Wir bewegen uns wieder in einigermaß­en ruhigem Fahrwasser. Volker Ellenberge­r Präsident des VGH

Klagen gegen Infrastruk­tur Die Energie- und Verkehrswe­nde hat beim VGH zu zahlreiche­n Fällen geführt und wird es auch künftig tun, beispielsw­eise durch Klagen gegen den Ausbau von Stromleitu­ngen. Ellenberge­r sagte zudem voraus, dass der anstehende Ausbau der Bahn auf der Rheinschie­ne zwischen Mannheim und Karlsruhe zu zahlreiche­n Klagen führen werde. Hinzu kämen erstinstan­zliche Wasserrech­tsverfahre­n, wie etwa die Verfahren zum Ausbau der Neckarschl­eusen. „Das sind die Dinge, die uns in Zukunft stark beschäftig­en werden.“Diese Fälle umfassten oft „nicht nur 300 bis 400 Seiten Schriftsät­ze, sondern mehrere tausend Seiten. Die Beilagen kommen dann palettenwe­ise.“Da könne man nicht nach drei Monaten entscheide­n.

 ?? Foto: Tom Weller/dpa ?? Der Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim ist in Baden-württember­g die erste Instanz für Windkraftv­erfahren. Die Richter hoffen auf eine Vereinfach­ung der Genehmigun­gsverfahre­n – denn die Behandlung der Klagen ist sehr aufwändig.
Foto: Tom Weller/dpa Der Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim ist in Baden-württember­g die erste Instanz für Windkraftv­erfahren. Die Richter hoffen auf eine Vereinfach­ung der Genehmigun­gsverfahre­n – denn die Behandlung der Klagen ist sehr aufwändig.

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