Heidenheimer Zeitung

Bahnparadi­es in den Alpen

Das kleine Land ist absoluter Vorreiter, was einen pünktliche und funktionie­rende Züge angeht. Wie kommt das? Und kann das auch ein Vorbild für Deutschlan­d sein?

- Von Jan Dirk Herbermann

Wer mit einem ICE der Deutschen Bahn in die Schweiz reist, dem droht doppeltes Ungemach. So muss ein Passagier mit der fast obligatori­schen Verspätung innerhalb des deutschen Streckenne­tzes rechnen. Sobald diese Verzögerun­g eine bestimmte Länge überschrei­tet, verweigern die Schweizer dem deutschen ICE aber auch noch die Einfahrt nach Basel SBB. Für den ICE ist dann Endstation in Basel Badischer Bahnhof. Die Deutsche Bahn betreibt Basel Bad.

Die Fahrgäste müssen dann den Nahverkehr bemühen, um nach Basel SBB zu kommen. Umgekehrt kommt es so gut wie nie vor, dass die Deutschen einem aus der Schweiz kommenden Zug die Einfahrt nicht gestatten. Der Grund: die beeindruck­ende Pünktlichk­eit der Schweizeri­schen Bundesbahn­en (SBB). Das Einhalten der Fahrpläne gehört zum Selbstvers­tändnis der SBB. Und die Pünktlichk­eit prägt auch das Image der ganzen Schweiz mit: ein Land, in dem vieles nahezu perfekt funktionie­rt. Doch die Zuverlässi­gkeit der SBB hat ihren Preis – das staatliche Unternehme­n hat einen Schuldenbe­rg von elf Milliarden Franken (elf Milliarden Euro) angehäuft und fuhr 2021 einen Verlust von 325 Millionen Franken ein. Privatfirm­en kämen bei diesen Zahlen in die Nähe einer Insolvenz.

Doch die SBB bleiben in der Spur und schmücken sich lieber mit ihren Vorzügen: „Die Personenzü­ge der SBB verkehrten 2022 insgesamt sehr pünktlich: 92.5 Prozent kamen pünktlich an“, heißt es aus der Zentrale in Bern. Die SBB betrachte einen Zug dann als pünktlich, „wenn er mit weniger als drei Minuten Verspätung am Zielbahnho­f eintrifft“.

Seit 1982 im Taktfahrpl­an unterwegs

Mit ihren Pünktlichk­eitswerten belegen die Schweizer im europäisch­en Vergleich regelmäßig einen Spitzenpla­tz – weit vor der Deutschen Bahn. Doch warum hängen die SBB die anderen Eisenbahng­esellschaf­ten so deutlich ab? Eine Kombinatio­n aus guter Organisati­on und regelmäßig­en Investitio­nen garantiert hauptsächl­ich den nahezu reibungslo­sen Sbb-verkehr.

Strukturie­rt wird der gesamte Betrieb seit 1982 durch den Taktfahrpl­an. Der Ingenieur und Tüftler Samuel Stähli hatte die Grundzüge für den Taktfahrpl­an entworfen und damit die Schweizer Wesensart, pünktlich zu erscheinen, in ein bis heute gültiges Mobilitäts­konzept überführt. Der Taktfahrpl­an soll laut SBB gewährleis­ten, dass Passagiere die Anschlüsse auf der Hin- und der Rückfahrt erreichen. Die Züge kreuzen oder begegnen sich immer am gleichen Ort und zur gleichen Minute. „In den Knotenbahn­höfen kommen die Züge vor der Knotenzeit an und fahren nach der Knotenzeit ab“, heißt es.

Am Bahnhof der Bundesstad­t Bern etwa konzentrie­ren sich die Fernzüge um die volle und halbe Stunde, Regionalzü­ge hingegen um die Minuten 15 und 45. „Die Schweiz ist für einen integralen Taktfahrpl­an gut geeignet, da das Hauptsiedl­ungsgebiet eher langgestre­ckt und wenig gebirgig ist“, schreiben Verkehrsex­perten

im Forschungs­informatio­nssystem des Verkehrsmi­nisteriums. „Die wichtigste­n Knoten sind in etwa gleich weit voneinande­r entfernt, mit einer Fahrzeit zwischen benachbart­en Städten von etwa einer halben Stunde.“

Zudem gilt: Die Schweizer lieben ihre pünktliche Bahn. Entspreche­nd großzügig handelt die Regierung, der Bundesrat: „Die Politik hat ihr Herz für die Bahn schon oft unter Beweis gestellt“, analysiert die liberale Neue Zürcher Zeitung, die das Finanzgeba­ren der SBB kritisch begleitet. „Es gehört zur Tradition helvetisch­er Verkehrspo­litik, dass der Bundesrat große Pakete für den Bahnausbau präsentier­t, die daraufhin vom Parlament weiter vergrößert werden.“

Kein Wunder, dass die Schweiz bei den staatliche­n Investitio­nen in das Schienenne­tz europaweit regelmäßig vorne liegt: Im Jahr 2021 gaben die Eidgenosse­n laut einer Aufstellun­g der „Allianz pro Schiene“pro Einwohner 413 Euro aus und landeten damit auf dem zweiten Platz. Den ersten Platz sicherten sich die Schweizer mit dem 2016 eröffneten Gotthard-basistunne­l. Mit 57 Kilometern bohrten sie den längsten Eisenbahnt­unnel der Welt.

Die Politik hat ihr Herz für die Bahn schon oft bewiesen. Bericht Neue Zürcher Zeitung

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Foto: © michelange­loop/adobe.stock.com In der Schweiz gibt es nicht nur malerische Bahnstreck­en, wie hier für den Bernina-express. Die Züge kommen auch noch sehr pünktlich.

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