Bahnparadies in den Alpen
Das kleine Land ist absoluter Vorreiter, was einen pünktliche und funktionierende Züge angeht. Wie kommt das? Und kann das auch ein Vorbild für Deutschland sein?
Wer mit einem ICE der Deutschen Bahn in die Schweiz reist, dem droht doppeltes Ungemach. So muss ein Passagier mit der fast obligatorischen Verspätung innerhalb des deutschen Streckennetzes rechnen. Sobald diese Verzögerung eine bestimmte Länge überschreitet, verweigern die Schweizer dem deutschen ICE aber auch noch die Einfahrt nach Basel SBB. Für den ICE ist dann Endstation in Basel Badischer Bahnhof. Die Deutsche Bahn betreibt Basel Bad.
Die Fahrgäste müssen dann den Nahverkehr bemühen, um nach Basel SBB zu kommen. Umgekehrt kommt es so gut wie nie vor, dass die Deutschen einem aus der Schweiz kommenden Zug die Einfahrt nicht gestatten. Der Grund: die beeindruckende Pünktlichkeit der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Das Einhalten der Fahrpläne gehört zum Selbstverständnis der SBB. Und die Pünktlichkeit prägt auch das Image der ganzen Schweiz mit: ein Land, in dem vieles nahezu perfekt funktioniert. Doch die Zuverlässigkeit der SBB hat ihren Preis – das staatliche Unternehmen hat einen Schuldenberg von elf Milliarden Franken (elf Milliarden Euro) angehäuft und fuhr 2021 einen Verlust von 325 Millionen Franken ein. Privatfirmen kämen bei diesen Zahlen in die Nähe einer Insolvenz.
Doch die SBB bleiben in der Spur und schmücken sich lieber mit ihren Vorzügen: „Die Personenzüge der SBB verkehrten 2022 insgesamt sehr pünktlich: 92.5 Prozent kamen pünktlich an“, heißt es aus der Zentrale in Bern. Die SBB betrachte einen Zug dann als pünktlich, „wenn er mit weniger als drei Minuten Verspätung am Zielbahnhof eintrifft“.
Seit 1982 im Taktfahrplan unterwegs
Mit ihren Pünktlichkeitswerten belegen die Schweizer im europäischen Vergleich regelmäßig einen Spitzenplatz – weit vor der Deutschen Bahn. Doch warum hängen die SBB die anderen Eisenbahngesellschaften so deutlich ab? Eine Kombination aus guter Organisation und regelmäßigen Investitionen garantiert hauptsächlich den nahezu reibungslosen Sbb-verkehr.
Strukturiert wird der gesamte Betrieb seit 1982 durch den Taktfahrplan. Der Ingenieur und Tüftler Samuel Stähli hatte die Grundzüge für den Taktfahrplan entworfen und damit die Schweizer Wesensart, pünktlich zu erscheinen, in ein bis heute gültiges Mobilitätskonzept überführt. Der Taktfahrplan soll laut SBB gewährleisten, dass Passagiere die Anschlüsse auf der Hin- und der Rückfahrt erreichen. Die Züge kreuzen oder begegnen sich immer am gleichen Ort und zur gleichen Minute. „In den Knotenbahnhöfen kommen die Züge vor der Knotenzeit an und fahren nach der Knotenzeit ab“, heißt es.
Am Bahnhof der Bundesstadt Bern etwa konzentrieren sich die Fernzüge um die volle und halbe Stunde, Regionalzüge hingegen um die Minuten 15 und 45. „Die Schweiz ist für einen integralen Taktfahrplan gut geeignet, da das Hauptsiedlungsgebiet eher langgestreckt und wenig gebirgig ist“, schreiben Verkehrsexperten
im Forschungsinformationssystem des Verkehrsministeriums. „Die wichtigsten Knoten sind in etwa gleich weit voneinander entfernt, mit einer Fahrzeit zwischen benachbarten Städten von etwa einer halben Stunde.“
Zudem gilt: Die Schweizer lieben ihre pünktliche Bahn. Entsprechend großzügig handelt die Regierung, der Bundesrat: „Die Politik hat ihr Herz für die Bahn schon oft unter Beweis gestellt“, analysiert die liberale Neue Zürcher Zeitung, die das Finanzgebaren der SBB kritisch begleitet. „Es gehört zur Tradition helvetischer Verkehrspolitik, dass der Bundesrat große Pakete für den Bahnausbau präsentiert, die daraufhin vom Parlament weiter vergrößert werden.“
Kein Wunder, dass die Schweiz bei den staatlichen Investitionen in das Schienennetz europaweit regelmäßig vorne liegt: Im Jahr 2021 gaben die Eidgenossen laut einer Aufstellung der „Allianz pro Schiene“pro Einwohner 413 Euro aus und landeten damit auf dem zweiten Platz. Den ersten Platz sicherten sich die Schweizer mit dem 2016 eröffneten Gotthard-basistunnel. Mit 57 Kilometern bohrten sie den längsten Eisenbahntunnel der Welt.
Die Politik hat ihr Herz für die Bahn schon oft bewiesen. Bericht Neue Zürcher Zeitung