Zum Schutz der Schwachen
Nicht nur zu Hause sollen Unternehmen umweltverträglich agieren, sondern weltweit. Das neue Lieferkettengesetz hat besonders die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Blick.
Nachhaltigkeit. Die ist in aller Munde, nachhaltig soll so ziemlich alles sein, Energie, Nahrung und alle möglichen anderen Produkte. Spätestens damit ist das Thema bei den Unternehmen im Südwesten angekommen. „Ganz zentral“, nennt Martin Müller die nachhaltige Beschaffung für Unternehmen. Müller ist Professor an der Universität Ulm, leitet dort das Institut für nachhaltige Unternehmensführung an der Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften und befasst sich seit über 20 Jahren mit dem Thema. Die nachhaltige Beschaffung „ist der Hauptansatzpunkt für das Thema Nachhaltigkeit“, sagt er.
Darum kümmern sollten sich alle Unternehmen. Umweltschutzund Menschenrechtsorganisationen, die Presse und immer mehr Kunden fragen immer detaillierter nach, wo was herkommt. Immer mehr Gesetze wie das seit Anfang Januar geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – kurz: Lieferkettengesetz – sorgen für Handlungsbedarf. In vielen Fällen ist das zunächst ein Problem für die ganz großen Firmen. Aber die sind oft Kunden von kleinen und mittelständischen Firmen im Südwesten. Damit steigt auch der Druck bei diesen Unternehmen, Nachhaltigkeits-belege zu liefern, denn nur dann bleiben sie mit den Großen im Geschäft.
Fast alle Unternehmen beziehen Rohstoffe oder Vorprodukte aus der weiten Welt. Und genau da liegt das Problem: Die größten Herausforderungen für die Nachhaltigkeit und deren Nachweis „liegen nicht vor der Haustür“, sagt Müller. In Deutschland und weiten Teilen Europas sind Umweltschutz und Menschenrechte mehr oder weniger durchgeregelt. „Im Süden“der Welt sei das anders, sagt Müller. Asien, Afrika, Südamerika, dort gebe es viele Probleme. Wobei Nachhaltigkeit nicht nur die Umwelt und ökologische Belange im Blick hat, sondern insbesondere auch die soziale Gerechtigkeit und damit die Arbeitsbedingungen vor Ort.
Und wie macht ein Unternehmen sowas? Was und wie die Unternehmen vorgehen sollen, um dem Lieferkettengesetz gerecht zu werden, sagt Silke Helmholz, Syndikusrechtsanwältin und Leiterin des Referats Wirtschaftsrecht und internationales Handelsrecht bei der IHK Region Stuttgart: Erstmal sei eine „Risikoanalyse“gefragt. Dazu sollte im ersten Schritt die Lieferkette eines Unternehmens sichtbar gemacht werden. Also: wer aus welchem Land liefert was an das Unternehmen hier im Südwesten?
Dann kommt Schritt zwei, die konkrete Betrachtung: Standort des Lieferanten, Branche oder geliefertes Produkt, all das kann Hinweise auf mögliche Probleme im Bereich Menschenrechte geben. Ein Beispiel: wer Textilien in Bangladesch einkauft, sollte seine
Lieferanten und die dortigen Arbeitsbedingungen im Auge haben. Auch bei im Bergbau gewonnenen Rohstoffen sollten Unternehmen genau hinsehen. Ganz wichtig ist die Dokumentation dieser Prüfungen, die im Unternehmen gemacht werden, sagt Helmholz. Damit kann nachgewiesen werden, dass ein Unternehmen im Sinne des Lieferkettengesetzes genug getan hat.
Missstände nachweisen
Wichtig: Es gibt nur eine „Bemühenspflicht, keine Erfolgspflicht“, sagt Helmholz. „Unternehmen müssen aufgedeckte Missstände also nicht in jedem Fall verhindern, es reicht, wenn sie nachweisen, alles dafür getan zu haben, diese abzustellen.“Und wenn genug getan wurde, dann droht auch kein Bußgeld, das vom zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle verhängt werden kann. Bis zu 800 000 Euro können das sein.
Auch der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen ist eine dort vorgesehene Sanktion. Letztlich ist es immer eine individuelle Bewertung,
die jedes Unternehmen für sich machen muss, sagt Helmholz. Und doch, gemeinsam geht es teilweise auch, etwa wenn sich Unternehmen aus der gleichen Branche zusammenschließen und Plattformen schaffen, auf denen dann alle Beteiligten Zugriff auf die Audit-ergebnisse bestimmter Lieferanten haben. So etwas gebe es schon, sagt Wissenschaftler Müller, etwa in der Automobil-, Pharma- und Chemieindustrie.
Angst vor zu viel Arbeit sollten Unternehmen aber nicht haben. Nicht immer ist es nötig, für die Nachhaltigkeit gleich eine ganze neue Stelle zu schaffen. Aber: einfach sei es auch nicht, denn ob ein Lieferant nachhaltig agiert oder nicht, sei immer eine Frage der Einschätzung. Es gebe zwar eine Vielzahl von Regelungen, etwa zur Kinderarbeit. In einigen Ländern dürfen erst 16-Jährige arbeiten, in anderen aber schon 14-Jährige. „Hier muss dann jedes Unternehmen selbst entscheiden, was ihm wichtig ist“, sagt Müller. Der hohe Aufwand kann sich trotzdem lohnen, denn „schlechte Presse haben will natürlich keiner“, sagt Müller. Denn der Druck von außen, also von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen und der Medien nimmt zu.
Die größten Aufgaben für Unternehmen liegen nicht vor der Haustür. Martin Müller Universität Ulm
Welt weit gibt es 25 Millionen in Zwangsarbeit.
Zwar habe sich in den vergangenen Jahren viel getan, vor allem in Deutschland und Europa, woanders jedoch nicht. Weltweit gibt es 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit, rund 80 Millionen Kinder arbeiten unter „ausbeuterischen Bedingungen“, heißt es beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Vor allem Beschäftigte in Ländern mit nicht so hohen Standards sollen vom Lieferkettengesetz profitieren.
Und die Unternehmen werden das auch, sagt Müller. Von der Globalisierung hätten viele deutsche Firmen, auch und besonders im Südwesten, profitiert, sagt er. Wenn es dabei bleiben soll, also einer weltweit auch zum Wohle der deutschen Unternehmen florierenden Wirtschaft, sei es doch im Interesse der hiesigen Unternehmen, dafür zu sorgen, dass die Globalisierung nicht noch mehr unter Druck gerate. Immer lautere Rufe nach mehr nationalen Alleingängen und Protektion gehen ihr ohnehin schon an den Kragen.
Nachweisbar nachhaltige Lieferketten können dann schnell zu einem wichtigen Argument werden. Entziehen kann sich der Entwicklung zudem ohnehin keiner, sagt die Stuttgarter Ihk-expertin Helmholz. Auf Eu-ebene sei eine Richtlinie in Arbeit, die über das, was das Lieferkettengesetz vorschreibt, hinausgeht, vor allem werde die Haftung der Unternehmen nochmal erweitert. Und das für größere wie für kleinere Unternehmen.