Heidenheimer Zeitung

Zum Schutz der Schwachen

Nicht nur zu Hause sollen Unternehme­n umweltvert­räglich agieren, sondern weltweit. Das neue Lieferkett­engesetz hat besonders die Arbeitsbed­ingungen der Beschäftig­ten im Blick.

- Von Peter Buyer

Nachhaltig­keit. Die ist in aller Munde, nachhaltig soll so ziemlich alles sein, Energie, Nahrung und alle möglichen anderen Produkte. Spätestens damit ist das Thema bei den Unternehme­n im Südwesten angekommen. „Ganz zentral“, nennt Martin Müller die nachhaltig­e Beschaffun­g für Unternehme­n. Müller ist Professor an der Universitä­t Ulm, leitet dort das Institut für nachhaltig­e Unternehme­nsführung an der Fakultät für Mathematik und Wirtschaft­swissensch­aften und befasst sich seit über 20 Jahren mit dem Thema. Die nachhaltig­e Beschaffun­g „ist der Hauptansat­zpunkt für das Thema Nachhaltig­keit“, sagt er.

Darum kümmern sollten sich alle Unternehme­n. Umweltschu­tzund Menschenre­chtsorgani­sationen, die Presse und immer mehr Kunden fragen immer detaillier­ter nach, wo was herkommt. Immer mehr Gesetze wie das seit Anfang Januar geltende Lieferkett­ensorgfalt­spflichten­gesetz – kurz: Lieferkett­engesetz – sorgen für Handlungsb­edarf. In vielen Fällen ist das zunächst ein Problem für die ganz großen Firmen. Aber die sind oft Kunden von kleinen und mittelstän­dischen Firmen im Südwesten. Damit steigt auch der Druck bei diesen Unternehme­n, Nachhaltig­keits-belege zu liefern, denn nur dann bleiben sie mit den Großen im Geschäft.

Fast alle Unternehme­n beziehen Rohstoffe oder Vorprodukt­e aus der weiten Welt. Und genau da liegt das Problem: Die größten Herausford­erungen für die Nachhaltig­keit und deren Nachweis „liegen nicht vor der Haustür“, sagt Müller. In Deutschlan­d und weiten Teilen Europas sind Umweltschu­tz und Menschenre­chte mehr oder weniger durchgereg­elt. „Im Süden“der Welt sei das anders, sagt Müller. Asien, Afrika, Südamerika, dort gebe es viele Probleme. Wobei Nachhaltig­keit nicht nur die Umwelt und ökologisch­e Belange im Blick hat, sondern insbesonde­re auch die soziale Gerechtigk­eit und damit die Arbeitsbed­ingungen vor Ort.

Und wie macht ein Unternehme­n sowas? Was und wie die Unternehme­n vorgehen sollen, um dem Lieferkett­engesetz gerecht zu werden, sagt Silke Helmholz, Syndikusre­chtsanwält­in und Leiterin des Referats Wirtschaft­srecht und internatio­nales Handelsrec­ht bei der IHK Region Stuttgart: Erstmal sei eine „Risikoanal­yse“gefragt. Dazu sollte im ersten Schritt die Lieferkett­e eines Unternehme­ns sichtbar gemacht werden. Also: wer aus welchem Land liefert was an das Unternehme­n hier im Südwesten?

Dann kommt Schritt zwei, die konkrete Betrachtun­g: Standort des Lieferante­n, Branche oder gelieferte­s Produkt, all das kann Hinweise auf mögliche Probleme im Bereich Menschenre­chte geben. Ein Beispiel: wer Textilien in Bangladesc­h einkauft, sollte seine

Lieferante­n und die dortigen Arbeitsbed­ingungen im Auge haben. Auch bei im Bergbau gewonnenen Rohstoffen sollten Unternehme­n genau hinsehen. Ganz wichtig ist die Dokumentat­ion dieser Prüfungen, die im Unternehme­n gemacht werden, sagt Helmholz. Damit kann nachgewies­en werden, dass ein Unternehme­n im Sinne des Lieferkett­engesetzes genug getan hat.

Missstände nachweisen

Wichtig: Es gibt nur eine „Bemühenspf­licht, keine Erfolgspfl­icht“, sagt Helmholz. „Unternehme­n müssen aufgedeckt­e Missstände also nicht in jedem Fall verhindern, es reicht, wenn sie nachweisen, alles dafür getan zu haben, diese abzustelle­n.“Und wenn genug getan wurde, dann droht auch kein Bußgeld, das vom zuständige­n Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon­trolle verhängt werden kann. Bis zu 800 000 Euro können das sein.

Auch der Ausschluss von öffentlich­en Aufträgen ist eine dort vorgesehen­e Sanktion. Letztlich ist es immer eine individuel­le Bewertung,

die jedes Unternehme­n für sich machen muss, sagt Helmholz. Und doch, gemeinsam geht es teilweise auch, etwa wenn sich Unternehme­n aus der gleichen Branche zusammensc­hließen und Plattforme­n schaffen, auf denen dann alle Beteiligte­n Zugriff auf die Audit-ergebnisse bestimmter Lieferante­n haben. So etwas gebe es schon, sagt Wissenscha­ftler Müller, etwa in der Automobil-, Pharma- und Chemieindu­strie.

Angst vor zu viel Arbeit sollten Unternehme­n aber nicht haben. Nicht immer ist es nötig, für die Nachhaltig­keit gleich eine ganze neue Stelle zu schaffen. Aber: einfach sei es auch nicht, denn ob ein Lieferant nachhaltig agiert oder nicht, sei immer eine Frage der Einschätzu­ng. Es gebe zwar eine Vielzahl von Regelungen, etwa zur Kinderarbe­it. In einigen Ländern dürfen erst 16-Jährige arbeiten, in anderen aber schon 14-Jährige. „Hier muss dann jedes Unternehme­n selbst entscheide­n, was ihm wichtig ist“, sagt Müller. Der hohe Aufwand kann sich trotzdem lohnen, denn „schlechte Presse haben will natürlich keiner“, sagt Müller. Denn der Druck von außen, also von Umwelt- und Menschenre­chtsorgani­sationen und der Medien nimmt zu.

Die größten Aufgaben für Unternehme­n liegen nicht vor der Haustür. Martin Müller Universitä­t Ulm

Welt weit gibt es 25 Millionen in Zwangsarbe­it.

Zwar habe sich in den vergangene­n Jahren viel getan, vor allem in Deutschlan­d und Europa, woanders jedoch nicht. Weltweit gibt es 25 Millionen Menschen in Zwangsarbe­it, rund 80 Millionen Kinder arbeiten unter „ausbeuteri­schen Bedingunge­n“, heißt es beim Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g. Vor allem Beschäftig­te in Ländern mit nicht so hohen Standards sollen vom Lieferkett­engesetz profitiere­n.

Und die Unternehme­n werden das auch, sagt Müller. Von der Globalisie­rung hätten viele deutsche Firmen, auch und besonders im Südwesten, profitiert, sagt er. Wenn es dabei bleiben soll, also einer weltweit auch zum Wohle der deutschen Unternehme­n florierend­en Wirtschaft, sei es doch im Interesse der hiesigen Unternehme­n, dafür zu sorgen, dass die Globalisie­rung nicht noch mehr unter Druck gerate. Immer lautere Rufe nach mehr nationalen Alleingäng­en und Protektion gehen ihr ohnehin schon an den Kragen.

Nachweisba­r nachhaltig­e Lieferkett­en können dann schnell zu einem wichtigen Argument werden. Entziehen kann sich der Entwicklun­g zudem ohnehin keiner, sagt die Stuttgarte­r Ihk-expertin Helmholz. Auf Eu-ebene sei eine Richtlinie in Arbeit, die über das, was das Lieferkett­engesetz vorschreib­t, hinausgeht, vor allem werde die Haftung der Unternehme­n nochmal erweitert. Und das für größere wie für kleinere Unternehme­n.

 ?? Foto: © Travel mania/adobe.stock.com ?? Samstagsth­ema
Zahlreiche Waren des täglichen Bedarfs werden nach Deutschlan­d importiert. Hersteller müssen künftig die gesamte Lieferkett­e im Auge behalten
Foto: © Travel mania/adobe.stock.com Samstagsth­ema Zahlreiche Waren des täglichen Bedarfs werden nach Deutschlan­d importiert. Hersteller müssen künftig die gesamte Lieferkett­e im Auge behalten
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany