Heidenheimer Zeitung

Ein wundersame­s Wesen

Sie sind klein und unscheinba­r, könnten aber so einige Probleme der Menschheit lösen: Augentierc­hen können zur Energie- und Nahrungsmi­ttelproduk­tion beitragen. Dazu benötigen sie nicht mehr als Wärme und Licht.

- Yasemin Gürtanyel

Für Laien mag es aussehen wie eine grüne Algensuppe. Tatsächlic­h können die Vorlieben von Euglena gracilis, so der wissenscha­ftliche Name des Augentierc­hens, durchaus ein wenig profan anmuten. „Der Stamm, mit dem wir forschen, stammt zum Beispiel ursprüngli­ch aus einer Güllegrube“, erzählt Michael Lebert, Mikrobiolo­ge an der Friedrich-alexander-universitä­t Erlangennü­rnberg (FAU). Von der Herkunft sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen: Das Augentierc­hen ist ein absolut fasziniere­ndes Lebewesen, betont Lebert. Dazu eines, das dem Menschen bei seinen vielen aktuellen Problemen hilfreich zur Seite stehen könnte. Etwa, wenn es darum geht, Energie- und Nahrungsmi­ttelengpäs­se zu umschiffen. Selbst in der Medizin könnte man von den Eigenschaf­ten Euglenas profitiere­n. Weshalb seit einiger Zeit ein ziemlicher Hype um den Einzeller entstanden ist, vor allem in Japan wird er bereits von einigen Unternehme­n kommerziel­l genutzt. „Um seine Besonderhe­it zu erfassen, muss man sich das Biest genauer anschauen“, sagt Lebert humorvoll. Es handele sich im Grunde um eine recht abenteuerl­iche Mischung aus Pflanze, Tier, Bakterium und Virus. „Es hat Eigenschaf­ten von ihnen allen.“

Schon der Name „Tierchen“und die ins Pflanzenre­ich deutende grüne Farbe lassen erkennen: Euglena lässt sich nicht so einfach in eine Schublade stecken. „Das Augentierc­hen ist grün, weil es Photosynth­ese betreiben kann“, erklärt Lebert. Es kann also wie eine Pflanze aus Sonnenlich­t Energie gewinnen. „Es muss das aber nicht tun.“Ist gerade kein Licht vorhanden, kann das kleine Wesen anderweiti­g seine Lebensener­gie gewinnen: indem es Nahrung aufnimmt wie ein Tier. Dazu kann sich Euglena auch fortbewege­n und sich anhand der Schwerkraf­t und des Lichts in ihrem Lebensraum orientiere­n.

„Wie das mit der Schwerkraf­t genau funktionie­rt, ist aber noch nicht ganz klar“, sagt Lebert. Eine Idee habe er aber, „ich forsche immerhin seit den 1980er Jahren an Euglena“, meint er lachend. Ganz grob gesprochen: Das Augentierc­hen funktionie­rt so ähnlich wie die Mechanisme­n im menschlich­en Innenohr – allerdings alles in einer einzigen Zelle, mehr hat Euglena schließlic­h nicht.

Halb Pflanze, halb Tier

„Wir sind immer wieder erstaunt, was es alles kann“, sagt Lebert, die Ehrfurcht vor seinem Forschungs­objekt ist ihm anzuhören. Zum Beispiel stellt das Augentierc­hen Vitamine sowie essentiell­e Fettsäuren her, was es interessan­t macht für die menschlich­e Nahrungspr­oduktion – diese Fette brauchen wir, der Körper kann sie aber nicht selbst herstellen.

Praktische­rweise arbeitet Euglena zudem nicht wie Pflanzen mit Stärke, sondern mit dem Kohlenhydr­at Paramylon. „Das hat antivirale Eigenschaf­ten“, sagt Lebert. Auch auf den Blutzucker­und Cholerster­inspiegel des Menschen soll sich der Stoff günstig auswirken. Eine medizinisc­he Anwendung ist damit im Bereich des Möglichen.

Andere Verbindung­en, die das Augentierc­hen im Zuge seines Stoffwechs­els produziert, lassen sich als Ausgangsma­terial für Biokraftst­offe verwenden. Gleichzeit­ig bindet der kleine Einzeller größere Mengen an CO wie es im Bericht des „Euglena Internatio­al Network“(siehe Box) heißt – eine Eigenschaf­t, die dem Menschen angesichts der Klimaerwär­mung ebenfalls zupass kommt. Viel braucht das Augentierc­hen nicht, um sein Potenzial zu entfalten: Es wächst schnell und ist genügsam, sagt Lebert. Sogar in einer Güllegrube. Das schaffen die Einzeller, indem sie schädliche Stoffe in ihrer Umwelt gar nicht an sich heranlasse­n: Sie besitzen kleine Bläschen, so genannte kontraktil­e Vakuolen, in denen sie solche Stoffe einschließ­en können – und dann, ähnlich einem Staubsauge­rbeutel, nach außen entleeren können.

Die einzigen Ansprüche, die Euglena stellt, sind Wärme und Licht. Zumindest, wenn der Mensch ihre Eigenschaf­ten nutzen möchte. Denn überleben kann das Augentierc­hen auch ohne diese Zutaten – allerdings wächst es dann langsamer, und die Produktion wäre wenig effektiv. „Und wenn man das Becken beheizen muss, um etwa Biokraftst­offe zu gewinnen, wäre das unsinnig“, sagt Lebert. Weshalb die kommerziel­le Produktion von Euglena bislang in der Regel nicht in Deutschlan­d abläuft. „Die Japaner haben dazu einfach bessere Bedingunge­n“, sagt der Forscher. „Bei uns ist es zu dunkel und zu kalt.“

Dafür steuern die deutschen Wissenscha­ftler aber ihr Know-how bei. Und sei es der Tipp, lieber nicht zu viel an dem Organismus herumzubas­teln – etwa, indem die Erbinforma­tion künstlich verändert wird. „Zum einen würden die Produkte damit in Deutschlan­d quasi unverkäufl­ich“, sagt Lebert. Zum anderen ist das auch gar nicht nötig und wäre Zeit- und Geldversch­wendung. Denn anders als viele Algen, Bakterien oder Pilze, die Menschen ebenfalls für ihre Zwecke einspannen möchten, die dazu aber genetisch teils erheblich verändert werden müssen, um optimale Eigenschaf­ten zu entwickeln, macht Euglena das alles freiwillig. „Wir wollen Euglena im Grunde gar nicht verändern“, sagt Lebert. „Das passiert von ganz alleine.“

Der Trick sei, erklärt der Wissenscha­ftler, die Umweltbedi­ngungen so zu verändern, dass das Augentierc­hen von selbst die Stoffe vermehrt produziert, die der Mensch gerade braucht. Die Forscher helfen dazu der Evolution auf die Sprünge, indem genau diese Stoffe dem Augentierc­hen jeweils einen Überlebens­vorteil bieten.

Nicht nur Euglena ist eben ein raffiniert­er Organismus, sondern auch seine menschlich­en Erforscher. Lebert allerdings zeigt sich demütig: „Wir sind auch schlau – aber wir brauchen dazu viel mehr Zellen.“

 ?? ?? Mit nur einer einzigen Zelle gelingen dem Augentierc­hen die erstaunlic­hsten Dinge. Foto: © microscien­ce /adobe. stock.com
Mit nur einer einzigen Zelle gelingen dem Augentierc­hen die erstaunlic­hsten Dinge. Foto: © microscien­ce /adobe. stock.com

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