Wenn Rechte Recht sprechen
Schöffen haben in Gerichtsprozessen großen Einfluss – das wissen auch Rechtsextreme. Sie versuchen zunehmend, das Ehrenamt zu unterwandern.
Gitta Kritzmöller ist Pädagogin, unterrichtet Mathematik und Physik. In ihrer Freizeit demonstriert sie mit anderen Rechtsextremisten beim Dresdner „Gedenkmarsch“, meldet verschwörungsideologische Aufmärsche an und trifft auf Menschen wie Björn Höcke (AFD) oder den Pegida-gründer Lutz Bachmann. An anderen Tagen fährt sie zu Netzwerktreffen der NPD. Und: Sie ist Schöffin am Erfurter Landgericht.
Zuletzt saß sie bei einem Verfahren gegen drei Schleuser auf der Richterbank. Nachdem ihre rechtsextremen Umtriebe bekannt wurden, wurde der Prozess gestoppt und Gitta Kritzmöller für befangen erklärt. Aktuell läuft eine Prüfung des Thüringer Oberlandesgerichts. Jedoch: „Für die Entbindung eines gewählten Schöffen gibt es gewisse rechtliche Hürden. Die sind an sich richtig, damit ein Richter bei Meinungsverschiedenheiten mit den Schöffen diese nicht einfach absetzen kann“, erklärt Heike Schmidt, Beauftrage für politische Kontakte des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e.v.
Das Amt bedeutet Macht
Welche Macht Schöffen haben, ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Dabei sind sie vertreten in Amtsgerichten, Landgerichten, Jugendstrafkammern und selbst in Schwurgerichten, die Straftaten gegen das Leben verhandeln. Sind sich zwei Schöffen einig, können sie die Urteilsvorstellungen des Berufsrichters überstimmen. Denn die Stimme eines Schöffen ist der des Richters gleichgestellt.
Der Grundgesetz-artikel 20 gibt den Laienrichtern Einfluss in der Rechtsprechung. Aber mit keinem anderen Amt haben einfache Bürger die Möglichkeit, auf Urteile vor Gericht so großen Einfluss zu nehmen. Das wird zum Problem, wenn rechtsextreme Schöffen auf der Richterbank Platz nehmen. „Die möchten dann aktiv an der Rechtsprechung teilnehmen und auf diesem Weg ihre politische Überzeugung mit in den Gerichtsprozess einbringen“, sagt Heike Schmidt. Eine solche Einflussnahme wäre natürlich auch durch die extreme Linke möglich. Jedoch gibt es bislang keine Anzeichen von Unterwanderungstendenzen aus dieser Richtung.
Damit Gleichgesinnte Laienrichter werden, rufen hingegen immer wieder Reichsbürger, Querdenker und rechtsextreme Parteien zur Bewerbung auf. Die NPD stellte vor fünf Jahren einen Aufruf auf ihre Homepage. Dieses Jahr thematisiert der Npdaktivist Sebastian Schmidtke auf seinem Youtube-kanal, im Gespräch mit der Szeneanwältin Nicole
Schneiders, das Schöffenthema. Es wird dort als „wichtiges Ehrenamt und Dienst für die Allgemeinheit“beworben.
Die AFD greift auf Social Media zurück und lässt Einzelpersonen und Landesverbände werben. Eindeutiger verhält es sich mit der Kleinstpartei Freie Sachsen: „Sie erklären, warum die Bewerbung wichtig ist und das eindeutig aus einer politischen Motivation heraus. Da geht es um Einflussnahme“, sagt Schmidt. Auf Telegram schreibt die Partei: „Es ist eine Möglichkeit, die Justiz zu korrigieren: Mitzuentscheiden, dass ein kriminalisierter Spaziergänger beispielsweise keine drakonische Strafe kriegt. Zu verhindern, dass ein Kinderschänder lachend den Gerichtssaal verlässt. Oder den grünen Richter zu überstimmen, der bei Neubürgern wieder einmal kulturellen Strafrabatt geben will.“
In gut einem Dutzend Fällen wurden in der Vergangenheit Schöffen entlassen, die sich verfassungsfeindlich äußerten oder aktiv waren. Wie etwa Oliver Hilburger, ehemaliger Gitarrist und
Gründungsmitglied der Rechtsrockband „Noie Werte“. In der Begründung stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass die Pflicht zur Verfassungstreue auch für Schöffen gelte – und nicht allein für Berufsrichter, deren Verfassungstreue bereits gesetzlich verbrieft ist. Doch das ist unscharf geregelt.
Das Justizministerium plant deshalb eine Gesetzesreform, die auch Schöffen zur Verfassungstreue verpflichtet. Ziel ist, dass „niemand mehr zu ehrenamtlichen Richterin oder zum ehrenamtlichen Richter berufen werden darf, wenn Zweifel daran bestehen, dass die Person jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt“, erklärt das Ministerium.
Einen Schwur auf die deutsche Verfassung müssen Schöffen bei Amtsantritt bereits leisten. Das hat sich in der Praxis als nicht ausreichend erwiesen. Die Deutsche Justizgewerkschaft kritisiert, dass das Gesetzesvorhaben nicht konkret genug ausführe, wie in Zukunft über die Eignung eines Schöffen entschieden wird.
Überprüfung problematisch
Ungeklärt bleibt auch, wer die Verfassungstreue kontrolliert. „Die Kommunen sind mit der Überprüfung der Schöffen zum Teil überfordert. Es würde nur funktionieren, wenn die Mitarbeiter Kenntnisse hätten über rechtsextreme Betätigungen von Personen, die sich bewerben“, sagt Heike Schmidt. Zustimmung kommt vom Deutschen Landkreistag: Die Kommunen hätten gar nicht das Recht, ausführliche Informationen über die Bewerber einzuholen. Es sei auch nicht ihre Aufgabe, deren Verfassungstreue zu überprüfen.