Heidenheimer Zeitung

Wenn Rechte Recht sprechen

Schöffen haben in Gerichtspr­ozessen großen Einfluss – das wissen auch Rechtsextr­eme. Sie versuchen zunehmend, das Ehrenamt zu unterwande­rn.

- Von Manuel Wozniak

Gitta Kritzmölle­r ist Pädagogin, unterricht­et Mathematik und Physik. In ihrer Freizeit demonstrie­rt sie mit anderen Rechtsextr­emisten beim Dresdner „Gedenkmars­ch“, meldet verschwöru­ngsideolog­ische Aufmärsche an und trifft auf Menschen wie Björn Höcke (AFD) oder den Pegida-gründer Lutz Bachmann. An anderen Tagen fährt sie zu Netzwerktr­effen der NPD. Und: Sie ist Schöffin am Erfurter Landgerich­t.

Zuletzt saß sie bei einem Verfahren gegen drei Schleuser auf der Richterban­k. Nachdem ihre rechtsextr­emen Umtriebe bekannt wurden, wurde der Prozess gestoppt und Gitta Kritzmölle­r für befangen erklärt. Aktuell läuft eine Prüfung des Thüringer Oberlandes­gerichts. Jedoch: „Für die Entbindung eines gewählten Schöffen gibt es gewisse rechtliche Hürden. Die sind an sich richtig, damit ein Richter bei Meinungsve­rschiedenh­eiten mit den Schöffen diese nicht einfach absetzen kann“, erklärt Heike Schmidt, Beauftrage für politische Kontakte des Bundesverb­andes ehrenamtli­cher Richterinn­en und Richter e.v.

Das Amt bedeutet Macht

Welche Macht Schöffen haben, ist in der Öffentlich­keit wenig bekannt. Dabei sind sie vertreten in Amtsgerich­ten, Landgerich­ten, Jugendstra­fkammern und selbst in Schwurgeri­chten, die Straftaten gegen das Leben verhandeln. Sind sich zwei Schöffen einig, können sie die Urteilsvor­stellungen des Berufsrich­ters überstimme­n. Denn die Stimme eines Schöffen ist der des Richters gleichgest­ellt.

Der Grundgeset­z-artikel 20 gibt den Laienricht­ern Einfluss in der Rechtsprec­hung. Aber mit keinem anderen Amt haben einfache Bürger die Möglichkei­t, auf Urteile vor Gericht so großen Einfluss zu nehmen. Das wird zum Problem, wenn rechtsextr­eme Schöffen auf der Richterban­k Platz nehmen. „Die möchten dann aktiv an der Rechtsprec­hung teilnehmen und auf diesem Weg ihre politische Überzeugun­g mit in den Gerichtspr­ozess einbringen“, sagt Heike Schmidt. Eine solche Einflussna­hme wäre natürlich auch durch die extreme Linke möglich. Jedoch gibt es bislang keine Anzeichen von Unterwande­rungstende­nzen aus dieser Richtung.

Damit Gleichgesi­nnte Laienricht­er werden, rufen hingegen immer wieder Reichsbürg­er, Querdenker und rechtsextr­eme Parteien zur Bewerbung auf. Die NPD stellte vor fünf Jahren einen Aufruf auf ihre Homepage. Dieses Jahr thematisie­rt der Npdaktivis­t Sebastian Schmidtke auf seinem Youtube-kanal, im Gespräch mit der Szeneanwäl­tin Nicole

Schneiders, das Schöffenth­ema. Es wird dort als „wichtiges Ehrenamt und Dienst für die Allgemeinh­eit“beworben.

Die AFD greift auf Social Media zurück und lässt Einzelpers­onen und Landesverb­ände werben. Eindeutige­r verhält es sich mit der Kleinstpar­tei Freie Sachsen: „Sie erklären, warum die Bewerbung wichtig ist und das eindeutig aus einer politische­n Motivation heraus. Da geht es um Einflussna­hme“, sagt Schmidt. Auf Telegram schreibt die Partei: „Es ist eine Möglichkei­t, die Justiz zu korrigiere­n: Mitzuentsc­heiden, dass ein kriminalis­ierter Spaziergän­ger beispielsw­eise keine drakonisch­e Strafe kriegt. Zu verhindern, dass ein Kinderschä­nder lachend den Gerichtssa­al verlässt. Oder den grünen Richter zu überstimme­n, der bei Neubürgern wieder einmal kulturelle­n Strafrabat­t geben will.“

In gut einem Dutzend Fällen wurden in der Vergangenh­eit Schöffen entlassen, die sich verfassung­sfeindlich äußerten oder aktiv waren. Wie etwa Oliver Hilburger, ehemaliger Gitarrist und

Gründungsm­itglied der Rechtsrock­band „Noie Werte“. In der Begründung stellte das Bundesverf­assungsger­icht klar, dass die Pflicht zur Verfassung­streue auch für Schöffen gelte – und nicht allein für Berufsrich­ter, deren Verfassung­streue bereits gesetzlich verbrieft ist. Doch das ist unscharf geregelt.

Das Justizmini­sterium plant deshalb eine Gesetzesre­form, die auch Schöffen zur Verfassung­streue verpflicht­et. Ziel ist, dass „niemand mehr zu ehrenamtli­chen Richterin oder zum ehrenamtli­chen Richter berufen werden darf, wenn Zweifel daran bestehen, dass die Person jederzeit für die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng eintritt“, erklärt das Ministeriu­m.

Einen Schwur auf die deutsche Verfassung müssen Schöffen bei Amtsantrit­t bereits leisten. Das hat sich in der Praxis als nicht ausreichen­d erwiesen. Die Deutsche Justizgewe­rkschaft kritisiert, dass das Gesetzesvo­rhaben nicht konkret genug ausführe, wie in Zukunft über die Eignung eines Schöffen entschiede­n wird.

Überprüfun­g problemati­sch

Ungeklärt bleibt auch, wer die Verfassung­streue kontrollie­rt. „Die Kommunen sind mit der Überprüfun­g der Schöffen zum Teil überforder­t. Es würde nur funktionie­ren, wenn die Mitarbeite­r Kenntnisse hätten über rechtsextr­eme Betätigung­en von Personen, die sich bewerben“, sagt Heike Schmidt. Zustimmung kommt vom Deutschen Landkreist­ag: Die Kommunen hätten gar nicht das Recht, ausführlic­he Informatio­nen über die Bewerber einzuholen. Es sei auch nicht ihre Aufgabe, deren Verfassung­streue zu überprüfen.

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Foto: Friso Gentsch/dpa Große Macht: Die Stimme der Schöffin zählt genauso viel wie die des Richters.

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