Mehr Sicherheit, mehr Radverkehr
Halten Autofahrer den Mindestabstand ein, wenn sie Radler überholen? Eine mehrwöchige Messung unter anderem in Königsbronn und Herbrechtingen hat bemerkenswerte Ergebnisse erbracht.
Die Einen wissen es womöglich nicht, die Anderen ignorieren es wohl: Seit ihrer jüngsten Novelle schreibt die Straßenverkehrsordnung vor, dass innerorts beim Überholen von Fahrrädern eineinhalb Meter Sicherheitsabstand eingehalten werden müssen. Außerorts sind es sogar zwei Meter. Um herauszufinden, wie viele Kraftfahrzeuge sich daranhalten, wurde ein landesweites Projekt initiiert, an dem sich auch der Heidenheimer Kreisverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-clubs (ADFC) beteiligte.
Etwa die Hälfte ignoriert Regel
Vom 19. Mai bis 15. Juli 2022 saßen zwölf Testpersonen gut 2200 Kilometer im Fahrradsattel und sammelten an vielen Stellen im Landkreis Heidenheim mithilfe eines Open Bike Sensor (OBS) genannten Gerätes Daten. Adfcmitglied Helmut Keller, der das Projekt leitete, hatte zwar ein schlimmeres Ergebnis erwartet, trotzdem ist die Realität besorgniserregend: Gut die Hälfte der Pkw und Lkw komme den Radlerinnen und Radlern beim Überholen zu nahe.
Das trifft auch auf Kellers Heimatgemeinde Königsbronn mit den Teilorten Itzelberg, Ochsenberg und Zang zu, wo mit 812 von insgesamt 2198 Überholvorgängen am meisten gemessen wurde – insbesondere auf der B 19 innerorts in beiden Fahrtrichtungen. Von 476 Verkehrsteilnehmern hielt sich nur etwa die Hälfte an den Mindestabstand. Ein höheres Risiko gehen Fahrradfahrer offenbar außerorts auf der Kreisstraße zwischen Itzelberg und Ochsenberg und auf der Verbindungsstraße zwischen Königsbronn und der Waldsiedlung ein, die im Volksmund „Hoppeleshalde“bezeichnet wird. Die Schwierigkeit: die Strecke führt bergauf und ist bisweilen unübersichtlich. Sowohl Richtung Ochsenberg als auch Richtung Waldsiedlung überholten an die 90 Prozent der Verkehrsteilnehmer mit einem geringeren Abstand als die gesetzlichen zwei Meter. Richtung Ochsenberg beträgt der Mittelwert von 33 Messungen 1,74 Meter;
Richtung Waldsiedlung liegt der Mittelwert von 69 Messungen sogar bei nur 1,33 Meter.
Kritik an Radschutzstreifen
Im letztgenannten Fall sieht Keller einen direkten Zusammenhang mit dem Radschutzstreifen, der dort im Jahr 2020 in einem Modellversuch
des Landes Baden-württemberg und der Arbeitsgemeinschaft Fahrrad- und Fußgängerfreundlicher Kommunen (AGFK
BW) angebracht wurde. Dieser Streifen soll den Radverkehr für Autofahrer in Form von weißen, gestrichelten Linien sichtbar machen. Doch der Erfahrung von Keller und des ADFC nach suggeriert dieser lediglich Sicherheit, er bewirkt aber nicht, dass beim Überholen ein größerer Bogen um die Radler gemacht wird.
Dass das Land Ende Januar den Kommunen ermöglicht hat, Radschutzstreifen außerorts als Übergangslösung umzusetzen, bis ein separater Radweg gebaut ist, kommt beim ADFC nicht gut an. Der Club fordert eine genaue Definition der Übergangslösung und eine damit verbundene Frist. Darüber hinaus plädiert er dafür, dass solche Streifen mit einem Tempolimit einhergehen, nicht auf unübersichtlichen Strecken entstehen und nur Piktogramme und keine weißen Linien aufgemalt werden sollten.
In und um Herbrechtingen
Abstand gemessen wurde auch in Herbrechtingen und Bolheim, allerdings nicht von einem Mitglied des ADFC. Laut Keller ist ein Externer
die beiden Ortsdurchfahrten entlanggefahren. Herausgekommen sei jedoch keine aussagekräftige Datenbasis, da man nicht nachvollziehen könne, zu welchen Uhrzeiten der Abstand ermittelt wurde. Der Vollständigkeit halber sollen die Zahlen an dieser Stelle trotzdem Niederschlag finden: Auf der Strecke Lange Straße und Mergelstetter Straße nordwärts haben ausgehend von 35 Messungen etwa drei Viertel der Autos mit einem Abstand von weniger als 1,50 Meter überholt, durchschnittlich mit 1,26 Meter. In der Gegenrichtung war es sogar noch gefährlicher für den Radler: Bei circa 80 Prozent der 52 Überholvorgänge wurde der Mindestabstand nicht eingehalten. Im Mittel ließen die Pkw nur 1,11 Meter zwischen sich und dem Fahrrad.
Fahrradfreundlicher scheint es in Bolheim in der Herbrechtinger Straße, Zoeppritzstraße und Heidenheimer Straße zuzugehen, wo etwa zwei Drittel der Autofahrer korrekt überholt haben, im Durchschnitt sogar mit knapp 1,60 Meter. Allerdings wurde der
Sensor auf dieser Route nur 30 Mal betätigt.
Eigene Sensoren bauen
Bald sollen verlässliche Daten aus jenen und weiteren Orten vorliegen. Denn der ADFC Heidenheim will noch dieses Jahr eigene Sensoren herstellen, mit denen er über einen längeren Zeitraum an kritisch bewerteten Stellen gezielt Messungen vornehmen kann. „Man kann die Geräte nirgendwo kaufen, sondern muss sie selbst zusammenbauen.“2022 kamen zehn OBS zum Einsatz, die der Landesverband des ADFC zur Verfügung gestellt hatte.
Ziel sei nicht, so Keller, die Verkehrsteilnehmer anzuzeigen, die gegen den Mindestabstand verstoßen, sondern bei ihnen, den Kommunen, der Politik und der Polizei Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Nur mit mehr Sicherheit, generiert man mehr Radverkehr. Von einer Gleichberechtigung im Straßenverkehr sind wir nämlich noch weit entfernt.“