Digital, flexibel, aktuell
Fünf Hallen voller Innovationen: In Stuttgart hat Europas größte Bildungsmesse „Didacta“begonnen. Eindrücke vom Eröffnungstag.
Wir wollen einfach schauen, was es Neues gibt“, sagt Marion Grein. Die Wissenschaftlerin, die an der Universität Mainz Lehramtsstudenten ausbildet, sitzt am Dienstag um die Mittagszeit mit zwei Kolleginnen in Halle Drei der Stuttgarter Messe und legt eine Pause ein. Vor einer guten Stunde seien sie angekommen, erzählt sie mit einem Brötchen in der Hand, und wollten noch vieles anschauen, vor allem zu ihrem Kernbereich Deutsch als Fremdsprache. Die ersten Eindrücke seien „sehr angenehm“, nach ihrer Wahrnehmung herrsche „nicht so viel Gedränge“wie bei der letzten Bildungsmesse, die sie vor der Pandemie besucht habe.
Die Mainzerinnen sind drei von nach Veranstalterangaben rund 6000 Besuchern, die allein am Eröffnungsvormittag auf die Didacta geströmt sind. Mehr als 60 000 Menschen erwarten die Macher der größten Bildungsmesse Europas bis 11. März. 2020 fiel die Veranstaltung wegen der Pandemie aus, 2021 fand sie nur als Online-version statt. Nach der Schau im vergangenen Sommer in Köln ist es die erste Didacta in Stuttgart, die wieder in Präsenz stattfindet.
Die ganze Bandbreite
Rund 730 Aussteller aus 62 Staaten haben ihre Stände in fünf der Hallen am Flughafen aufgebaut und konkurrieren um die Aufmerksamkeit des Publikums. Gut 1300 Programmpunkte sind angekündigt, zehn Sonderschauen, dazu Podiumsdiskussionen, Vorträge
und Seminare zur ganzen Bandbreite des Themas: vom Kita-bereich über allgemeinbildende Schulen bis zur beruflichen Bildung.
„Die erste Resonanz ist großartig, die Stimmung bei den Ausstellern super“, sagt Theodor Niehaus, Präsident des Branchenverbands Didacta, der die Schau ausrichtet. Ein paar Meter weiter berichtet die Schirmherrin der Messe, Südwest-kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), gerade vor Publikum vom Stand der Schulpolitik. Währenddessen hat Niehaus sich mit einem Cappuccino
in einem Büro am Stand des Veranstalters niedergelassen.
Der Bildungsbereich werde in Deutschland weit unter Wert verhandelt, findet er. Fachkräftemangel, ewige politische Debatten, bürokratisches Klein-klein – das präge das Bild. „Wieso besucht Bundeskanzler Scholz nicht mal eine Schule? Das wäre ein starkes Signal!“, sagt Niehaus. „Die wichtigste Ressource unseres Landes ist Bildung.“Rund 130 Milliarden Euro im Jahr erwirtschafte die deutsche Bildungswirtschaft. „Das ist so viel wie der Tourismus, aber wir haben nicht denselben Stellenwert.“
Digitalisierung, Fachkräftemangel, psychische Gesundheit und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind die gesetzten Schwerpunktthemen der Didacta. Vor allem Innovationen im Bereich Digitalisierung prägen das Bild an den Ständen. Etliche Apps, Plattformen und Programme werden vorgestellt.
Andreas Haag – Turnschuhe, Jeans, Pullover – steht am Stand von „Klett“. Der Lehrbuchverlag kooperiert mit Haags hessischem Startup „Digi Sapiens“und bietet ab Sommer den „Lautlesetutor“an.
Die auf Künstlicher Intelligenz basierende Software soll helfen, rapide sinkende Lesefertigkeiten von Kindern zu verbessern und zugleich Lehrer entlasten. „Nicht alle Lehrkräfte können jedem Kind jede Woche zehn Minuten beim Lautlesen zuhören“, sagt Haag. Das aber wäre eigentlich nötig, angesichts von Studien, denen zufolge 20 Prozent aller Jugendlichen selbst einfache Texte nicht sinnerfassend lesen können.
Seine Lese-plattform rege Schüler spielerisch zum Lesen an, Lehrer bekämen „valide und objektive Rückmeldungen“. Alles sei Datenschutz-konform, die Technik leicht bedienbar. Noch wird das System laut Klett getestet, ab dem neuen Schuljahr könnten Schulen oder deren Träger Lizenzen erwerben.
Einige Hallen weiter zeigt Dierk Suhr eine „Weltneuheit“, den jüngsten Stolz der Firma Hohenloher. Am Stand des traditionsreichen Schulmöbel-herstellers hat, wie beim Messe-nachbarn und Langzeit-konkurrenten „VS“auch, fast alles Räder: Stühle, Tische – und eben der „Medienbuddy“, ein mobiles Gerät, das Strom-, W-lan-, USB- und Gasanschlüsse überallhin bringt.
„Es geht um konsequente Flexibilisierung“, sagt Suhr. Noch seien die meisten Schulen „Flurschulen“– mit 70 Quadratmeterräumen für 30 Schüler, frontal zur Tafel ausgerichteten Tischen und Stühlen, dazu speziell ausgestattete Fachräume, etwa für Naturwissenschaften. Doch dieses Raumkonzept passe nicht zur heutigen, auf individuelle Förderung ausgerichteten Didaktik und Pädagogik, weshalb Schulen heute anders gebaut würden.
Rund 7000 Euro koste der „Buddy“, von dem es bisher nur Prototypen gebe. „Weniger als ein fest installierter Fachraum“, sagt Suhr. Und: Er könne in der aktuelle Phase, in der viele Schulen saniert werden und Unterricht teils über Jahre in Ersatzräume oder Container ausweichen müsse, auch einfach mitgenommen werden.
Nicht alle Lehrer können jedem Kind jede Woche zehn Minuten beim Lautlesen zuhören. Andreas Haag Entwickler einer Lautlese-software