Herrn Schneiders Gespür fürs Sägen
Thomas Schneider aus Burgberg tritt im April bei der Waldarbeiter-weltmeisterschaft in Estland an. Der 27-Jährige ist amtierender Juniorenweltmeister und hat bei den Profis gute Titelchancen.
Es gibt wenige Menschen, die sich in ihrer Freizeit Gedanken über die Beschaffenheit estnischer Nadelbäume machen. Thomas Schneider aus Burgberg ist einer davon. Der 27-Jährige will im April in Tartu, der zweitgrößten Stadt Estlands, Weltmeister der Waldarbeiter werden.
Die 34. Waldarbeitsmeisterschaft vom 19. bis 23. April wird für Schneider die dritte sein. 2016 in Polen und 2018 in Norwegen war er als U24-junior Teil der Nationalmannschaft. In Lillehammer wurde er Juniorenweltmeister. 2019 wurde Schneider dann als Profi ins Team berufen, 2020 sollte er zusammen mit den „alten Hasen“aus Bayern, Marco Trabert und Uli Huber, bei der WM in Belgrad antreten. Dann kam Corona, die WM wurde auf 2022 vertagt. Nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs war die politische Ausrichtung der serbischen Regierung dem Wm-komitee nicht mehr geheuer. Man verlegte die Weltmeisterschaft einmal mehr, nun nach Estland.
Kettenwechsel binnen Sekunden
Schneider ist keiner, der mit seinem Können oder seinen Chancen prahlen würde. Angesprochen auf ein Facebook-video, auf dem er in knapp über sieben Sekunden die Kette an einer Motorsäge wechselt, lächelt er kurz und bietet an, er können auch ein Video schicken, auf dem er noch etwas schneller war. Wohlgemerkt: Der aktuelle Weltrekord des Norwegers Ole Harald Løvenskiold Kveseth liegt bei 8,36 Sekunden, normale Nutzer haben in dieser Zeit mit etwas Glück die beiden Schrauben am Gehäuse geöffnet, und dann folgen die wirklich kniffligen Handgriffe. Um als Weltmeister zu gelten, muss Schneider solche Leistungen allerdings
im Trubel eines Wettkampfs abrufen.
Die Waldarbeiter-wm ist ein Profi-wettbewerb und hat nur bedingt mit den stark auf Showelemente ausgelegten Timbersports-events zu tun. Alle Disziplinen, denen sich Schneider und seine Mitbewerber stellen müssen, entspringen der täglichen Arbeit von Forstwirten: Bäume fällen, Äste sauber abtrennen, präzise Schnitte führen – und dann und wann die Kette wechseln.
Anfang Februar traf sich die Nationalmannschaft der Holzfäller zum ersten Kadertraining des Jahres in Ochsenberg. Dort liegt gewissermaßen ihr Bundesleistungszentrum, das freilich im Vergleich zu den Repräsentationsbauten anderer Sportarten denkbar bescheiden ausfällt. Den Forstprofis genügt eine Hütte tief im Wald. Der Ort ist kein Zufall: der deutsche Trägerverein hat hoch überm Brenztal seinen Sitz, die beiden Teamchefs Markus Wick und Wolfgang Junglas kommen aus Gerstetten.
An diesem Tag simulieren sie einen Wettbewerbsdurchgang. Sie haben dicke, lange Fichtenstämme in Bodenhülsen gesteckt, ähnlich wie Maibäume. In 15 Metern Entfernung stehen rot angesprühte
Zielpfosten. Die wollen sie mit den viele Zentner schweren Bäumen treffen.
Alle vier Teammitglieder, mit dabei ist als Junioren-teilnehmer noch Ricardo Michalik aus Brandenburg,
verfehlen das Ziel nur um Zentimeter, was angesichts leichter Windböen schon eine Glanzleistung ist. Die Männer sehen das anders: „Die ersten Bäume im Jahr sind immer scheiße“, knurrt Uli Huber. Richtig zufrieden sind sie nur, wenn sie den Zielpflock in den Boden gerammt haben.
Schneider hat gute Titelchancen
Den sonst üblichen Zweijahresrhythmus haben diese Leistungssäger im Blut. Zwischen den Weltmeisterschaften gibt es eine feste Abfolge von Landes- und Deutschen Meisterschaften, scharfe Wettbewerbe, bei denen sie auch sehen, wo sie die letzten paar Prozent für den Wettkampf auf globaler Ebene herauskitzeln können. Jetzt ist alles anders, 2020 und 2021 fielen die Wettkämpfe aus, die WM ist im Frühjahr statt im Spätsommer, dafür ist die nächste WM schon 2024, Austragungsort noch unklar. Im Sommer, kurz nach den Deutschen Meisterschaften, werden sie den neuen Kader bestimmen. Schneider ist der jüngste unter den Profis, auf ihm ruhen viele Hoffnungen.
„Es ist schwierig, allein zu trainieren“, sagt Schneider über die vergangenen Jahre. Tagsüber greift er als Forstwirt bei der Firma Biber-team zwar oft zur Säge, aber das Trainieren im Team fehlte. Wenn er am Wochenende auf den Übungsplatz fuhr, kam seine Freundin mit, filmte ihn, damit er seine Trainingsschnitte kontrollieren konnte.
Nach Estland wird das deutsche Team einmal mehr als Favorit fahren. Bei den letzten beiden WMS mussten sie sich nur knapp mit dem zweiten Platz in der Teamwertung geschlagen geben, 2014 waren sie bei der WM in der Schweiz zuletzt ganz oben auf dem Siegertreppchen gelandet. In den Einzelwertungen haben sich die Profis ohnehin die Medaillen wie reife Kirschen von den Bäumen gepflückt.
Favoriten fehlen
Schlecht sind ihre Chancen nicht. Die Wettkämpfer aus Russland und die Favoriten aus Belarus sind wegen des Krieges nicht dabei. Die Kollegen aus der Ukraine hätten sich mit dem traurig stimmenden Satz „Wir greifen nicht zur Säge, wir greifen zu den Waffen“abgemeldet.
Vor allem aber werden auch Freunde fehlen. „Politik war unter den Wettkämpfern nie ein Thema“, erzählt der Burgberger. Im Vordergrund habe immer der Reiz daran gestanden, sich tagsüber gegenseitig zu messen und abends zusammen zu feiern. Die Teams aus Deutschland, Österreich und Italien werden gemeinsam nach Estland reisen.
Und die Bäume in Estland? „Die Nadelbäume dort sind dünner, das Holz härter“, sagt Schneider voraus. Das Klima im Baltikum sorge für langsameres Wachstum. Darauf müssen sie sich einstellen.
Härteres Holz bremst die Säge womöglich um wichtige Hundertstelsekunden, das kalkulieren sie ein, damit sie am Ende in ihren schwarzrotgoldenen Nationaltrikots aufs Podest gerufen werden.