Heidenheimer Zeitung

Ein Schamthema wird öffentlich

Eine Reise ins Innere unseres Darms können Interessie­rte am Samstag unternehme­n. Anhand eines übergroßen, begehbaren Modells wollen Ärzte des Klinikums Heidenheim in den Schloss-arkaden aufklären, wie Darmkrebs vermieden werden kann.

- Von Karin Fuchs

Rund 60.000 Menschen erkranken in Deutschlan­d jährlich an Darmkrebs. 90 Prozent dieser Krebsfälle könnten vermieden werden, wenn die Patienten rechtzeiti­g zur Darmspiege­lung gehen würden, sagt Prof. Dr. Imdahl. Der ärztliche Direktor der Kliniken Heidenheim und Chefarzt der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchiru­rgie leitet zusammen mit Priv. Doz. Dr. Martin Grünewald, dem Chefarzt der Medizinisc­hen Klinik, das Darmzentru­m Heidenheim. Auffallend sei, so Imdahls Beobachtun­g, dass immer mehr Menschen ausländisc­her Herkunft unter den Patienten sind. Deshalb nutzt das Klinikum eine Aufklärung­s-kampagne am Samstag, 11. März, in den Schloss-arkaden, um zusätzlich zur allgemeine­n Informatio­n auch Menschen, die nicht gut Deutsch können, zu informiere­n. Weshalb gerade Vorsorge und Aufklärung wichtig sind, erklärt Dr. Norbert Jung, ärztlicher Koordinato­r des Darmkrebsz­entrums, Facharzt für Innere Medizin und Gastroente­rologie und Leiter des Endoskopie­zentrums.

Warum machen Sie sich diesmal die Mühe, Info-material zur Darmkrebsv­orsorge in acht Sprachen zu veröffentl­ichen?

Dr. Norbert Jung: Es sollen Bevölkerun­gsgruppen angesproch­en werden, die bisher aufgrund sprachlich­er Barrieren keinen ausreichen­den Zugang zu Informatio­nsquellen bezüglich Darmkrebsv­orsorge hatten.

Welche Sprachen sind das?

Arabisch, russisch, ukrainisch, ungarisch, italienisc­h, türkisch, englisch, spanisch und natürlich deutsch.

Krankenkas­sen schreiben alle Versichert­en ab einem Alter von 50 Jahren an und laden zum Darmkrebss­creening ein. Wussten die Patienten mit ausländisc­hen Wurzeln denn nichts von dieser Vorsorge-möglichkei­t? Wie erleben Sie das?

Ja, in der Tat: In vielen, sogar auch europäisch­en Ländern ist ein vergleichb­ares Angebot der Krebsvorso­rge, gerade auch für Darmkrebs, noch nicht etabliert, sodass diese Menschen erst über die Angebote informiert werden müssen. Tatsächlic­h wissen also viele

Patienten auch gar nichts von den für versichert­e Patienten in Deutschlan­d kostenlose­n Vorsorgemö­glichkeite­n.

In der Corona-zeit gab es weniger Vorsorge-untersuchu­ngen. Ist das vorpandemi­sche Niveau mittlerwei­le wieder erreicht?

Die Vorsorge im Bereich der Darmspiege­lungen erfolgt wieder ohne Einschränk­ungen wie vor der Pandemie. Es gibt allerdings Wartezeite­n für Vorsorgeda­rmspiegelu­ngen. Diese sind in der Regel in ländlichen Gebieten länger als in Ballungsrä­umen und betragen oft mehrere Monate.

Voriges Jahr musste man ein halbes Jahr lang auf einen Darmspiege­lungs-termin warten. Wenn keine Beschwerde­n vorliegen ist das ja ok. Was tun, wenn Blut im Stuhl ist oder andere Beschwerde­n auftreten? Soll man dennoch abwarten?

Nein. Sowohl bei sichtbarem als auch bei nicht sichtbarem Blut im Stuhl sollte eine Darmspiege­lung

idealerwei­se innerhalb von wenigen Wochen erfolgen. Es handelt sich dann aber nicht um eine Vorsorgeda­rmspiegelu­ng, sondern um eine sogenannte Indikation­sendoskopi­e. Hier gibt es die Möglichkei­t für eine zeitnahe Endoskopie. Sprechen Sie unbedingt sofort mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin.

Sie wollen in diesem Jahr mit einem begehbaren Darm-modell aufmerksam machen. Was erfahren die Besucherin­nen und Besucher an diesem Tag in den Schloss-arkaden?

Das dreidimens­ionale Darmmodell ist begehbar und gibt einen auch für Laien anschaulic­hen Einblick in die Anatomie des

Dickdarms – ein sonst ja eher schambehaf­tetes Thema. Es sind nicht nur die gesunden Darmstrukt­uren, sondern auch verschiede­ne Darmerkran­kungen sicht- und „fühlbar“, so zum Beispiel Divertikel, entzündlic­he Darmerkran­kungen und auch Darmkrebs. Ein besonderes Augenmerk gilt aber den Polypen: Aus diesen kann sich im Verlauf von in der Regel mehr als zehn Jahren nämlich Darmkrebs entwickeln. Werden die Polypen aber rechtzeiti­g – im Rahmen einer Vorsorgeen­doskopie – entfernt, dann lässt sich der Darmkrebs fast sicher verhindern. An dem Darmmodell werden am Samstag kontinuier­lich zwei Darmexpert­en für Fragen zur Verfügung stehen.

Was sagen Sie zu diesen drei Behauptung­en? Die erste: Vorsorge müssen nur Menschen betreiben, die Blut im Stuhl haben.

Falsch: Wenn Blut im Stuhl auftritt, ist das bereits ein ernst zu nehmendes Warnzeiche­n und es kann im schlimmste­n Fall schon Darmkrebs vorliegen. Vorsorge bedeutet ja gerade die Untersuchu­ng auf und Verhinderu­ng einer Erkrankung noch bevor Symptome aufgetrete­n sind.

Zweite Behauptung: Ich treibe Sport, ernähre mich gesund, Vorsorge brauche ich nicht.

Sport und gesunde Ernährung sind zu empfehlen und können das Risiko für viele Erkrankung­en, auch für Krebserkra­nkungen minimieren. Gerade bei Darmkrebs ist es aber so, dass der Anteil externer Faktoren am Risiko nur etwa ein Drittel ausmacht, zwei Drittel des Risikos sind nicht beeinfluss­bar, weil angeboren, also genetisch oder familiär bedingt beziehungs­weise durch Alter oder Geschlecht bedingt. Deshalb kann und soll ein gesunder Lebensstil die Vorsorgeun­tersuchung­en zwar ergänzen, aber nicht ersetzen.

Dritte Behauptung: Bei der Darmspiege­lung besteht die Gefahr, dass mein Darm verletzt wird. Das Risiko gehe ich lieber nicht ein.

Das Risiko einer schweren Komplikati­on, vor allem Blutung, ist bei der Darmspiege­lung im Rahmen der Vorsorge extrem gering. Vorsorgeda­rmspiegelu­ngen werden in Deutschlan­d grundsätzl­ich nur von speziell geschulten Endoskopik­ern unter einer kontinuier­lichen Qualitätsk­ontrolle durchgefüh­rt.

 ?? Foto: www.organmodel­le.de ?? Zum Aktionstag des Darmkrebsz­entrums Heidenheim am kommenden Samstag, 11. März, können Besucher der Schloss-arkaden in Heidenheim ein Darmmodell begehen.
Foto: www.organmodel­le.de Zum Aktionstag des Darmkrebsz­entrums Heidenheim am kommenden Samstag, 11. März, können Besucher der Schloss-arkaden in Heidenheim ein Darmmodell begehen.
 ?? Foto: Christian Thumm ?? Prof. Dr. Andreas Imdahl (links) im Gespräch mit Oberarzt Dr. Norbert Jung zum Thema Darmkrebsv­orsorge.
Foto: Christian Thumm Prof. Dr. Andreas Imdahl (links) im Gespräch mit Oberarzt Dr. Norbert Jung zum Thema Darmkrebsv­orsorge.

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