„Ich hoffe, dass uns die Kraft nicht ausgeht“
Vor gut einem Jahr hat Jürgen Vogt die Stelle des hauptamtlichen Kommandanten angetreten. Welchen Eindruck hat er seither gewonnen und welche Aufgaben warten auf ihn? Ein Gespräch über steigende Einsatzzahlen, über Büroarbeit als Feuerwehrmann und übers n
Eine solche Chance, sagt Jürgen Vogt rückblickend, bekommt man vielleicht nur einmal im Leben. Der hauptamtliche Giengener Feuerwehrkommandant habe deshalb seinen Hut in den Ring geworfen, als Giengen auf der Suche nach einer neuen Führung für die Feuerwehr war. „Gott sei Dank“, so sagt er es heute, habe er den Job bekommen.
Herr Vogt, durch die Stelle in Giengen konnten Sie aus dem Landkreis Böblingen zurück in die Heimat ziehen. Läuft hier alles so, wie Sie sich das vorgestellt haben? Jürgen Vogt:
Für mich bedeutet der Wechsel mehr Lebensqualität, weil ich wieder näher bei meinen Freunden und Verwandten bin. Vor allem während der Coronazeit war das in Herrenberg schwierig. Da war mein Stellvertreter für den Betrieb der Feuerwache zuständig und ich war die meiste Zeit, wie kaserniert, zu Hause im Homeoffice, weil ich dem Verwaltungsstab angehörte. Jetzt wohne ich in Giengen in einer Mietwohnung und suche noch die passende Immobilie.
Wie haben Sie Ihr erstes Jahr als Kommandant in Giengen erlebt?
Die Aufnahme hier war wirklich sehr gut. Ich fühle mich wohl und bereue den Schritt überhaupt nicht. Bei der Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat spürt man ein Wirgefühl. Das brauchen wir bei der Feuerwehr und das macht vieles leichter.
Sehr stressig wurde es im letzten Quartal 2022. Zusätzlich zum Bedarfsplan für die nächsten fünf Jahre, ist uns akut das ganze Thema Notfallplanung im Falle eines Energiemangels im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine vor die Füße gefallen. Da sind die Überstunden ziemlich nach oben geschossen.
Feuerwehrbedarfsplan klingt sperrig. Letztlich geht es darum, was für die Feuerwehr in den kommenden fünf Jahren wichtig ist. Welche Punkte sind das?
Mit über 240 Seiten war der Bedarfsplan eine Mammutaufgabe, aber wir haben das ganz gut hingekriegt. Für 2023/24 haben wir dadurch 16 Projekte, die zum normalen Geschäft wie Ausbildung und Übung dazukommen. Da geht es um neue Einsatzfahrzeuge, um den Digitalfunk oder um den Umbau der Einsatzzentrale in Giengen. Beispielsweise haben wir dort aktuell nur einen Funk-arbeitsplatz, das ist zu wenig.
Der Digitalfunk ist so eine Geschichte, von der öfter schon zu hören war. Verändert hat sich trotzdem nichts. Worum konkret geht es und wie realistisch ist der neuerliche Anlauf?
Der Digitalfunk ist von meinem Vorgänger Hans-frieder Eberhardt mal zum Unwort des Jahrzehnts erklärt worden (lacht).
Wenn man sich die Historie in Deutschland anschaut, war es mal zur Fußball-wm 2006 geplant, den Digitalfunk einzuführen. Das hat aber, warum auch immer, nicht funktioniert. Andere Bundesländer haben sich längst auf den Weg gemacht, in Bayern funkt man heute überall digital.
Die Integrierte Leitstelle in Aalen ist jetzt für den Digitalfunk ertüchtigt, die Feuerwehr Heidenheim ist ebenfalls fertig, und für Giengen möchte ich das auch, weil die Qualität des Analogfunks im Giengener Bereich nicht sonderlich gut ist.
Können Sie für einen Laien den Unterschied erklären?
Der große Unterschied ist der, dass der Digitalfunk in einem deutschlandweiten Netz für alle Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst auf einer anderen Frequenz betrieben wird. Beim analogen Funk gibt es kein zusammenhängendes Funknetz. Je Organisation und Funkverkehrskreis ist ein eigener Kanal mit begrenzter Reichweite vorhanden.
Übers Digitalfunknetz könnten wir in der Theorie also von hier bis Berlin funken. Ein weiterer Vorteil ist die bessere Sprechqualität und die abhörsichere Sprach- und Daten-übertragung durch Verschlüsselung. Bis es so weit ist, dass alle Wehren im Landkreis Digitalfunk haben, lässt man auch den Analogfunk in den Fahrzeugen drin.
Wie sieht der Alltag eines hauptamtlichen Kommandanten aus?
Dienstbeginn ist bei mir um 8 Uhr. Dann arbeite ich meine
Mails ab, habe eine Besprechung mit meinem hauptamtlichen Mitarbeiter und kümmere mich um Aufgaben, die in der Verwaltung, Gefahrenabwehrplanung, Technik, Aus- und Fortbildung und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit anfallen. Bei den Einsätzen ist es fest nach Alarm- und Ausrückeordnung geregelt, wann ich mitfahre. Wegen einer Ölspur oder einer Türöffnung fahre ich in der Regel nicht mehr raus. Bei einem Verkehrsunfall mit einer eingeklemmten Person oder einem Gebäudebrand schon.
In jungen Jahren haben Sie sich für eine Ausbildung zum Forstwirt entschieden. Es hat Sie rausgezogen, nehme ich an. Auch als Feuerwehrmann. Jetzt sitzen Sie meistens im Büro. Ist das nicht unbefriedigend?
Ich konnte mir das in jungen Jahren nicht vorstellen, überwiegend im Büro zu sitzen. Es stimmt, wir Feuerwehrler tun uns schwer mit Verwaltungsarbeit, weil wir eigentlich rausfahren und sofort mit der Arbeit anfangen. Bei der Verwaltung ist das ganz anders. Ich habe das über die Jahre lernen müssen, es gehört eben einfach dazu.
Schon bei Ihrem Amtsantritt haben Sie erklärt, dass der Papierkram immer mehr zunimmt. Das hört man überall – was konkret bedeutet es bei der Feuerwehr?
Schauen wir uns zum Beispiel eine Fahrzeugbeschaffung an. In den 80er-jahren hätte man sich drei Vergleichsangebote eingeholt und beim Gemeinderat die Zustimmung eingeholt. Heute ist das eine europaweite Ausschreibung. Im Vergleich zu früher
müssen wir heute auch unsere Geräte und die Ausrüstung viel öfter überprüfen. Schutzkleidung ist so ein Thema: Früher war es noch so, dass man umso mehr der Held war, je stärker das ganze Löschfahrzeug und das Feuerwehrhaus nach einem Brand gerochen hat. Aber gerade das ist, wie wir heute wissen, total falsch. Mittlerweile nehmen wir die Einsatzkräfte, die bei einem Brand im Innenangriff waren, schon draußen am Einsatzort aus der Schutzkleidung heraus und verpacken die schmutzige Kleidung in große, luftdichte Säcke, bevor sie in die Wäscherei kommt.
Wenn die Aufgaben immer mehr werden, braucht es künftig dann auch mehr hauptamtliche Mitarbeiter bei der Feuerwehr?
Es wird immer schwieriger, die Aufgaben im rückwärtigen Bereich durch das Ehrenamt zu leisten. Die meisten, die das hier in Giengen machen, haben auch in ihrem Job eine höhere Position und zudem eine Familie. Es ist schön, dass das hier noch funktioniert, aber es ist keine Selbstverständlichkeit. Der hauptamtliche Bereich wird deshalb immer mehr werden. Bevor wir aber in der Organisation etwas ändern, werden wir einen externen Berater beauftragen, der uns durchleuchtet.
Wenden wir uns kurz von der Arbeit ab. Wie gestalten Sie Ihre Freizeit?
Ich versuche, die wenige Freizeit, die ich habe, mit dem E-bike zu nutzen. Oder ich bin zu Fuß unterwegs. Dann gibt es ja auch noch eine bessere Hälfte, die ich an den Wochenenden besuche, weil sie nicht hier wohnt. Das geht auch nur wegen der Vertreterregelung mit meinem ehrenamtlichen Stellvertreter. In der Regel mache ich die Einsätze tagsüber und er übernimmt die Einsätze nachts und am Wochenende. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Stichwort Einsätze und damit gleich wieder zurück zur Arbeit: In diesem Jahr gab es schon bis Februar so viele Einsätze wie vergangenes Jahr bis März. Warum steigen die Zahlen immer weiter an?
Das hat ganz viele Gründe. Was sich zum Beispiel häuft, sind Notfalltüröffnungen oder Rettungseinsätze mit der Drehleiter, um Personen so schonend wie möglich erdgleich zum Rettungswagen zu bringen. In Giengen haben wir jetzt den großen Industriepark an der A 7 mit großen Industriegebäuden. Da werden wir öfter rausfahren müssen, selbst wenn es nur ein Fehlalarm durch eine ausgelöste Brandmeldeanlage ist. Der Klimawandel kommt obendrauf. 2022 hatten wir zum Glück kein Starkregenereignis. Aber sobald solch ein Ereignis kommt, hat man gleich mal 15 bis 20 Einsätze mehr.
Werte wie Respekt und Toleranz sehen Sie angesichts unschöner Einsätze wie dem in Sontheim, als Feuerwehrmänner beleidigt worden sind, gefährdet. Ist Ihnen bei einem Einsatz schon ähnliches passiert?
Mir selbst ist das bisher nicht passiert. Aber man merkt, dass die Stimmung eine andere ist. Die Leute kommen immer näher ans Ereignis ran, trotz Absperrband. Wir brauchen uns nicht anpöbeln und schon gar nicht angreifen lassen, wenn wir unsere Arbeit machen. Aber nur über Prävention wird das nicht gehen. In Australien ist die Rechtsprechung eine ganz andere, da ist man sechs Monate weg von der Straße, wenn man Einsatzkräfte angreift. Ich bin gespannt, wie die Politik in Deutschland reagiert.
Wir brauchen uns nicht anpöbeln und schon gar nicht angreifen lassen, wenn wir unsere Arbeit machen.
Wenn Sie auf die kommenden Monate blicken, was erhoffen Sie sich für die Feuerwehr?
Wir haben einen Berg voll Arbeit vor uns und ich hoffe, dass uns die Kraft nicht ausgeht, um das alles zu stemmen. Es wird ein kräftezehrendes, aber auch spannendes Jahr. Unsere Daueraufgabe wird bleiben, Nachwuchs anzuwerben. Vor allem erhoffe ich mir natürlich, dass wir immer alle gesund von Einsätzen und Übungen zurückkommen.